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Libanon und Gaza zerstören
Das Kriegsgeschrei in Israel wird täglich schriller. Falls es nach einem „Präventivschlag“ gegen Iran zu Raketenangriffen aus dem Libanon oder dem Gazastreifen kommen sollte, sei Israel imstande, innerhalb von 24 Stunden die Infrastruktur beider Gebiete vernichtend zu treffen und das normale Leben dort vollständig lahm zu legen, drohte Vizepremier Silwan Schalom am Sonntag im Staatssender Israel Radio. Als konkrete Ziele der israelischen Luftwaffe nannte der Politiker Kraftwerke, Ölraffinerien und Flughäfen. Parallel dazu sprach der frühere Chef des Auslandsgeheimdienstes Mossad, Danny Jatom, von der Notwendigkeit, im Kriegsfall „Teile des Libanons und des Gazagebiets zu zerstören“. Auch er betonte die Option, „mit voller Kraft gegen die Infrastruktur vorzugehen“, was seiner Ansicht nach im Libanonkrieg 2006 leider versäumt worden sei. Libanon und Gaza würden „einen schrecklichen Preis zahlen“ müssen, falls es von dort Raketenangriffe gegen Israel geben würde, sagte Jatom.
Zuvor hatte sich Regierungschef Benjamin Netanjahu am Sonntag in scharfer Form über die Kriegsmeldungen und -gerüchte beschwert, die seit über einer Woche täglich in den israelischen Medien zu finden sind. Während einer eigens zu diesem Thema einberufenen Sondersitzung der Minister seiner Likud-Partei bezeichnete Netanjahu das Verhalten der Medien als „weltweiten Skandal“. Es ziele darauf ab, seine Regierung „vom selbstständigen Handeln abzuhalten“. Finanzminister Juval Steinitz warf den Journalisten vor, sie würden „der Sicherheit des Staates Schaden zufügen“.
Die Spekulationen gehen indessen unvermindert weiter. Die Tageszeitung Maariw behauptete am Montag, sie verfüge über gesicherte Informationen, dass die USA sich Israel anschließen würden, falls dieses durch einen „Präventivschlag“ einen Krieg mit dem Iran auslöst. Israel könne in diesem Fall nicht nur mit Waffen- und Munitionslieferungen, sondern auch mit der Unterstützung der US-Luftwaffe rechnen. Als Quellen wurden nicht namentlich bezeichnete Personen aus der Umgebung von Präsident Barack Obama und aus dem Beraterkreis seines republikanischen Gegners Mitt Romney angeführt. Auch Israels Botschafter in Jerusalem, Michael Oren, soll ähnliche „Einschätzungen“ nach Jerusalem gemeldet haben.
In ihre Vermutungen über einen nahe bevorstehenden Angriff gegen den Iran beziehen die israelischen Medien auch die überraschende Ablösung des Ministers für die Verteidigung der Heimatfront ein, die am Sonntag bekannt gegeben wurde. Matan Wilnai wird als Botschafter nach Peking versetzt. Seine Nachfolge wird, wie die Regierung am Dienstag mitteilte, Awi Dichter antreten, der bisher der Knesset als Abgeordneter der größten Oppositionspartei, Kadima, angehörte. Dichter war jahrelang in führenden Positionen für den Inlandsgeheimdienst Schin Beth tätig. Möglicherweise steht Wilnais Ablösung in Zusammenhang mit der schon länger zu vernehmenden Kritik an der Arbeit seines Ministeriums: Israel sei auf mögliche Kriegsfolgen, aber auch auf Naturkatastrophen wie die verheerenden Waldbrände Anfang Dezember 2010, unzureichend vorbereitet, lautet das übereinstimmende Urteil der Medien.
Am vorigen Freitag setzte US-Präsident Obama durch seine Unterschrift ein vom Kongress am 1. August beschlossenes neues Sanktionsgesetz in Kraft. Dem Namen nach richtet es sich gegen Iran. Aber da die USA dorthin schon seit vielen Jahren keine relevanten Handelsbeziehungen mehr haben, ist längst zur Praxis geworden, dass mit den einseitig verhängten US-Sanktionen die Geschäftspartner Irans in aller Welt bestraft werden sollen. Das russische Außenministerium bezeichnete diese Maßnahmen in einer am Montag veröffentlichten Erklärung als „offene Erpressung“ und „krassen Widerspruch zum internationalen Recht“. „Die Bestrebungen, die interne amerikanische Gesetzgebung über die gesamte Welt auszubreiten“, seien „völlig inakzeptabel“und würden die Beziehungen zwischen beiden Ländern „ernsthaft beeinträchtigen“.
Weiter heißt es in der Stellungnahme des russischen Außenministeriums: „Wie wir schon viele Male angesprochen haben, schadet der ständige Anstieg des Drucks auf Teheran und das Stellen von Ultimaten nicht nur den Chancen für eine Bereinigung der Situation um Irans Atomprogramm, sondern kompromittiert auch den Verhandlungsprozess. Einseitige Sanktionen bedeuten eine beträchtliche Gefahr für die Einheit des 'Sextetts' der internationalen Vermittler, die sich mit diesem Problem befassen.“
Knut Mellenthin
Junge Welt, 15. August 2012