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Zwischen Bagdad und Moskau
Ist in den Streit um das zivile Atomprogramm des Iran „Bewegung gekommen“, wie deutsche Nachrichtenjournalisten standardmäßig formulieren, wenn es ein an sich nicht sehr aufregendes Ereignis zu melden gibt? Iran und „die Weltmächte“, wie es inzwischen oft heißt, trafen sich am 14. und 15. April zu Gesprächen im türkischen Istanbul, sie setzten ihre Unterhaltungen am 23. und 24. Mai in der irakischen Hauptstadt Bagdad fort, und sie haben bereits eine weitere Runde am 18. und 19. Juni in Moskau vereinbart.
Über noch so minimale praktische Ergebnisse ist nichts bekannt. Der Weg scheint das Ziel zu sein. Dass man weiter miteinander spricht, ist der eigentliche Fortschritt. Das ist alles andere als unwichtig, da diese Gespräche mit soliden Gründen als „letzte Chance“ gelten, militärische Angriffe der USA und vielleicht auch ihrer Verbündeten noch abzuwenden. Der sich daraus entwickelnde Krieg könnte als langjähriger Flächenbrand die gesamte Region erfassen. Die eindringlichsten Warnungen vor dem Überschreiten dieser Schwelle kommen bezeichnenderweise nicht von Politikern, sondern von führenden Militärs und Geheimdienstlern.
„Die Weltmächte“, die diese Verhandlungen ohne Auftrag, Transparenz und Rechenschaftslegung führen, sind die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates – USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich – sowie Deutschland als kooptierter Partner. Letzteres erklärt sich aus der Geschichte dieser Gespräche, die im Herbst 2003 als Verhandlungen zwischen Teheran und dem sogenannten EU-Trio Großbritannien, Frankreich und Deutschland begannen. Auf iranischer Seite wurden diese Kontakte anfänglich von großen Hoffnungen begleitet. Das endete, als sich herausstellte, dass die drei europäischen Regierungen lediglich als Bauchrednerpuppen der USA fungierten – die damals direkte Gespräche mit Teheran ablehnten –, aber keinerlei eigene diplomatische Ideen und Initiativen entwickelten. Es war, das sollte man nicht vergessen, die Zeit, als Gerhard Schröder Bundeskanzler und Joschka Fischer Außenminister war.
Anfang August 2005 brach das EU-Trio die Verhandlungen ab und erklärte, dass diese erst wieder aufgenommen würden, wenn Iran zuvor sämtliche Maximalforderungen – darunter vor allem der vollständige Verzicht auf die Anreicherung von Uran samt Allen damit verbundenen Arbeiten und Forschungstätigkeiten – akzeptierte. Dadurch trat ein vierjähriger Stillstand ein. Während dieser Zeit wurden die Kontakte nach Teheran nur durch den damaligen Chefaußenpolitiker der Europäischen Union, Javier Solana, aufrecht erhalten, der seine Arbeit übrigens nicht einmal schlecht machte, aber ohne politischen Rückhalt natürlich zu keinen Erfolgen kommen konnte.
In der heutigen Besetzung sprechen „die Weltmächte“ erst seit 2009 mit dem Iran. Das evident idiotische frühere Ultimatum – erst Unterwerfung Teherans unter die Maximalforderungen, danach Verhandlungen - wurde stillschweigend fallen gelassen. Allerdings sind diese Forderungen seit Dezember 2006 in mittlerweile vier sanktionsbewehrten Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zementiert worden. Diese Tatsache steht im Grunde jedem nur vorstellbaren Kompromiss im Wege.
Sachlich ist die Strategie des Westens in diesem Konflikt gescheitert: Zu Beginn der Gespräche im Herbst 2003 besaß Iran noch nicht einmal eine funktionsfähige Anlage für die Anreicherung von Uran. Diese wurde erst 2007 in Betrieb genommen. Zwei oder drei Jahre vorher hätte man mit der iranischen Führung wahrscheinlich noch über niedrig festgelegte Begrenzungen der Produktion verhandeln können. Vorausgesetzt, der Westen wäre damals bereit gewesen, das grundsätzliche Recht Irans auf diese Tätigkeiten anzuerkennen, das sich aus dem Atomwaffensperrvertrag ohnehin zweifelsfrei ergibt.
