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Steinmeiers offene Tür
"Wir setzen weiter auf Diplomatie", lautet die Botschaft der EU-Staaten, seit am Donnerstag das Ultimatum im Streit um Irans Atomprogramm abgelaufen ist. Von ausgestreckten Händen und offenen Türen ist die Rede. Gemeint ist einfach nur: "Wir sind immer noch jederzeit bereit, die iranische Kapitulation entgegen zu nehmen."
Denn zuerst muss der Iran ohne Einschränkungen und ohne Gegenleistungen die Kernforderung nach Verzicht auf die Uran-Anreicherung und alles, was damit auch nur im Allerentferntesten zusammen hängt, akzeptieren. Vorher wird nicht verhandelt. Darauf haben sich die Regierungen der EU und der USA schon vor Monaten geeinigt. Im August 2005 hat das EU-Trio Deutschland, Frankreich und Großbritannien seine seit Herbst 2003 laufenden Verhandlungen mit dem Iran abgebrochen. Seither ignorieren die Europäer geflissentlich alle iranischen Aufforderungen, ohne Vorbedingungen schnellstens wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Und wenn der Außenpolitik-Chef der EU, Javier Solana, in den nächsten Tagen nach Teheran fliegt, geht es voraussehbar nicht um Verhandlungen, sondern nur um Propaganda: "Schaut her, wir sind so geduldig, aber die Iraner sind total stur."
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier orientiert unterdessen schon auf Sanktionen und auf den "Schulterschluss mit unseren Verbündeten". Das Wort vom "Schulterschluss" stammt aus dem ersten Weltkrieg und bezog sich auf die Allianz zwischen Deutschland und Österreich. Ganz eng damit verbunden war damals ein zweiter Begriff: "Nibelungentreue". Daran ist auch heute wieder zu denken, wenn deutsche Politiker als Bauchrednerpuppen der US-Regierung agieren.
Der Iran wird sich der Forderung nach Verzicht auf die Uran-Anreicherung nicht unterwerfen. Zumal eine Kapitulation in diesem einem Punkt nur einen Rattenschwanz weiterer Forderungen der USA und weiterer Erpressungen durch die "atlantische Gemeinschaft" nach sich ziehen würde. Und dann? Die Schlinge der Sanktionen immer enger ziehen, bis die Iraner keine Luft mehr kriegen und klein beigeben?
Der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow sagte vor einigen Tagen, ihm sei aus der Geschichte kein einziger Fall bekannt, wo Sanktionen ihre Ziele erreichten. Das ist vielleicht allzu absolut gesprochen, aber falls es überhaupt Ausnahmen gibt, sind sie höchst rar. Der vom Golfkrieg geschwächte, innenpolitisch instabile Irak hat den Sanktionen zwölf Jahre lang getrotzt. So lange werden die USA diesmal aber nicht warten. Der eingeschlagene Weg führt zum Krieg. Sofortige Verhandlungen ohne Vorbedingungen, ohne Drohungen und ohne neokolonialen Herrenmenschen-Größenwahn sind die einzige Alternative.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 3. September 2006