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Georgien: Proteste gehen weiter. Jetzt fordert die Opposition den Rücktritt des Präsidenten
Auch am Sonntag setzte die georgische Opposition ihre am Freitag voriger Woche begonnenen Kundgebungen vor dem Parlament in Tbilissi fort. Am 2. November hatten sich nach Schätzungen internationaler Nachrichtenagenturen zwischen 50.000 und 70.000 Oppositionsanhänger aus dem ganzen Land beteiligt. In den Nächten harrten jeweils einige hundert Menschen auf dem Platz aus, tagsüber wuchs die Zahl wieder auf mehrere tausend. Das Oppositionsbündnis will die Proteste fortsetzen, bis ihre vier Mindestforderungen erfüllt sind:
- Abhaltung der Parlamentswahlen im Frühjahr 2008, zum verfassungsmäßig vorgeschriebenen Termin. Saakaschwilis Nationalpartei hat vor einigen Monaten mit ihrer Parlamentsmehrheit beschlossen, dass erst im Oktober oder November nächsten Jahres gewählt werden soll.
- Bildung einer neuen zentralen Wahlkommission, in der alle Parteien vertreten sein sollen. Der derzeitigen Kommission wird personelle Verfilzung mit der Staatsführung vorgeworfen.
- Änderung des derzeitigen Mehrheitswahlsystems, das zur Alleinherrschaft von Saakaschwilis Nationalpartei geführt hat.
- Freilassung aller "politischen Gefangenen".
Am Sonnabend einigte sich die Opposition darauf, als fünften Punkt den Rücktritt von Präsident Michail Saakaschwili aufzunehmen. Mit dieser Forderung, die der radikalen Stimmung unter den Demonstranten Rechnung trägt, waren zunächst Teile des Bündnisses vorgeprescht. Wirklich vereinheitlicht ist dieser Punkt im Bündnis nicht. So erklärte die Republikanische Partei inzwischen, Saakaschwili könne als Präsident "überleben", falls er sich von "einigen berüchtigten Politikern seines inneren Kreises" trennt. Gemeint sind vor allem der einflussreichste Abgeordnete der regierenden Nationalpartei, Giga Bokeria, und Innenminister Vano Merabischwili, die als Wortführer eines kompromisslosen Konfrontationskurses gelten.
Am Freitagabend war es zu einem Gespräch zwischen Oppositions- und Regierungsvertretern gekommen, das jedoch keine Annäherung in der Hauptsache brachte. Die Nationalpartei will unbedingt an der Verschiebung der Parlamentswahlen festhalten. Einige ihrer Politiker deuteten aber Bereitschaft an, über andere Punkte, wie etwa eine Änderung des Wahlrechts, zu diskutieren. Schon vor Beginn der Proteste hatte Saakaschwili angekündigt, die Sperrklausel für den Einzug ins Parlament von sieben auf fünf Prozent zu senken.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 5. November 2007