Siegesmeldungen
Nun also Bagdad. Viele iranische Politiker, vor allem aus der zweiten und dritten Reihe – besonders aktiv sind regelmäßig einige Abgeordnete des Parlaments, das ansonsten nicht viel zu bestellen hat – bejubeln das Treffen, das in der vorigen Woche in der irakischen Hauptstadt stattfand, als „großartigen nationalen Sieg“. Das Fernsehnetzwerk PressTV zitierte am 25. Mai den Abgeordneten Mohammad Karamirad mit der phantasievollen Behauptung, der Westen habe „angedeutet, dass er die Anreicherung auf 2,5 oder fünf Prozent oder, nach einigen Quellen, sogar auf bis zu 20 Prozent akzeptieren wird“. Die Nachrichtenagentur Fars meldete am 16. Mai – also noch vor dem Treffen in Bagdad – als Äußerung der Abgeordneten Zoreh Elahian: „Der Westen hat erkannt, dass die Sprache der Gewalt und der Sanktionen gegen Iran unwirksam ist (…) und dass Diplomatie die einzige Option ist, die der Westen hat.“ - Elahian ist Mitglied des Parlamentsausschusses für Nationale Sicherheit und Außenpolitik.
Den Vogel schoß die Nachrichtenagentur IRNA ab, die am 26. Mai schrieb: „Genau 30 Jahre nach der Befreiung von Khorramschar ist der dritte Tag des iranischen Monats Khordad erneut zu einem Tag der Würde und der nationalen Stärke geworden, als die Vertreter der westlichen Regierungen nach Bagdad kamen, um Irans nukleare Rechte anzuerkennen.“ - Das grenznahe Khorramschar, der wichtigste iranische Exporthafen, war im Oktober 1980, einen Monat nach Beginn des von Saddam Hussein ausgelösten Krieges, durch irakische Streitkräfte eingenommen worden. Am 24. Mai 1982 gelang den Iranern die Befreiung der Stadt, und dieses Tages wird seither mit Feierlichkeiten gedacht.
Dass der Westen im April in Istanbul oder spätestens jetzt in Bagdad Irans Recht auf die Anreicherung von Uran anerkannt habe, ist derzeit ein ständiges Motiv in den iranischen Medien, obwohl es ohne Bezug zur Realität ist. Aber auch maßgebliche Politiker und Diplomaten sind, freilich im Ton deutlich nüchterner, um die demonstrative Verbreitung von, wie es immer wieder ausdrücklich heißt, „Optimismus“ bemüht. Eine in iranischen Agenturmeldungen ständig exakt wörtlich wiederholte, offensichtlich angeordnete Formulierung lautet: „Analysten meinen, dass die Vereinbarung der beiden Seiten, die Gespräche fortzusetzen, als Zeichen der Hoffnung für die Lösung der langwährenden Konfrontation zwischen Teheran und dem Westen gesehen werden sollte.“
Chefunterhändler Said Dschalili äußerte sich am 27. Mai gegenüber Fars zufrieden mit den drei Tage zurückliegenden Gesprächen und betonte: „Selbstverständlich waren die Verhandlungen in Bagdad hochgradig effektiv, indem sie die Positionen der Sechsergruppe veränderten.“ Einen Tag später zitierte Fars den Stellvertreter von Dschalili, Ali Baqeri, mit der Aussage, die iranische Delegation habe die Gegenseite in Bagdad dazu gebracht, „unsere nuklearen Rechte als rote Linie zu akzeptieren“. Baqeri war an der Vorbereitung des Treffens gemeinsam mit der Stellvertreterin der EU-Außenpolitikchefin Catherine Ashton, Helga Schmid, sehr intensiv beteiligt.
