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"Risiko unvorhersehbarer Folgen"
Russlands Außenminister warnt vor Militärschlägen gegen Iran. Westliche Medien "zitieren" aus einem Bericht, den es noch gar nicht gibt.
Russland hat am Montag die israelischen Kriegsdrohungen gegen Iran verurteilt. Gegenüber Journalisten wies Außenminister Sergei Lawrow darauf hin, dass man solche Ankündigungen „bei weitem nicht zum ersten Mal“ höre. „Unsere Haltung zu diesem Thema ist wohlbekannt: Das wäre ein ernster Fehler, der das Risiko unvorhersehbarer Folgen in sich trägt.“ Der einzige Weg, um mögliche Sorgen über das iranische Atomprogramm zu beseitigen, bestehe darin, alle nur erdenklichen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme der Gespräche zwischen dem Iran und der Sechsergruppe zu schaffen, die aus China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland und den USA besteht. Das letzte Treffen dieser Art hatte im Januar im türkischen Istanbul stattgefunden. Seither wurde kein Termin für eine weitere Begegnung vereinbart, obwohl Iran mehrmals sein Interesse an einer Fortsetzung der Gespräche bekundet hat.
Lawrow bezog sich mit seiner Stellungnahme auf Äußerungen des israelischen Präsidenten Schimon Peres vom Wochenende. Dieser hatte erklärt, dass zur Zeit ein militärisches Vorgehen gegen Iran sehr viel näher liege als diplomatische Lösungsversuche.
Ebenfalls seit dem Wochenende überschlagen sich die Gerüchte westlicher Medien über den Inhalt des nächsten Vierteljahresberichts der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zum iranischen Atomprogramm. Dabei soll das Papier voraussichtlich erst heute oder morgen an die Mitglieder des 35köpfigen IAEA-Vorstands verschickt werden. Bis zur nächsten Vorstandssitzung, die am 17. und 18. November stattfinden wird, gilt es als vertraulich. Schon seit Jahren ist es jedoch üblich, dass der Bericht sofort nach seiner Fertigstellung an einzelne Journalisten mit sehr einseitiger Einstellung zum Thema weitergereicht wird.
Neu ist jetzt, dass für den Start der Gerüchtekampagne nicht einmal das Vorliegen des Berichts abgewartet wurde. Eine zentrale Rolle spielte dabei David Albright, der zwar vor einigen Jahren für die IAEA gearbeitet hat, aber heute in keinem Zusammenhang mit der Behörde steht. Albright veranstaltete in der vorigen Woche vor ausgewählten Journalisten eine private „Präsentation“, bei der er nicht überprüfbare Behauptungen über den mutmaßlichen Inhalt des noch in Arbeit befindlichen IAEA-Papiers vortrug. Wie weit sich seine Geschichten, die in einigen Medien sofort zu Tatsachen befördert wurden, wirklich mit dem Bericht decken, muss sich erst noch zeigen.
Klar ist aber von vornherein, dass die IAEA über angebliche Atomwaffen-Forschungen des Iran keine eigenen Erkenntnisse besitzt, sondern lediglich „Informationen“ zusammenfassen kann, die sie von westlichen Geheimdiensten wie CIA, Mossad, MI6 und BND erhalten hat. Ein großer Teil des angeblichen Belastungsmaterials ist so „streng geheim“, dass er bis heute dem Iran nicht zur Prüfung und Stellungnahme vorgelegt wurde.
Indessen bereitet der Kongress der USA bereits neue einseitige Sanktionen vor. Am Mittwoch voriger Woche winkte der Außenpolitische Ausschuss des Abgeordnetenhauses einstimmig zwei Gesetzentwürfe durch, die möglichst noch vor Weihnachten verabschiedet werden sollen. Neben Strafmaßnahmen gegen ausländische Unternehmen und Staaten, die Geschäftsbeziehungen zum Iran unterhalten, geht es auch um die Unterbindung diplomatischer Kontakte zur Teheraner Regierung oder einzelnen iranischen Vertretern.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 8. November 2011