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Kriegsgerede geht weiter
US-Regierung will Meldungen über Lieferung von Angriffswaffen an Israel nicht dementieren. Ehemaliger Mossad-Chef warnt vor „Präventivschlag“.
In Israel sind die Meinungen über einen „Präventivschlag“ gegen Iran nach wie vor geteilt. Während die Mehrheit der Bevölkerung ebenso wie zahlreiche namhafte Militärs und Geheimdienstler einen Alleingang ihres Landes ablehnen, setzt die Regierung ihr Kriegsgerede fort. In einer Reihe von Interviews mit drei verschiedenen israelischen Fernsehsender bezeichnete Premierminister Benjamin Netanjahu am Donnerstag eine Entscheidung als nahe bevorstehend. „Wir stehen nicht mit einer Stoppuhr in der Hand. Das ist keine Frage von Tagen oder Wochen, aber auch nicht von Jahren. Das Ergebnis muss die Entfernung der Atomwaffendrohung aus Irans Händen sein.“
Dagegen wiederholte der frühere Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, Meir Dagan, seine Warnungen vor einem „Präventivschlag“. In einem Interview mit dem US-amerikanischen Sender CBS, das in Gänze am Sonntag ausgestrahlt wird, sagte er, dass ein solcher Angriff sich gegen „eine große Zahl von Zielen“ richten müsste und nicht voreilig unternommen werden dürfe. Die iranische Führung sei keineswegs, wie die offizielle israelische Propaganda behauptet, verrückt und unberechenbar, sondern „sehr rational“. Das gelte auch für Präsident Mahmud Ahmadinedschad, antwortete Meir auf eine Nachfrage. Es sei zwar eine eigene Art von Rationalität, nicht im Sinne westlichen Denkens. „Aber zweifellos ziehen sie sämtliche Implikationen ihrer Handlungen in Betracht. (…) Sie müssten einen hohen Preis bezahlen, und ich denke, dass die Iraner zu diesem Zeitpunkt mit der Sache sehr vorsichtig umgehen. (…) Sie überhasten nichts.“
Die aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und Deutschland bestehende Sechsergruppe appellierte am Donnerstag öffentlich an Iran, „sich zu einem baldigen Zeitpunkt ohne Vorbedingungen auf den kontinuierlichen Prozess eines ernsthaften Dialog einzulassen, der zu konkreten Ergebnissen führt“. Ziel solle es sein, „aufbauend auf dem Prinzip des 'Schritt für Schritt' und der Gegenseitigkeit wechselseitiges Vertrauen für eine umfassende und langfristige Lösung des iranischen Atomproblems zu finden.“
Mit den Begriffen „Schritt für Schritt“ und „Gegenseitigkeit“ folgt die Stellungnahme einem russischen Vorschlag, der vor wenigen Monaten in die Debatte gebracht wurde. Im Kern geht es darum, zunächst im Tausch gegen Teilzugeständnisse Irans einzelne UN-Sanktionen aufzuheben oder auszusetzen.
Der politische Zweck einer öffentlichen Stellungnahme zu diesem Zeitpunkt erschließt sich nicht: Die Sechsergruppe und der Iran sind ohnehin schon vor einigen Tagen übereingekommen, sich in absehbarer Zeit erneut zu einem Gespräch zu treffen. Nur Ort und Zeitpunkt gilt es noch zu vereinbaren.
Ebenfalls am Donnerstag gab das Weiße Haus in Washington ein auffallend gewundenes Dementi zu Berichten über geplante Waffenlieferungen ab. Mehrere Zeitungen hatten zuvor gemeldet, dass Israel zusätzliche bunkerbrechende Bomben und mehrere Auftankflugzeuge zur Ermöglichung von Angriffen über lange Strecken erhalten solle. Im Gegenzug habe sich Netanjahu verpflichtet, Iran frühestens 2013, also nicht vor der US-Präsidentenwahl Anfang November, anzugreifen. Pressesprecher Jay Carney sagte dazu, ein solcher Deal sei beim Treffen zwischen Präsident Barack Obama und Netanjahu am Montag weder diskutiert noch vereinbart worden. Carney lehnte aber die Beantwortung der Nachfrage ab, ob Washington in nächster Zeit weitere und stärkere bunkerbrechende Bomben an Israel liefern werde.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 10. März 2012