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Israel bangt um Operationsfreiheit
Keine glaubwürdigen Indizien für angeblichen iranischen Waffenschmuggel nach Gaza
Israels Piraten haben wieder zugeschlagen. Der Frachter „Victoria“, den sie am Dienstag kaperten, befand sich 320 Kilometer weit von der Küste entfernt. Schiffe in internationalen Gewässern zu stürmen sei nicht nur Israels Recht, sondern sogar seine Pflicht, erläuterte Regierungschef Benjamin Netanjahu am nächsten Tag während einer großen Propagandaschau im Hafen Asdod, in den die „Victoria“ mittlerweile dirigiert worden war.
Säuberlich am Kai aufgereiht waren die Waffen zu besichtigen, die der Frachter angeblich an Bord gehabt hatte: als Prunkstücke sechs chinesische Raketen des Typs C-704 zur Bekämpfung von Schiffen, 230 Mörsergranaten mit einer Reichweite von bis zu zehn Kilometern, 2260 Mörsergranaten für eine Reichweite von bis zu 2,5 Kilometern, und rund 70.000 Schuss Munition für das unter dem Namen Kalaschnikow bekannte russische Sturmgewehr AK-47.
Die israelische Regierung behauptet, die Waffen seien aus dem Iran gekommen und hätten über den ägyptischen Hafen Alexandria in das Gaza-Gebiet geschmuggelt werden sollen. Für den zweiten Teil dieser Theorie hat Israel bisher nicht einmal vage Anhaltspunkte geliefert. Die vorgelegten angeblichen Indizien für eine Herkunft der Sendung aus dem Iran beziehen sich ausschließlich auf die chinesischen Raketen – und sie sind alles andere als überzeugend. Zum einen präsentierten die israelischen Militärs eine in Farsi – der iranischen Landessprache – verfasste Broschüre, bei der es sich angeblich um eine Bedienungsanleitung für die Rakete handeln soll. Was Palästinenser mit dem Heft hätten anfangen können, blieb bei der Propagandaschau unerklärt. Als zweiter Beweis wurde darauf hingewiesen, dass auf jede der sechs Raketen säuberlich das Wort „Nasr“ gepinselt war. Angeblich lautet so die iranische Bezeichnung für die C-704. Aber das ist nicht ganz das, was man bei einem politisch brisanten Waffenschmuggel erwarten würde.
Die inszenierte israelische Aufregung konzentriert sich hauptsächlich auf die sechs Anti-Schiff-Raketen, die eine Reichweite bis zu 35 Kilometer haben. Eine solche Waffe hatte die Hisbollah während des Libanonkriegs 2006 auf ein israelische Kriegsschiff abgefeuert, das dadurch schwer beschädigt wurde. Vier Marinesoldaten starben bei diesem Angriff. Israelische Politiker klagen jetzt, dass „das strategische Gleichgewicht in der Region verändert worden wäre“, wenn die chinesischen Raketen das Gaza-Gebiet erreicht hätten. Eine klarere Aussage ist, dass die Blockade des Gebiets vielleicht etwas riskanter würde, wenn die Palästinenser diese Abwehrwaffe zur Verfügung hätten. In Israel nennt man das empört: „Untergrabung unserer Operationsfreiheit“.
Soweit bisher ersichtlich hatte die „Victoria“ vom syrischen Lattakia aus den türkischen Hafen Mersin angesteuert. Auf der Weiterfahrt von dort nach Alexandria wurde sie von einer Einheit der israelischen Marine aufgebracht. Die unter Linsen und Baumwolle verpackten Waffen sollen sich in lediglich vier von 39 Containern befunden haben, die in Lattakia an Bord genommen wurden. Wie das Schmuggelgut aus dem Iran dorthin gelangt sein soll, wissen die israelischen Stellen nach eigenen Angaben nicht. Sie verweisen lediglich darauf, dass das Material von den beiden iranischen Kriegsschiffen mitgebracht worden sein könnte, die vor wenigen Wochen in Lattakia zu Besuch waren.
Der iranische Armeechef Generalmajor Ataollah Salehi wies die israelischem Meldungen über den Waffenschmuggel am Mittwoch als „Lügen“ zurück.
Knut Mellenthin
18. März 2011