Funktionen für die Darstellung
Seitenpfad
Iranische Initiative
Iran will die seit Monaten festgefahrenen und praktisch eingestellten Verhandlungen über ein nukleares Tauschgeschäft wieder in Gang bringen. Das kündigte Außenminister Manuchehr Mottaki am Sonntag an. Teheran will zu diesem Zweck direkte Gespräche mit 14 der 15 Mitglieder des UN-Sicherheitsrats aufnehmen. Nur der Kontakt zu den USA werde zunächst indirekt verlaufen, sagte Mottaki.
Das umstrittene Tauschgeschäft war im Oktober vorigen Jahres von der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) vorgeschlagen worden. Anlass war die Bitte Irans an die Behörde, bei der Beschaffung von neuem Nuklearbrennstoff für einen Reaktor in Teheran behilflich zu sein. In der Anlage, die dem Iran zur Zeit der Schah-Herrschaft von den USA geschenkt worden war, werden Isotope für die Behandlungen von Krebspatienten hergestellt. Zum Betrieb des Reaktors ist Uran erforderlich, das auf 19,75 Prozent angereichert ist. Die Brennplatten, die Iran 1993 von Argentinien gekauft hatte, sind voraussichtlich in diesem Jahr verbraucht.
Da die Lieferung dieses Brennstoffs ausschließlich zivilen Zwecken dienen würde und kein militärisches Risiko enthält, müsste es dem Iran nach dem Atomwaffensperrvertrag ohne weiteres erlaubt sein, das Material auf dem internationalen Markt zu kaufen. Stattdessen schlug die IAEA einen Ringtausch vor. Demnach soll Iran einen erheblichen Teil – 75 oder sogar 80 Prozent – seiner Vorräte an schwach angereichertem Uran an Russland liefern. Dort soll es höher angereichert und anschließend nach Frankreich zur Weiterverarbeitung in Metallplatten transportiert werden. Iran müsste also zunächst in Vorleistung treten und anschließend mehrere Monate oder sogar ein ganzes Jahr auf die Lieferung des Brennstoffs warten.
Deshalb stieß der IAEA-Vorschlag, dem eine iranische Verhandlungsdelegation zunächst „im Prinzip“ und mit Vorbehalt zugestimmt hatte, in der iranischen Öffentlichkeit und selbst bei Oppositionspolitikern auf starke Kritik. Ein wesentlicher Hintergrund ist die durch viele negative Erfahrungen genährte Furcht, wieder einmal betrogen zu werden. Iran verlangte deshalb, in technische Detailverhandlungen über das Tauschgeschäft einzutreten. Diese sollten vor allem sicherstellen, dass im Gegenzug gegen die Abgabe des schwach angereicherten iranischen Urans wirklich auch die Brennplatten geliefert werden. Um das zu gewährleisten, schlug Iran einen gleichzeitigen Austausch, möglicherweise auch in mehreren Schüben, vor. Diese Transaktion könnte beispielsweise auch auf türkischem Boden durchgeführt werden, da Iran zu diesem Nachbarstaat gute Beziehungen hat.
Indessen verweigern USA und EU alle Verhandlungen über die Modalitäten des Tauschgeschäfts. Russland und China haben diese Taktik bisher widerspruchslos mitgetragen, ohne Vermittlungsversuche zu unternehmen. Iran hat daher begonnen, selber Uran auf den erforderlichen Anreicherungsgrad zu bringen. Ob Teheran jetzt neue Vorschläge ins Spiel bringen will, ging aus Mottakis Ankündigung nicht hervor.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 20. April 2004