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Kronzeuge vom BND
Irans neuer Präsident Hassan Rohani soll für den folgenschwersten Anschlag mitverantwortlich sein, der seit 1945 auf eine jüdische Einrichtung verübt wurde, behaupten israelische und pro-zionistische Medien. Diese Vorwürfe stützen sich jedoch ausschließlich auf die Behauptungen eines Informanten des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND).
Am 18. Juli 1994 wurde das siebenstöckige Gebäude der AMIA (Asociación Mutual Israelita Argentina - eine Art Sozialversicherung) durch eine Bombe zum Einsturz gebracht. Unter den Trümmern starben 85 Menschen, 300 wurden verletzt. In dem Haus befanden sich auch die Büros mehrerer anderer jüdischer Organisationen und ein Gemeindezentrum. Das Gebäude stellte einen Lebensmittelpunkt der argentinischen Juden dar - mit zwischen 200.000 und 300.000 Menschen die größte jüdische Gemeinschaft Lateinamerikas.
Israel und USA machten für den Anschlag sofort den Iran verantwortlich, hatten dafür aber zunächst keine realen Anhaltspunkte. Das änderte sich, als 1996 ein iranischer Geheimdienstmann in Deutschland auftauchte, Asyl beantragte und ein außerordentliches Erzähltalent an den Tag legte. Abdolghassem Mesbahi war nicht nur Kronzeuge im Berliner Mykonos-Prozess 1997, in dem es um die Ermordung von drei aus dem Iran stammenden kurdischen Exil-Politikern ging. Mesbahi behauptete auch ganz genau zu wissen, dass der Anschlag auf das AMIA-Gebäude am 14. August 1993 in einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats beschlossen worden sei. Er nannte sogar die exakte Uhrzeit ("zwischen 14.30 und 18.30") und den Ort des Treffens: nicht etwa Teheran, sondern die Provinzstadt Maschad. Selbst dabei gewesen sein will Mesbahi aber nicht. Er habe das alles von einem Geheimdienstkollegen gehört, der jedoch schon gestorben war, als der BND-Informant seine sensationelle Geschichte zu erzählen begann.
Die jetzt gegen Rohani erhobenen Anschuldigungen beziehen sich auf die Tatsache, dass er damals Sekretär, das heißt faktisch Chef des Nationalen Sicherheitsrats war. Die neokonservative Propaganda-Website The Washington Free Beacon, wo dieser Vorwurf zuerst auftauchte, berief sich dabei auf die aus dem Jahr 2006 stammende Anklageschrift des argentinischen Staatsanwalts Alberto Nisman. Das ist offensichtlich falsch: Genannt werden dort unter anderem Haschemi Rafsandschani, der von 1989 bis 1997 Präsident Irans war, der frühere iranische Außenminister Ali Akbar Welajati, der amtierende Verteidigungsminister Ahmad Wahidi, der frühere iranische Geheimdienstchef Ali Fallahian und der ehemalige Kommandeur der Revolutionsgarde Mohsen Rezai – nicht aber Rohani. Das erläuterte Nisman am 24. Juni gegenüber der rechtsgerichteten Zeitung Times of Israel: Der angebliche Attentatsbeschluss sei nicht im Sicherheitsrat, sondern in einem mit diesem weitgehend personengleichen Parallelgremium gefallen. Rohani habe an dem Treffen – für dessen Stattfinden es jedoch außer Mesbahis Behauptung keine Indizien gibt – nach den Erkenntnissen der Ermittlungsbehörde nicht teilgenommen.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 29. Juni 2013