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Kampf zweier Linien
Im Iran wird um den strategischen Kurs gegenüber dem Westen gestritten. Angesichts des Fehlens sachlicher Informationen ist es eine Debatte ohne Substanz.
In Teheran und anderen iranischen Städten fanden am Montag wieder die üblichen alljährlichen Massendemonstrationen, Großkundgebungen und Veranstaltungen zum Gedenken an die Besetzung der US-Botschaft statt, die am 4. November 1979 begann und erst am 20. Januar 1981 beendet wurde. Westlichen Agenturberichten zufolge waren es die größten Demonstrationen dieser Art seit vielen Jahren, nachdem die Teilnehmerzahlen in den vergangenen Jahren deutlich abgesunken waren.
Hunderttausende riefen die traditionelle Hauptparole „Tod den USA!“, die sich auch weniger martialisch mit „Nieder mit den USA!“ übersetzen lässt. Zeitungen und Politiker, die den sogenannten Reformern nahestehen, hatten in den vergangenen Wochen polemisiert, dass diese Parole angesichts der Bemühungen um bessere Beziehungen in den USA – die indessen noch nicht das geringste praktische Ergebnis zu verzeichnen haben - „nicht mehr zeitgemäß“ sei.
Vor kurzem waren Großplakate mit dieser Parole, die eine Gruppe in Teheran und anderen Städten massenhaft angebracht hatte, auf Anweisung der Behörden entfernt worden. Ebenso wurde mit Plakaten verfahren, auf denen die Ehrlichkeit der US-Regierung sarkastisch in Frage gestellt worden war. Sie zeigten einen Iraner und einen Amerikaner am Verhandlungstisch. Jener trug oben Hemd und Anzugjacke, unter dem Tisch aber eine Uniformhose mit Militärstiefeln und hielt ein Gewehr in der Hand. Als Grund für die Entfernung der Plakate wurde angegeben, dass sie nicht ordnungsgemäß beantragt worden seien.
Viele Iraner, insbesondere naturgemäß die Gruppen, die hierzulande als „Hardliner“ und „Konservative“ bezeichnet werden, aber auch führende Funktionäre der Revolutionsgarden, kritisieren das absolute Fehlen von Informationen über die internationalen Verhandlungen um die Zukunft des Atomprogramms. Da sie davon ausgehen, dass sich an den Forderungen und Zielen der USA nichts Wesentliches geändert habe, befürchten sie, dass die Teheraner Regierung unter dem neuen Präsidenten Hassan Rouhani eine Einigung durch Preisgabe eigener zentraler Position anstrebt.
Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei hat am Sonntag erneut in diese Debatte eingegriffen, indem er auf seiner Website forderte, niemand solle dem iranischen Verhandlungsteam übermäßige Kompromissbereitschaft vorwerfen. Zugleich wiederholte er, dass er persönlich hinsichtlich des weiteren Verlaufs der Gespräche mit der Sechsergruppe „nicht optimistisch“ sei, und setzte ein wirklich nicht hoffnungsvoll klingendes „Aber mit Gottes Hilfe werden wir wenigstens keinen Schaden (durch die Verhandlungen) erleiden“ hinzu.
Die meisten iranischen Medien stellen hinsichtlich der Gespräche beharrlich ein Wunschdenken zur Schau, das dort zwar als „Optimismus“ bezeichnet wird, aber immer wieder die Grenze zur Verfälschung der Tatsachen überschreitet. Viele iranische Journalisten tun so, als wäre die Aufhebung der Sanktion in absehbarer Zeit schon eine ausgemachte Sache. Mit der Behauptung, der Westen habe verstanden, dass er Iran durch Drohungen und Erpressungen nicht einschüchtern könne, und habe deshalb seine Politik korrigiert, versucht man zugleich, auch nationalistische Kräfte zufrieden zu stellen.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 7. November 2013