PressTV berichtete am 29. Mai, dass der Sekretär des einflussreichen Rates zur Feststellung der Interessen des Systems (Schlichtungsrat), Mohsen Rezaei, ausdrücklich der Ansicht widersprochen habe, dass die bisherigen Gesprächsrunden keine Ergebnisse gebracht hätten. Der Erfolg von Bagdad bestehe darin, „dass beide Seiten zur Schlussfolgerung gekommen sind, dass sie miteinander zusammenarbeiten müssen“. Rezaei betonte in diesem Zusammenhang „die Notwendigkeit der Anwendung einer aktiven Diplomatie“, ohne diesen Begriff allerdings mit Inhalt zu füllen. Ein ironisches Detail ist, dass gegen Rezaei nur eine Woche zuvor in einem Kommentar der Nachrichtenagentur Mehr der Vorwurf erhoben worden war, er verbreite „pessimistische Bemerkungen über die Gespräche“, „die für die Bemühungen um eine Verbesserung der derzeitigen Situation nicht hilfreich sind“. „Ein solches Verhalten kann auch Probleme für die iranischen Unterhändler in Bagdad schaffen.“
Wie ein Sandsturm
Dass in Bagdad nicht alles so „konstruktiv“ lief, wie beide Seiten nach dem Abschluss der Begegnung behaupteten, war am vorigen Donnerstag aus den Meldungen der iranischen Agenturen deutlich geworden, die mittags (Ortszeit) sogar schon voreilig den Abbruch der Gespräche verkündeten. Diese Agenturen sind normalerweise eher schläfrig, unaktuell und wenig informativ. Um so mehr musste es auffallen, dass sie während des zweitägigen Treffens in der irakischen Hauptstadt ganz offensichtlich laufend mit Situationsberichten aus der Verhandlungsdelegation versorgt wurden.
Fars zitierte in der kritischen Phase der Gespräche einen iranischen Delegierten, der von einer „schwierigen Atmosphäre“ sprach. Wörtlich habe er gesagt: „Was wir in Istanbul hörten, war interessanter. Wir glauben, der Grund, dass die Sechsergruppe nicht in der Lage ist, Ergebnisse zu erzielen, ist Amerika. Die 5+1 kamen ohne klaren Auftrag nach Bagdad.“ - Die in den Gesprächen vorgebrachten Argumente hätten sehr denen geähnelt, die von maßgeblichen Mitgliedern der israelischen Regierung wie Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak benutzt werden, sagte ein nicht namentlich genannter iranischer Diplomat gegenüber der Agentur Mehr.
Die US-Tageszeitung Christian Science Monitor berichtete am Freitag nach Ende des Treffens von einem ebenfalls anonymen iranischen Diplomaten, der die Gespräche als „totalen Fehlschlag“ bezeichnet habe. „Je mehr sie sprechen, um so schlimmer wird es. Die Atmosphäre war wie das Bagdader Wetter.“ Dort hatte gerade ein heftiger Sandsturm getobt, der die Schließung des Flughafens zur Folge hatte.
Da alle Beteiligten den Inhalt ihrer Verhandlungen mit erstaunlich großem Erfolg vor der Öffentlichkeit geheim halten, lässt sich der Stand der Dinge nur unbefriedigend einschätzen. Klar ist, dass beide Seiten jeweils ihre Vorschläge präsentierten. Das mag für die Iraner bereits die erste Enttäuschung gewesen sein, da zuvor über eine Spaltung der Sechsergruppe spekuliert worden war. Am Mittwoch, kurz vor Beginn des Treffens, hatte Fars unter der Überschrift „Kluft zwischen den Weltmächten über Iran wird breiter“ gemeldet, dass Russland vermutlich einen eigenen Vorschlag vorlegen werde.
Über den Inhalt der beiden konträren Pakete ist nur wenig sicher bekannt. Ashtons Sprecher Michael Mann hatte am Mittwochmorgen gegenüber Journalisten lediglich erklärt, dass man hauptsächlich über die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent sprechen wolle. Die Iraner gaben nicht viel mehr bekannt, als dass ihr Vorschlag aus fünf Punkten bestehe, in denen es unter anderem um Syrien, Bahrain, die Sicherheit der Meere – gemeint ist die Piraterie vor allem rund um das Horn von Afrika und Teile der arabischen Halbinsel – sowie die gemeinsame Bekämpfung des Rauschgifthandels gehe. Letzteres ist für den Iran wegen der direkten Nachbarschaft zu Afghanistan ein riesiges soziales, medizinisches und sicherheitspolitisches Problem. Völlig unbekannt ist jedoch, ob das iranische Paket überhaupt irgendeine Idee zum Atomstreit enthielt.
Viel fordern...
