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London log über Zwischenfall im Persischen Golf
Die britische Regierung hat über die Hintergründe des Grenzzwischenfalls im Persischen Golf vor einem Jahr gelogen. Das steht nun auch offiziell fest, nachdem die Londoner Tageszeitung Times am Donnerstag Auszüge aus einem Geheimbericht veröffentlicht hat, der jetzt freigegeben wurde.
Am 22. März 2007 waren 15 britische Marinesoldaten, darunter eine Frau, von der iranischen Küstenwacht festgenommen worden. Sie wurden zwei Wochen später freigelassen. Bisher hat die britische Regierung öffentlich immer wieder behauptet, die Soldaten hätten sich die ganze Zeit absolut eindeutig in irakischen Gewässern befunden.
Der jetzt freigegebene Bericht des Chefs des Verteidigungsstabes trägt die Überschrift "Warum es zu dem Zwischenfall kam" und ist auf den 13. April 2007 datiert. Darin wird festgestellt: Die Gefangennahme der Soldaten erfolgte in einem Seegebiet, das schon seit dem 17. Jahrhundert umstritten ist und in dem niemals eine Grenze vereinbart wurde. Was Verteidigungsminister Des Browne und andere Regierungsvertreter im Fernsehen und im Parlament als angebliche Seegrenze darstellten, ist nur eine vom Oberkommando der US-Marine erfundene Linie. Deren Verlauf war dem Iran niemals mitgeteilt worden.
Aus dem Geheimbericht geht außerdem hervor, dass die iranische Küstenwache in dem umstrittenen Gebiet regelmäßig, im Schnitt drei Mal wöchentlich, Patrouille fuhr. Die britischen Soldaten provozierten demnach den Zwischenfall, indem sie ihre Handfeuerwaffen auf die sich ihnen nähernden iranischen Schnellboote richteten. Als diese trotzdem nicht beidrehten, hätten die Briten vergeblich versucht, Feuerschutz durch einen Militärhubschrauber anzufordern.
Die Festgenommenen waren offenbar mit einem Spionageauftrag unterwegs gewesen. Nach der Freilassung der 15 hatte der britische Sender Sky News ein Gespräch mit einem der Marinesoldaten ausgestrahlt, das kurz vor dem Zwischenfall aufgenommen, wegen seiner Brisanz aber zurückgehalten worden war. Captain Chris Air schilderte in dem Interview das "Sammeln von Informationen" über "jede Art von iranischen Aktivitäten in diesem Gebiet" als wesentliche Aufgabe der Marinepatrouillen. "Schließlich befinden wir uns direkt an der Pufferzone zum Iran", hatte Air hinzugesetzt. Konkret erwähnte er das Ausfragen der Besatzung kontrollierter Frachtschiffe. Schon früher war bekannt geworden, dass die britische Kriegsmarine auch irakische Fischer als bezahlte Informanten anwirbt, weil diese sich am besten in den Gewässern auskennen und "vieles sehen".
Namhafte US-amerikanische Neokonservative hatten den Briten während des Streits um die Gefangenen und danach vorgeworfen, sich "feige" verhalten zu haben und vor den Iranern "eingeknickt" zu sein. Der Publizist Michael Ledeen behauptete, jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, "in legitimer Selbstverteidigung" iranische "Übungslager und Bombenfabriken" anzugreifen. Der frühere Kongressabgeordnete Newt Gingrich forderte die Londoner Regierung auf, Irans Erdölproduktion zu zerstören.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 18. April 2004