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Wahl ohne Spannung
In Aserbaidschan wird ein neuer Präsident gewählt. Es wird der alte sein. In der Kaukasusrepublik regiert seit 1969 ein Familien-Clan.
Der Sieger steht schon fest, wenn Aserbaidschan am heutigen Mittwoch seinen Präsidenten wählt. Niemand zweifelt, dass der 51jährige Ilham Alijew, der das Amt seit 2003 besetzt hält, auch für die nächsten fünf Jahre bestätigt werden wird. Möglich wurde das durch eine 2009 mit einem Referendum abgesegnete Verfassungsänderung, die die Beschränkung des Präsidenten auf zwei Amtszeiten aufhob. Die Alijew-Familie regiert das erdölreiche Land im Kaukasus nun schon seit 1969, zunächst als Republik innerhalb der Sowjetunion und seit deren Auflösung Ende 1991 als eigenen Staat.
Der Vater des jetzigen Amtsinhabers, Heidar Alijew, war von 1969 bis 1982 Erster Sekretär der Kommunistischen Partei der Aserbeidschanischen Sowjetrepublik, gehörte von 1982 bis 1987 der zentralen Staats- und Parteiführung der Sowjetunion an, und war von 1993 bis zu seinem Rücktritt aus Krankheitsgründen im Oktober 2003 Präsident Aserbaidschans. Als äußeres Zeichen seines Bruchs mit dem Sozialismus war Heidar Alijew im Juli 1991 aus der KPdSU ausgetreten. Sein Sohn Ilham ist seit Oktober 2003 Vorsitzender einer 1992 gegründeten, autoritär, repressiv und korrupt regierenden Staatspartei namens Neues Aserbaidschan, die neben dem Präsidenten auch den Premierminister stellt.
Ilham Alijew gewann die Präsidentenwahl 2003 mit 76,8 Prozent und fünf Jahre später mit 87,34 Prozent. Beide Wahlen wurden von internationalen Beobachtern als nicht fair und ordnungsgemäß bewertet. Dabei müssen Alijew, sein Clan und seine Partei nicht einmal viel offenen Druck und Betrug einsetzen, um sich an der Macht zu halten. Mittlerweile herrschen im Land Apathie und politisches Desinteresse vor. Der Amtsinhaber trug den realen Verhältnissen Rechnung, indem er von vornherein auf einen Wahlkampf üblicher Art mit Veranstaltungen und Kundgebungen verzichtete. Schon vor Jahren stellten Beobachter fest, dass sich die Mobilisierungsfähigkeit der Staatspartei hauptsächlich auf Schulkinder und Verwaltungsbeamte beschränkte.
Zur heutigen Präsidentenwahl wurden außer Alijew neun weitere Kandidaten zugelassen. Bis auf einen Oppositionsvertreter gelten die übrigen Konkurrenten als mehr oder weniger staats- und regierungsverbunden. Zunächst hatten sich 21 Bewerber gemeldet. Einige von ihnen scheiterten daran, dass sie die erforderlichen 40.000 Unterschriften nicht beibringen konnten. Fünf Bewerbern verweigerte die Wahlkommission die Zulassung. Unter diesen sind Ilqar Mammadow, der seit Januar 2013 in Untersuchungshaft ist, weil er angeblich gewalttätige Proteste organisiert hatte, und der international angesehene Schriftsteller und Filmautor Rustam Ibrahimbekow.
Der heute 71Jährige schrieb unter anderem das Drehbuch für den 1970 produzierten Film „Weiße Sonne der Wüste“, der den Kampf der Roten Armee während des Bürgerkriegs gegen die in Aserbaidschan herrschenden reaktionären Machthaber im besten Licht darstellt. Er galt in der Sowjetunion als „Kultfilm“ und wird von Zeit zu Zeit immer noch im russischen Fernsehen gezeigt. Für das Drehbuch des Films „Die von der Sonne Ermatteten“ (deutscher Titel: „Die Sonne, die uns täuscht“) wurde Ibrahimbekow 1994 mit einem Oscar ausgezeichnet.
Die meisten Oppositionsparteien hatten sich auf den Künstler als gemeinsamen Kandidaten für die Präsidentenwahl verständigt. Die Wahlkommission begründete seine Nichtzulassung, rechtlich durchaus nachvollziehbar, damit, dass Ibrahimbekow die russische Staatsbürgerschaft hat und überwiegend im Ausland, hauptsächlich in Moskau und im kalifornischen Santa Monica, lebt. Die Opposition war dadurch gezwungen, kurzfristig nach einem anderen Kandidaten zu suchen, und einigte sich auf den 61jährigen Historiker Dschamil Hasanli. Ihm werden aber kaum Chancen eingeräumt, mehr als 10 Prozent zu erreichen.
Aserbaidschan hat ungefähr 9,6 Millionen Einwohner. Rund 4,9 Millionen wurden für die heutige Präsidentenwahl registriert. Die Wahlbeteiligung lag vor fünf Jahren bei 75,64 Prozent.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 9. Oktober 2013