Dagegen gibt es über den gemeinsamen Vorschlag der Sechsergruppe immerhin plausible Vermutungen und „durchgesickerte“ Informationen. Diesen zufolge soll Iran im Wesentlichen drei Forderungen erfüllen: Erstens Einstellung der zwanzig-prozentigen Uran-Anreicherung. Zweitens Abgabe des bereits produzierten Materials. Nach den Berechnungen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), die alle nuklearen Tätigkeit Irans ständig überwacht, handelt es sich um ungefähr 150 Kilo. Drittens Schließung der erst im Dezember 2011in Betrieb genommenen Anreicherungsanlage in Fordow. Sie liegt in einem Tunnelsystem tief unterhalb eines Bergmassivs und könnte bei einem Angriff mit konventionellen Bomben und Raketen kaum vollständig zerstört werden. Genau das ist denn auch der Haupteinwand der USA, Israels und ihrer Verbündeten gegen diese Anlage, die übrigens sehr viel kleiner ist als die alte Anreicherungsfabrik in Natanz.
Iran benötigt das auf 20 Prozent angereicherte Uran, um einen uralten kleinen Reaktor in Teheran zu betreiben, den die USA 1967, noch zu Zeiten des Schah-Regimes, geliefert hatten. Dort werden Isotope für die Behandlung von Krebspatienten produziert. Da der gesamte Prozess von der IAEA genau überwacht wird, besteht für die in den Mainstream-Medien üblichen süffisanten Bemerkungen - „Iran behauptet, dass der Reaktor medizinischen Zwecken dient“ - absolut keine Veranlassung. Angesichts der Sache, um die es geht, kann man diese Art der Propaganda nur als menschenverachtend und infam bezeichnen.
Für den Betrieb des Teheraner Reaktors hatte Iran zuletzt Anfang der 1990er Jahre Brennplatten aus Argentinien bezogen. Da diese mittlerweile nahezu aufgebraucht sind, hatten die Iraner im Sommer 2009 bei der IAEA ihren Wunsch angemeldet, neuen Brennstoff kaufen zu können. Das scheiterte am gemeinsamen Widerstand der sechs „Weltmächte“. Erst dadurch war Iran gezwungen, im Februar 2010 mit der zwanzig-prozentigen Anreicherung zu beginnen. Einen Tag vor dem Treffen in Bagdad wurde gemeldet, dass die erste selbst produzierte Brennplatte in den Reaktor eingebracht wurde.
...wenig bieten
Den, wie gesagt immer noch unbestätigten, Meldungen zufolge sollen die von den 5+1 angebotenen Gegenleistungen sich auf drei Punkte konzentrieren: Erstens soll Iran die benötigten Isotope für medizinische Zwecke geliefert bekommen. Zweitens soll Iran technische Hilfe bei der Modernisierung des Teheraner Reaktors – oder vielleicht auch beim Bau eines neuen, moderneren erhalten. Das wäre aus Sicherheitsgründen höchst wünschenswert. Iran hat selbst schon den geplanten Neubau von mindestens einem Reaktor für diesen speziellen Verwendungszweck angekündigt. Drittens könnte Iran mit Ersatzteilen für seine stark überalterten, notorisch unfallträchtigen US-amerikanischen Passagierflugzeuge rechnen. Dass diese nicht geliefert werden, ist durch viele Jahre zurückliegende Embargo-Maßnahmen begründet, die mit dem Atomstreit nicht das geringste zu tun haben. Schon Präsident George W. Bush hatte 2005 eine Aufhebung – als Gegenleistung für eventuelle iranische Zugeständnisse – in Aussicht gestellt. Seit 2006 werden vereinzelt wieder Ersatzteile geliefert.
Westliche Medien hatten vor dem Treffen in Istanbul gemeldet, Iran habe „seine mögliche Bereitschaft signalisiert, die Produktion von hochangereichertem Uran einzustellen“ (AP, 9.4.2012). Die Spekulationen bezogen sich auf Äußerungen von Fereidun Abbasi, dem Chef der iranischen Atomenergiebehörde. Tatsächlich hatte dieser nur auf die bekannte Tatsache hingewiesen, dass die Anreicherung auf 20 Prozent nicht Teil des langfristigen iranischen Atomprogramms ist, sondern dem Land von außen aufgezwungen wurde. Sobald die erforderliche Menge für den mehrjährigen Betrieb des Reaktors in Teheran - und vielleicht eines weiteren, noch zu bauenden - erreicht sei, werde Iran die zwanzig-prozentige Anreicherung reduzieren oder vielleicht auch ganz einstellen.
