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Unbequeme Tatsachen
Kriegstreiber wollen "Korrektur" der geheimdienstlichen Erkenntnisse über Irans Atomprogramm erzwingen.
Iran wäre technisch in der Lage, Atombomben zu bauen, will es aber nicht. Das sagen nicht nur Präsident Mahmud Ahmadinedschad und Revolutionsführer Ajatollah Khamenei, sondern auch die maßgeblichen Geheimdienstler und Militärs der USA.
James Clapper, der Chefkoordinator aller 16 US-amerikanischen Geheimdienste, formulierte es am 31. Januar in einer Senatsanhörung so: „Wir schätzen nach wie vor ein, dass Iran sich die Option offen hält, Atomwaffen zu entwickeln, indem es verschiedene nukleare Fähigkeiten entwickelt, die ihm bessere Voraussetzungen verschaffen, solche Waffen zu produzieren, falls es sich dafür entscheiden sollte. Wir wissen jedoch nicht, ob Iran möglicherweise eine solche Entscheidung treffen wird. Iran hat die wissenschaftlichen, technischen und industriellen Kapazitäten, um gegebenenfalls Atomwaffen herzustellen. Damit wird sein politischer Wille, dies zu tun, zur zentralen Frage.“
Clapper bestätigte auf Nachfragen, dass der aktuelle Erkenntnisstand der Dienste im Wesentlichen immer noch dem entspricht, der in dem – unveröffentlichten – Geheimdienstbericht von Anfang vorigen Jahres dargelegt wurde. Dieser wiederum ist weitgehend identisch mit dem vorausgegangenen Bericht, dessen Kurzfassung im Dezember 2007 veröffentlicht wurde. Das Fazit lautet unverändert, dass Iran seine Forschungsarbeiten auf dem Atomwaffensektor im Jahre 2003 eingestellt und seither nicht wieder aufgenommen habe.
Clappers Einschätzung entspricht den Ansichten anderer führender US-Geheimdienstler und Militärs aus jüngster Zeit. Darunter ist zum Beispiel CIA-Chef David H. Petraeus, der bei dem selben Senatshearing auftrat. Auch Verteidigungsminister Leon Panetta und Generalstabschef Martin Dempsey haben sich mehrfach in ähnlicher Weise geäußert.
Bei denjenigen Journalisten der Mainstream-Medien, die unbedingt schnell ihren Krieg gegen Iran haben wollen, haben diese Äußerungen Ärger ausgelöst. Spiegel Online schrieb am 25. Februar: „Angesichts der geballten Skepsis suchen Beobachter nach einer Erklärung für die Zurückhaltung der CIA-Agenten. Kritiker werfen den Schlapphüten sogar vor, in Erinnerung an die blamable Fehleinschätzung über die Bewaffnung des Irak übertrieben vorsichtig zu sein.“
Sehr originell war das nicht: Die New York Times, aus der der Spiegel gern abschreibt, hatte es einen Tag zuvor so formuliert: „Sie – die Skeptiker – kritisieren die CIA, dass sie in ihren Einschätzungen zum Iran übervorsichtig sei, und legen den Verdacht nahe, dass sie damit vielleicht ihre fehlerhaften Einschätzungen überkompensiert, die sie 2002 über Iraks angebliches Atomprogramm abgab, das sich als nicht existierend herausstellte.“
Indessen, die Dinge lagen damals etwas anders: Die CIA stand den Massenvernichtungswaffen-Gerüchten skeptisch gegenüber und riet zur Vorsicht. Von den Neokonservativen im Regierungsapparat unter Führung des Vizepräsidenten Dick Cheney wurde die Agentur daraufhin erfolgreich unter Druck gesetzt, ihre Einschätzung zu „korrigieren“. Was wir jetzt erleben, ist also das alte Spiel.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 1. März 2012