KNUT MELLENTHIN

Funktionen für die Darstellung

Darstellung:

Seitenpfad

Es spricht sich rum: Georgien war der Angreifer

Die Zweifel an der Version der georgischen Regierung über den Krieg gegen Südossetien und Russland im August nehmen nun auch in den westlichen Mainstream-Medien zu. Während die EU eine internationale Untersuchung zu Entstehung und Ursachen des Krieges durchführen will, erklärt die US-Regierung ausdrücklich ihr Desinteresse an den tatsächlichen Ereignissen. In Washington, wo man sich auf das Propagandaschlagwort von der „russischen Aggression“ festgelegt hat, will man die Dinge lieber ruhen lassen.

Am 6. November veröffentlichte die New York Times einen ausführlichen Artikel über „neuerdings zugängliche Berichte“ von Beobachtern der OSZE, die in der Nacht vom 7. auf den 8. August, als der georgische Überfall begann, in der südossetischen Hauptstadt Tschinwali stationiert waren. Intern sind diese Berichte den EU-Regierungen offenbar schon lange bekannt, da Briefings mit Diplomaten und Militärattachés bereits im August und im Oktober stattfanden. Bisher war es aber gelungen, die Aussagen der OSZE-Beobachter geheim zu halten. Laut New York Times wurden die ihr vorliegenden Angaben von drei westlichen Diplomaten bestätigt und von der OSZE-Mission in der georgischen Hauptstadt Tbilissi nicht bestritten. (1) Ein Artikel in der Sonntagsausgabe der Londoner Times vom 9. November übernahm die Darstellung des New Yorker Blattes. (2)

Die Berichte stützten sich in erster Linie auf die Aussagen von Ryan Grist und Stephen Young, zwei früheren Offizieren der britischen Streitkräfte, die zu den seit dem Krieg von 1992 in Südossetien stationierten OSZE-Beobachtern gehörten. Grist leitete die Mission und trat kurze Zeit nach dem Krieg aus nicht öffentlich bekannten Gründen von diesem Posten zurück.

Den Aussagen der Beobachter zufolge traf eine OSZE-Patrouille am 7. August schon um 15 Uhr – rund acht Stunden vor Beginn des Angriffs – auf große Mengen georgischer Artillerie und Raketenwerfern, die nördlich von Gori, ganz nahe an der südossetischen Grenze, zusammengezogen wurden. Gegen 19 Uhr verkündete Präsident Michail Saakaschwili eine einseitige Waffenruhe. Gegen 23 Uhr erklärte ein georgischer Armeesprecher, die Streitkräfte seien „zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung“ in Südossetien angetreten. Als Grund wurde der angeblich vorangegangene Beschuss von Dörfern mit ethnisch georgischer Bevölkerung in Südossetien angegeben.

Die OSZE-Beobachter sagen dagegen aus, sie hätten in den Stunden vor Beginn des georgischen Angriffs auf Tschinwali kein Feuer in der Umgebung gehört. Sie hätten es aber hören müssen, wenn wirklich geschossen worden wäre, da diese Dörfer in nächster Nähe zur Stadt liegen. Um 23.35 habe der massive Beschuss Tschinwalis begonnen. Um 23.45 seien die Salven in Abständen von 15 bis 20 Sekunden erfolgt. Bis 0.35 hatten die Beobachter mindestens 100 schwere Explosionen gezählt. Davon 48 in der Nähe ihrer Dienststelle, die in einem Wohngebiet lag.

Diese Aussagen widersprechen den georgischen Behauptungen, ihre Streitkräfte hätten nur gezielt militärische Ziele beschossen und die schweren Zerstörungen in der Stadt seien erst später von den Russen angerichtet worden.

Die Bitte der New York Times, mit Grist und Young sprechen zu können, wurde von der OSZE abgelehnt.

Während einer Pressekonferenz am 7. November wurde der stellvertretende Sprecher des State Department, Robert Wood, nach dem Bericht der New York Times gefragt. Er antwortete, dass man wahrscheinlich niemals genau klären werde, wer wirklich für die Vorgänge verantwortlich war. „Aber wir haben von Anfang an beide Seite ermutigt, nicht zu provozieren und sich nicht provozieren zu lassen. Und die Georgier fühlten sich von den Russen provoziert.“ – Auf eine Nachfrage, ob es irgendwelche Untersuchungen der US-Regierung gebe, wer den Krieg begann, erklärte Wood nur, man müsse von dieser Fragestellung weg kommen, weil die Sache ohnehin nicht zu klären sei. Weitere Fragen zu diesem Thema ließ er nicht mehr zu. (3)

Inzwischen hat Ryan Grist, der frühere Leiter der OSZE-Mission in Tschinwali, in einem Gespräch mit dem britischen Sender BBC Vorwürfe erhoben, dass die Warnungen der Beobachter vor dem „sich zusammenbrauenden“ Krieg und insbesondere vor den militärischen Aktivitäten Georgiens von der OSZE-Führung missachtet worden seien. OSZE-Vorsitzender Alexander Stubb wies diese Vorwürfe zurück: Die Berichte der Beobachter seien an die Regierungen der OSZE-Mitgliedsstaaten weitergeleitet worden, „die dann ihre eigenen Einschätzungen trafen“. (4)

Darüber würde man gern Genaueres hören, Frau Merkel, Herr Steinmeier!

Anmerkungen

  1. C.J. Chivers und Ellen Barry: Georgia Claims on Russia War Called Into Question. New York Times, 6.11. 2008.
    http://www.nytimes.com/2008/11/07/world/europe/07georgia.html?partner=rssnyt&emc=rss
  2. Jon Swain: Georgia fired first shot, say UK monitors. Sunday Times, 9.11.2008.
    http://www.timesonline.co.uk/tol/news/world/europe/article5114401.ece
  3. Daily Press Briefing des State Department, Washington D.C., 7.11.2008.
    http://www.state.gov/r/pa/prs/dpb/2008/nov/111653.htm
  4. OSCE ‘failed’ in Georgia warnings. BBC, 8.11.2008.
    http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/7717169.stm

Knut Mellenthin

Hintergrund, 10. November 2008