Nach dem Treffen in Bagdad hieß es plötzlich, Abbasi habe seine frühere Position geändert. Tatsächlich hatte er jedoch im Kern nichts anderes gesagt als im April, nur mit einem anderen Akzent: „Es gibt keinen Grund für uns, die Anreicherung auf 20 Prozent aufzugeben, denn wir produzieren diesen Brennstoff nur für unsere Bedürfnisse – nicht mehr und nicht weniger.“
Das widerspricht nicht notwendigerweise der Aussage von Ramin Mehman-Parast, Sprecher des iranischen Außenministeriums, am 28. Mai: Falls die westlichen Regierungen den rein zivilen Charakters des iranischen Atomprogramms anerkennen und akzeptieren würden, werde Iran ihre Forderung nach einer Beendigung der zwanzig-prozentigen Anreicherung „in Erwägung ziehen“.
Tatsächlich sieht die iranische Führung vermutlich in diesem Punkt einen gewissen Handlungsspielraum. Kaum vorstellbar ist hingegen, dass sie sich dem Verlangen unterwerfen würde, das schon produzierte Material abzuliefern. Und was die unterirdische Produktionsstätte in Fordow angeht, erklärte Irans ständiger Vertreter bei der IAEA, Ali Asghar Soltanijeh, am 12. Mai: Er sehe für die Forderung des Westens nach deren Stilllegung „keine Rechtfertigung“. „Wenn man einen sicheren Platz hat, der unter Kontrolle der IAEA steht, warum erzählen Sie mir dann, dass ich ihn schließen soll?“. Iran habe in den Bau dieser Anlage viel Geld und Zeit investiert. Zugleich betonte Soltanijeh: „Eine Sache ist klar: Die Anreicherung im Iran wird niemals eingestellt. (…) Weder Sanktionen noch militärische Operationen noch Terror gegen unsere Wissenschaftler werden die Anreicherung stoppen.“
Die offensichtlichen Widersprüche in der iranischen Führung hinsichtlich der Taktik in den Gesprächen mit der Sechsergruppe und die illusionären Siegesmeldungen, dass der Westen „gezwungen worden“ sei, Irans „nukleare Rechte anzuerkennen“, deuten vielleicht auf eine tendenzielle Bereitschaft zu Kompromissen hin. Letztlich mag das von den angebotenen Gegenleistungen abhängen, die bisher weit unterhalb des auch nur Diskutierbaren liegen. Entscheidend für die Iraner wird vermutlich sein, zu welchen Bedingungen eine eventuelle Verständigung zustande kommen könnte: Schließt sie den Konflikt definitiv ab, geht sie also einher mit einer grundsätzlichen Anerkennung des iranischen Rechts auf ein vollständiges ziviles Atomprogramm, einschließlich der Uran-Anreicherung, und einem klaren Zeitplan für die Aufhebung sämtlicher Sanktionen? Oder stößt sie im Gegenteil das Tor auf zu immer weiteren erpresserischen Forderungen, die den Iran letzten Endes zu einem zeitlich unbegrenzten Pariah-Status verdammen würden, der das Land natürlich erst recht militärisch angreifbar machen würde?
Bei realistischer Sicht der Dinge könnte es sich nur um Letzteres handeln. Die israelische Regierung sitzt de facto mit am Verhandlungstisch, wird permanent informiert und konsultiert, hat aufgrund ihrer permanenten Kriegsdrohung gegen Iran ein Vetorecht gegen jede Idee zur friedlichen Lösung des Konflikts. Und Israels Forderungen sind eindeutig: Keine Anreicherung im Iran. Auch nicht die niedrigste Stufe auf 3,5 Prozent, die für die Herstellung von Reaktorbrennstoff notwendig ist. Ablieferung des gesamten bereits angereicherten Materials, gleich welchen Grades. Schließung und Zerstörung der Anreicherungsstätten in Natanz und Fordow.
Vor diesem Hintergrund sind die Gespräche von vornherein zum Scheitern verurteilt. Von der geforderten „freiwilligen“ Kapitulation ist Iran trotz der – bisher noch nicht wirklich wirkungsvollen – Sanktionen sehr weit entfernt. So laufen die gegenwärtig sichtbaren Widersprüche im Iran letztlich nur auf die Frage hinaus, wie sinnvollerweise Schadensbegrenzung betrieben werden kann, indem man sich in den Verhandlungen nicht unnötigerweise als unflexibel brandmarken lässt – ohne sich jedoch durch illusionäre, offenkundig lächerliche falsche Siegesmeldungen selbst zu belügen.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 30. Mai 2012