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EU verschiebt Bericht zum Kaukasuskrieg
Georgische Regierung will Demonstrationsrecht einschränken
Die von der Europäischen Union eingesetzte Kommission zur Untersuchung der Ursachen und des Verlauf des georgisch-russischen Kriegs wird ihren Bericht erst zwei Monate später als zunächst geplant vorlegen. Die Leiterin des Ausschusses, die Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini, begründet die Verschiebung damit, dass neue Dokumente vorliegen, deren Prüfung mehr Zeit erfordere.
Die Kommission war im November vorigen Jahres gebildet worden. Außer Tagliavini und zwei Stellvertretern gehören ihr zehn Mitglieder, darunter Völkerrechtler, Politikwissenschaftler und Militärs, an. Der Abschlussbericht sollte bis zum 31. Juli vorgelegt werden. Die Verschiebung bedeutet, dass er frühestens im September veröffentlicht wird, also erst mehrere Wochen nach dem Jahrestag des Kriegsbeginns (7. August).
Die Untersuchung war von Anfang an durch die einseitige Parteinahme der EU zugunsten Georgiens belastet, dessen Präsident Michail Saakaschwili durch seinen Angriffsbefehl auf die südossetische Hauptstadt Tschinwali den Krieg ausgelöst hatte. Es war nicht zu erwarten, dass die Tagliavini-Kommission nachträglich der Richtungsentscheidung der europäischen Regierung widersprechen würde. Bestenfalls kann ein „ausgewogener“ Bericht zustande kommen, der die Vorwürfe gleichmäßig auf alle Beteiligten verteilt.
In einer Polemik gegen den Spiegel hatte Tagliavi im Juni klargestellt, dass ausschließlich sie selbst entscheiden wird, was im Abschlussbericht steht. Mehrheitsentscheidungen des Ausschusses sind nicht vorgesehen. Das Nachrichtenmagazin hatte zuvor die Meinungen mehrerer Kommissionsmitglieder zitiert, die von einer georgischen Aggression ausgehen.
Georgische Regierungspolitiker hatten schon vor Monaten mehreren Mitgliedern der Untersuchungsgruppe, darunter dem Hamburger Völkerrechtler Otto Luchterhandt, vorgeworfen, sie seien „von Gazprom bezahlt“. Nach Tagliavinis Klarstellung, dass nur sie den Bericht verfassen wird, gab sich Saakaschwili am 3. Juli siegesgewiss: Er könne versichern, dass die Kommission zur Feststellung kommen werde, dass Georgien im Recht gewesen sei.
Unterdessen bereitet Saakaschwilis Nationalpartei, die im Parlament über eine Zweidrittel-Mehrheit verfügt, gesetzliche Einschränkungen des Demonstrationsrechts vor, die voraussichtlich im September verabschiedet werden sollen. Die Regierung zieht damit Konsequenzen aus den Aktionsformen, die die Opposition im vergangenen Vierteljahr angewandt hat. Das geschieht zu einem Zeitpunkt, wo die Proteste nahezu völlig abgeflaut sind und immer größere Meinungsverschiedenheiten innerhalb des aus über zehn Parteien bestehenden Oppositionsbündnisses sichtbar werden. Auf dem Höhepunkt der Protestbewegung waren Teile des Zentrums von Tbilissi, Hauptstraßen und Regierungsgebäude, Tag und Nacht blockiert worden.
Gesetze sollen künftig solche Blockaden unter Strafe – mindestens 90 Tage Gefängnis - stellen. Auch Kundgebungen in der Nähe der Eingänge von Regierungsgebäuden und Gerichten, ebenso wie Behinderungen des öffentlichen Verkehrs sollen verboten werden. Wer sich an Autokonvois beteiligt, kann für zwei Jahre seinen Führerschein verlieren. Vorgesehen ist außerdem, die Ausrüstung der Polizei mit Hartgummi-Geschossen zu legalisieren. In der Praxis waren diese ohnehin schon mehrfach eingesetzt worden.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 10. Juli 2009