KNUT MELLENTHIN

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Eine neue Website revolutioniert die iranische Selbstdarstellung zum Atomstreit.

Seit vorigem Freitag ist eine neue Website im Internet zu finden, die mit vielen Fakten und in grafisch gefälliger Form den internationalen Streit um Irans Atomprogramm aus iranischer Sicht erläutert. Die Sprache ist nicht nur korrektes, sondern auch gutes, sachliches Englisch.

Nichts daran ist für iranische Verhältnisse selbstverständlich. Für vermutlich jeden Ausländer, der die Positionen Irans in diesem Streit zumindest für nicht ganz falsch hält, ist die Lektüre englischsprachiger iranischer Medien eine Tortur. Das Darstellen von Fakten sei des Iraners Sache nicht, könnte man angesichts dieser überwiegend trostlosen Veröffentlichungen irrtümlich schlussfolgern. In Meldungen macht die tatsächliche Neuigkeit oft nur ein Fünftel des Textes aus, während der Rest Floskeln sind, die unverändert mehrere Tage lang oder auch über eine Woche mitgeschleppt werden. Überschriften sind vielfach tendenziös, sachlich falsch und widersprechen sogar dem, was im Text steht. Besonders gilt das für die Neigung mancher iranischer Journalisten, sich die Welt schön zu lügen. Also beispielsweise das angeblich nahe bevorstehende Ende des Sanktionsregimes anzukündigen oder negative Äußerungen europäischer Politiker zum Iran in ihr Gegenteil zu verfälschen oder die frei erfundene Meldung zu verbreiten, Russland wolle das verweigerte Luftabwehrsystem S-300 nun doch liefern.

Dass iranische Medien nicht ganz selten auf das haltlose Geschwätz westlicher Welterklärer mit Rechtsdrall hereinfallen und neokonservative Zeitungen als seriös präsentieren, wenn es gerade in ihre eigenen Vorstellungen passt, rundet das Bild ab. Außerdem ist das Englisch oft sehr schlicht gestrickt, ist mangels Sprachschatz stellenweise unpräzise bis unverständlich, die Anordnung der Nachrichten lässt Systematik vermissen, und die Grafik der Websites ist überwiegend unbeholfen.

Der Iran scheint, dieser Eindruck drängt sich nicht nur zum Atomstreit auf, keine „Public Diplomacy“ und keine Auslands-PR machen zu wollen. Dokumentationen in jeder Form – sowohl wissenschaftlicher Art als auch benutzerfreundlich für eher eilige Leser – zu diesem und anderen Themen, bei denen der Iran einer massiven feindseligen Propaganda und falschen Behauptungen ausgesetzt ist, fehlen vollständig. Dass man eine Lüge nicht glaubwürdig widerlegt, wenn man nur stereotyp erklärt, sie entbehre jeder Grundlage, ohne den tatsächlichen Sachverhalt zu erklären, scheint in Teheran noch nicht angekommen zu sein.

Vor diesem Hintergrund ist das Auftauchen der offensichtlich professionell und engagiert gemachten neuen Website nicht nur hocherfreulich, sondern stellt auch, ohne Übertreibung gesprochen, eine Sensation dar. Wer sie in Auftrag gegeben hat, wer ihre Produktion organisiert und wer die ebenso sachkundigen wie ausführlichen Chronologien des iranischen Nuklearprogramms und des internationalen Atomstreits besorgt hat, wer die Seite aktuell betreut und hoffentlich künftig sorgfältig pflegt – all das ist unbekannt. Dass dahinter eine iranische Regierungsstelle steckt, kann man zwar vermuten, aber definitiv ausgewiesen ist es nicht.Sicher lässt sich jedoch sagen, dass man ein derart hochwertiges Produkt nur bekommt, wenn man eine professionelle Agentur beschäftigt und wenn man den Machern der Website nicht viel in ihre Arbeit hineinredet. Dass dies im Iran wirklich möglich zu sein scheint, ist eine angenehme Überraschung.

Die Website weist die Menüpunkte Geschichte (des Atomprogramms), Motive (für die zivile Nutzung der Atomenergie), Nuklearanlagen, Verhandlungen, rechtliche Aspekte, Kontroversen sowie Neuigkeiten und Meinungen auf. Während die übrigen Punkte gut oder teils auch sehr gut ausgearbeitet sind und in optimal knapper Form eine Fülle von Informationen bieten, ist der letzte Punkt im Moment noch unterentwickelt. Das ist kein Wunder, da er naturgemäß der am schwersten zu bearbeitende und politisch heikelste ist. So findet man zum Beispiel über die jüngsten Verhandlungen in Genf kaum viel mehr als in den offiziellen iranischen Medien. Dies zu ändern, wird noch mehr Initiative und Mut der Verantwortlichen erfordern als die Website jetzt schon erkennen lässt.

Adresse der Seite : http://nuclearenergy.ir/

Knut Mellenthin

Junge Welt, 13.11.2013