Funktionen für die Darstellung
Seitenpfad
Brüchige Einigung in Südossetien
Der von Russland vermittelte Kompromiss zwischen Regierung und Opposition in der Kaukasusrepublik Südossetien ist wieder in Frage gestellt. Oppositionsführerin Alla Dschiojewa wirft dem bisherigen Präsidenten Eduard Kokoity vor, dass er mehrere Amtsträger, zu deren Entlassung er sich verpflichtet hatte, wenige Stunden später durch Personen aus seiner Seilschaft ersetzte. Dschiojewas Anhänger setzten deshalb am Wochenende zunächst ihre permanente Mahnwache vor dem Regierungsgebäude in Tschinwali fort, obwohl die Politikerin deren Ende zugesagt hatte.
Der Streit hatte nach der Präsidentenwahl am 27. November begonnen. Mit über 56 Prozent hatte sich die Lehrerin und frühere Erziehungsministerin Dschiojewa klar gegen den von Moskau und Kokoity unterstützten Katastrophenschutzminister Anatoli Bibilow durchgesetzt, der nur auf rund 40 Prozent der Stimmen kam. Bibilow hatte daraufhin seiner Gegnerin Verstöße gegen die Wahlordnung vorgeworfen und die Wahl angefochten. Der überwiegend mit Kokoity-Freunden besetzte Oberste Gerichtshof gab ihm Recht und verwarf einige Tage später auch Dschiojewas Widerspruch. Das Gericht ordnete eine Wiederholung der Wahl an und schloss gleichzeitig eine erneute Kandidatur der Oppositionsführerin aus. Seither demonstrieren deren Anhänger trotz zeitweise starker Schneefälle rund um die Uhr im Zentrum der Hauptstadt. Ein Granatenanschlag auf die Wohnung des Generalstaatsanwalts Taimuras Khugajew, ebenfalls ein enger Verbündeter von Kokoity, hatte am Dienstag voriger Woche die Auseinandersetzung noch weiter verschärft. Beide Seiten machten sich gegenseitig für die „Provokation“ verantwortlich.
Bereits am 30. November war ein Abgesandter der russischen Regierung, Sergei Winokurow, als Vermittler in Tschinwali eingetroffen. Am späten Freitagabend voriger Woche konnte er die Streitenden schließlich zu einem Kompromissabkommen bewegen. Allen Beteiligten war offenbar klar, dass eine Eskalation nur Georgien nutzen würde, von dem sich Südossetien Anfang der 1990er Jahre losgesagt hatte und dessen Aggression es im August 2008 mit russischer Hilfe abgewehrt hatte.
Die Einigung sieht unter anderem vor, dass Kokoity darauf verzichtet, das Präsidentenamt bis zur Wiederholungswahl am 25. März 2012 auszuüben. Er trat am Sonnabend zurück und übergab die Geschäftsführung an Premierminister Wadim Browtsew. Der russische Bauunternehmer, der kaum Beziehungen zu Südossetien hatte, war im August 2009 mit Hilfe Moskaus auf diesen Posten gesetzt worden.
Ein weiterer Bestandteil der am Freitag erreichten Vereinbarung war die Absetzung von Generalstaatsanwalt Khugajew und seinem Stellvertreter, des Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs, des Bürgermeisters von Tschinwali sowie mehrerer anderer lokaler Verwaltungschefs. Schon zuvor hatte Kokoity am Mittwoch mehrere seiner Minister entlassen, die als besonders unpopulär galten. Ihnen, wie übrigens auch Kokoity selbst, werden Korruption und andere Formen des Amtsmissbrauchs vorgeworfen.
Zu dem Kompromissabkommen gehört schließlich auch, dass Alla Dschiojewa zur Wiederholung der Präsidentenwahl antreten darf. Ob sie das tun wird, hat sie allerdings noch nicht entschieden. Sie deutete die Möglichkeit an, dass stattdessen eine andere Person aus der Opposition, „ein richtiges politisches Schwergewicht“, aufgestellt werde. Möglicherweise könnte das der frühere Verteidigungsminister General Anatoli Barankewitsch sein. Er hatte im August 2008 die Verteidigung Tschinwalis geleitet.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 12. Dezember 2011