KNUT MELLENTHIN

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32000 iranische Agenten im Irak. Wer bietet mehr?

Passend zum Befehl von US-Präsident George W. Bush, "iranische Agenten" im Irak tot oder lebendig zur Strecke zu bringen, wendet sich eine breite Allianz von Europa-Abgeordneten mit einer düsteren Beschreibung an die Öffentlichkeit: "Iranische Revolutionsgarden treiben sich ungehindert im Irak herum, schüren den Aufstand, töten alliierte Truppen und ermorden zahllose unschuldige Zivilisten."

Ganz so weit gehen im Moment nicht einmal Bush und seine Regierungsmannschaft. Sie sprechen zwar von iranischen Waffenlieferungen an schiitische Milizen, sind aber mit Behauptungen über eigene Aktivitäten Teherans im besetzten Irak zurückhaltend.

Wer sind die sogenannten "Freunde des Freien Iran" im Europaparlament, die an Anschuldigungen noch geringere Ansprüche stellen als die amerikanische Regierung? Etwa die Hälfte von ihnen gehören der EPP-ED (Group of the European People's Party and European Democrats) an, der Fraktion der Konservativen und Christdemokraten im Europaparlament. Die Ultranationalisten der UEN (Union for Europe of the Nations) sind mit mindestens zwei Abgeordneten im Bündnis vertreten. Einer davon ist Mogens Camre von der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei, der schon mehrfach durch rassistische Äußerungen Aufsehen erregte. Die andere Seite des Spektrums repräsentieren André Brie und Helmuth Markov von der deutschen Linkspartei.PDS sowie Luisa Morgantini vom italienischen Partito della Rifondazione Comunista.

"Freunde des Freien Iran" ist genau gesehen viel zu viel gesagt. Die Allianz der Europaabgeordneten versteht sich im wesentlichen nur als parlamentarisches Sprachrohr der unter vielen Tarn- und Alibinamen agierenden iranischen Volksmudschaheddin (MEK). Für die eigentliche iranische Opposition, insbesondere auch die in ihrem Land selbst tätige, scheint sich der Freundeskreis hingegen nicht merklich zu interessieren.

Anfangs hatte die MEK, die Marxismus und Islam zu verschmelzen versprach, sich an der "islamischen Revolution" nach dem Sturz des Schah (1979) beteiligt. Als sie von den Fundamentalisten unter Ajatollah Khomeini mit massiver Gewalt unterdrückt und ausgeschaltet wurde, flüchtete sich die MEK-Führung mit Tausenden ihrer Anhänger in den Irak und diente sich dem Regime in Bagdad an. Sie kamen im richtigen Moment, denn Saddam Hussein ließ im September 1980 den Iran überfallen. Die MEK beteiligte sich mit eigenen, vom Irak ausgerüsteten Einheiten an dem Angriff. Die MEK blieb auch im Irak, als der Krieg im August 1988 mit einem Waffenstillstand endete. In den 90er Jahren wurden ihre militärischen Einheiten angeblich von Saddam Hussein gegen Kurden und Schiiten eingesetzt. Seit dem Überfall der USA auf den Irak 2003 steht das MEK-Camp Ashraf, wo sich etwa 4000 Anhänger der Organisation aufhalten, unter dem Schutz der US-Streitkräfte (siehe jW vom 7.7.2006).

Um auf die eingangs zitierten Behauptungen des Freundeskreises über die "iranischen Agenten" zurückzukommen: Die MEK ist nicht nur ihre wichtigste, sondern ihre einzige Quelle. Man sollte meinen, daß kein vernünftiger Mensch unbesehen alles glaubt, was eine Sekte von Fanatikern über ihre größten Feinde erzählt. Der "Freundeskreis" führt den Gegenbeweis in Permanenz. Gerade erst wieder hat André Brie sich zusammen mit dem rechten portugiesischen Sozialdemokraten Paulo Casaca "über die Lage im Irak informiert", wie sie selbst es nennen. Von sieben Tagen verbrachten sie vier bei der MEK im Camp Ashraf, zwei bei kurdischen Organisationen im nordirakischen Erbil und einen in der jordanischen Hauptstadt Amman.

Über die Internetplattform YouTube verbreitete Videoaufnahmen zeigen Brie und Casaca in bester Stimmung beim Volkstanz mit den Volksmudschaheddin während eines Festes in Camp Ashraf. Für den langjährigen Wahlkampfleiter der PDS war es nach eigenem Bekunden sein achter Aufenthalt im Irak während der letzten Jahre. Das MEK-Lager dürfte jedes Mal seine wichtigste Station gewesen sein. Der Gewinnung sachlicher, ausgewogener Informationen über die Lage im Irak und Iran kann damit allerdings nicht gedient sein.

Die MEK behauptet beispielsweise frischweg, daß zahlreiche Regierungsmitglieder und hochrangige Funktionäre der irakischen Armee und Polizei "iranische Agenten" seien. Nicht etwa die US-Armee, sondern Iran halte den Irak besetzt. Die MEK verkündete sogar, über eine Liste mit 32000 Namen "iranischer Agenten" zu verfügen und diese den Amerikanern übergeben zu haben. Eine Todesliste, wenn es nach den Wünschen der MEK ginge. Und was wünschen sich die Europaabgeordneten, wenn sie die USA zum beherzten Vorgehen gegen die "iranischen Agenten" ermuntern?

Knut Mellenthin

Junge Welt, 13. Februar 2007