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Republikanische Senatoren wollen Geheimdienstbericht über Irans Atomprogramm kippen
Die Angriffe rechter Kreise auf den am 3. Dezember vorgelegten Bericht der US-Geheimdienste zum iranischen Atomprogramm nehmen zu. In dem nur in einer Kurzfassung veröffentlichten Papier (NIE) wird "mit hoher Gewissheit" behauptet, dass Iran im Herbst 2003 alle Arbeiten zur Entwicklung von Atomwaffen gestoppt habe.
Als erster namhafter Regierungsangestellter hat nun der amerikanische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Zalmay Khalilzad, das NIE als "Eigentor" verurteilt. Dadurch werde es schwerer, internationale Unterstützung für noch schärfere Sanktionen gegen Iran zu gewinnen. Khalilzad, der zur neokonservativen Seilschaft gehört, sprach am Donnerstag auf dem Jahreskongress der Union for Reform Judaism im kalifornischen San Diego. Vor seinem Einsatz bei der UNO war der aus Nordafghanistan stammende Diplomat nacheinander Botschafter mit weitgehenden Sondervollmachten in Afghanistan und im Irak.
Auch im Kongress baut sich eine Front gegen das NIE auf. Der republikanische Senator John Ensign, der den Bundesstaat Nevada vertritt, will in den allernächsten Tagen eine Gesetzesinitiative einbringen, um zu erreichen, dass das NIE durch einen paritätisch besetzten Senatsausschuss "überprüft" wird. Dieser soll dann einen Alternativbericht vorlegen.
Der 49jährige Politiker hat sich vor allem als radikaler Streiter für das Abtreibungsverbot einen Namen gemacht hat. Er ist außerdem als bedingungsloser Unterstützer des Irakkriegs bekannt. Sein Vorstoß gegen das NIE wird von seinem republikanischen Kollegen Jeff Sessions aus Alaska unterstützt.
Im März hatte Ensign schon durch eine andere Initiative für außenpolitischen Wirbel gesorgt. Gemeinsam mit dem demokratischen Senator Bill Nelson aus Florida hatte er einen offenen Brief an Außenministerin Condoleezza Rice formuliert, um deren Nahostpolitik zu torpedieren. Hintergrund: Im Februar hatten sich Fatah und Hamas unter saudischer Vermittlung im Abkommen von Mekka auf die Bildung einer gemeinsamen palästinensischen Regierung verständigt. Dieser Einigung waren heftige bewaffnete Kämpfe zwischen Anhängern der beiden Organisationen vorausgegangen. Ensign und Nelson forderten vom State Department, zu der neuen Regierung keinen Kontakt aufzunehmen und ihr vor allem jede materielle Unterstützung zu verweigern. Die pro-Israel-Lobby AIPAC identifizierte sich auf ihrem gerade stattfindenden Jahreskongress, einem traditionellen Politikertreff erster Ordnung, öffentlich mit dem Inhalt des Briefs - mit dem Ergebnis, dass dieser schließlich die Unterschriften von 79 der 100 Mitglieder des Senats trug.
Dieser Vorgang lässt vermuten, dass Ensigns jetzige Initiative zur "Überprüfung" des NIE nicht ganz ohne Chancen ist, zumal wenn er dabei wieder von der Lobby unterstützt würde. Allerdings hat bisher keiner der republikanischen Präsidentschaftskandidaten das NIE in Frage gestellt. Die drei führenden Kandidaten der Demokraten - Hillary Clinton, Barack Obama und John Edwards - haben sich die Schlussfolgerungen des Geheimdienstberichts sogar ausdrücklich zu eigen gemacht.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 15. Dezember 2007