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US-Vize Biden besucht die Front
Unterstützung für den NATO-Beitritt der Ukraine und Georgiens.
Mit einem viertägigen Besuch in den „Frontstaaten“ Ukraine und Georgien hat US-Vizepräsident Joe Biden unterstrichen, dass die Einflusszone der USA und der NATO bis direkt an die Grenzen Russlands reicht. Was am Montag im ukrainischen Kiew begann, wurde am Donnerstag in Tblissi mit einem Bekenntnis zur „territorialen Integrität Georgiens“, also zur Rückgewinnung der unabhängigen Republiken Südossetien und Abchasien, abgeschlossen. Das unbedingte Recht auf Beitritt zum westlichen Bündnis verteidigte der Gast aus USA nicht nur in Georgien, wo sich Regierung und Opposition gegenseitig in pro-NATO-Bekenntnissen den Rang abzulaufen versuchen, sondern auch in der Ukraine, obwohl dort die Mehrheit der Bevölkerung dagegen ist.
In beiden Gastländern war Biden darauf bedacht, sich an das gesamte parteipolitische Spektrum zu wenden und zur Überwindung der Streitigkeiten aufzurufen. In der Ukraine traf er neben Präsident Viktor Juschtschenko auch alle vier Kandidaten, die bei der Wahl im kommenden Jahr gegen den Amtsinhaber antreten wollen. Darunter Juschtschenkos frühere Mitstreiterin und jetzige Rivalin, die Regierungschefin Julia Timoschenko. In Tbilissi empfing Barack Obamas Vize nach dem offiziellen Staatsakt mit Präsident Michail Saakaschwili auch die führenden Oppositionspolitiker Nino Burdschanadse und Irakli Alasania sowie Levan Gachechiladse, der im Januar 2008 als Oppositionskandidat gegen Saakaschwili angetreten war, und den christdemokratischen Minderheitsführer im Parlament, Giorgi Targamadse. Von den 31 Abgeordneten der Opposition, die im Mai 2008 ins Parlament gewählt wurden, hat die Mehrheit die Annahme ihrer Mandate verweigert, da die Wahlen manipuliert und gefälscht gewesen seien.
In einem geschickten Schachzug hatte Präsident Saakaschwili am Montag in einer Parlamentsrede eine Reihe von innenpolitischen „Angeboten“ – die meisten davon nicht wirklich neu – zusammengefasst und die Opposition zur Zusammenarbeit eingeladen. Das erlaubte es Biden, den umstrittenen Präsidenten leutselig zur „Fortsetzung seiner Reformen“ zu ermuntern. Zu den von der Opposition als bedeutungslos kritisierten Vorschlägen gehört die Vorverlegung der Gemeindewahlen vom Herbst 2010 auf den Mai. Gleichzeitig soll das Wahlrecht geändert, die Zentrale Wahlkommission neu besetzt werden. Das Recht des Präsidenten zur Auflösung des Parlaments soll eingeschränkt werden. Andererseits soll aber die starke Stellung des Staatsoberhaupts erhalten bleiben. Das sei, so Saakaschwili mit Bezug auf Südossetien und Abchasien, „lebenswichtig in einer Zeit, wo ein großer Teil des Landes besetzt ist“. Ein weiterer Vorschlag betrifft die paritätische Beteiligung der Opposition am Gremium, das den staatlichen Rundfunk überwacht.
Am Dienstag hatte Saakaschwili den dringenden Wunsch nach US-amerikanischen Waffenlieferungen geäußert. In den Vordergrund stellte er dabei Systeme zur Bekämpfung von Panzern und Flugzeugen. Die US-Regierung hatte Georgien nach dem von Saakaschwili angezettelten Krieg im August 2008 zwar eine Milliarde Soforthilfe gewährt, aber hat sich bei der damals nur vage versprochenen Wiederaufrüstung und Modernisierung der georgischen Streitkräfte bisher zögerlich verhalten. Saakaschwili drückte das jetzt so aus: „Ich denke, die Entschlossenheit, uns zu helfen, ist da. Es geht darum, den Prozess zu beschleunigen. (...) Wir wollen, dass es unser Land noch gibt, wenn diese Dinge hier einzutreffen beginnen.“ Sollte Georgien das Gewünschte nicht schnell erhalten, würde das von Russland als Angriffssignal verstanden, behauptete Saakaschwili.
Unterdessen hat die russische Regierung davor gewarnt, Georgien für einen Revanchekrieg aufzurüsten. Russland werde „konkrete Maßnahmen“ ergreifen, um das zu verhindern, warnte der stellvertretende Außenminister Grigori Karasin am Donnerstag. “Wir sind tief besorgt über die auf Remilitarisierung des Landes zielende Aktivität der georgischen Führung, auf die einige Staaten mit überraschender Ruhe und auf positive Weise reagieren”, sagte Karasin.
Präsident Dmitri Medwedew hatte im Januar angeordnet, die „militärisch-technisch und militärisch-wirtschaftliche Zusammenarbeit“ mit Ländern, die Waffen aus russischer oder sowjetischer Produktion an Georgien liefern, einzuschränken oder einzustellen. Die Drohung richtete sich in erster Linie gegen die Ukraine, die vor dem Augustkrieg Waffen aus der Sowjetzeit an Georgien verkauft hatte.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 24. Juli 2009