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Industriediamanten statt Atombomben
Die Paragraphen 41 bis 46 des seit einer Woche verbreiteten Berichts des IAEA-Generaldirektors beschäftigen sich mit angeblichen Forschungen Irans über Zündmechanismen, die für nukleare Explosionen benutzt werden „können“. Iran habe „Zugang“ zu entsprechenden Konstruktionsplänen gehabt und „mindestens“ ein Mal, im Jahre 2003, ein Experiment mit einem solchen Mechanismus unternommen.
Aus dem Bericht wird deutlich, dass die „Informationen“, auf die sich die Internationale Atombehörde bei diesen Behauptungen oder Vermutungen stützt, ausschließlich von ein und dem selben Mitgliedstaat der IAEA geliefert wurden. Generaldirektor Jukija Amano offenbart jedoch an keiner einzigen Stelle seines Reports, welche Staaten – es sollen insgesamt zehn gewesen sein – zu den „Erkenntnissen“ seiner Behörde beigetragen haben und welche „Informationen“ jeweils welchem Staat zuzuordnen sind. Aufgrund dieser Verschleierungstaktik lässt sich nicht annähernd analysieren, welchen Anteil die Geheimdienste hochgradig engagierter Staaten wie USA und Israel, aber auch Deutschlands, Großbritanniens und Frankreichs sowie einiger reaktionärer arabischer Autokratien an den von Amano ausgebreiteten Behauptungen haben. Einige dieser Dienste haben, wie im Falle der Vorbereitung des Irakkrieges, eine unrühmliche Vorgeschichte der Verbreitung von Falschmeldungen und gefälschten Dokumenten. Um die Glaubwürdigkeit bestimmter “Informationen“ einschätzen zu können, ist nicht unwichtig, von welcher Seite sie stammen und welche Interessen möglicherweise dahinter stehen. Anhand des IAEA-Berichts ist das jedoch absolut unmöglich.
In Paragraph 44 ist von „starken Anzeichen“ die Rede, dass Iran bei seinen Forschungsarbeiten über Zündmechanismen von einem „ausländischen Experten“ unterstützt worden sei. Nach „Informationen“, die von einem Mitgliedstaat geliefert worden seien – es ist nicht zu erkennen, ob es der selbe war, der schon zuvor erwähnt wurde -, habe diese Person „einen großen Teil seines Lebens im Nuklearwaffen-Programm seines Ursprungslandes gearbeitet“. Nach Aussagen verschiedener Seiten, darunter auch von ihm selbst, habe dieser „Experte“ sich von 1996 bis ungefähr 2002 im Iran aufgehalten, um dort „angeblich an der Entwicklung einer Anlage und von Techniken“ zur Herstellung synthetischer Industriediamanten mitzuwirken. Außerdem habe er wissenschaftliche Vorlesungen zu diesem Thema gehalten. Konkrete Anhaltspunkte, dass der angegebene Zweck seiner Tätigkeit im Iran etwa nur ein Vorwand war, enthält der Amano-Report nicht.
Auch in diesem Fall wird durch die Anonymisierung des ausländischen „Experten“ eine Überprüfung der von Amano vorgenommenen Unterstellung erschwert. Indessen ist inzwischen durch mehrere Medien, darunter die Washington Post, bekannt geworden, dass es sich um den 76jährigen Ukrainer Wjascheslaw Danilenko handelte. Er ist tatsächlich seit vielen Jahren ein angesehener Fachmann und Wissenschaftler auf dem Gebiet der sogenannten Nanodiamanten, die unter anderem für feine Schleifarbeiten verwendet werden. Zu deren Herstellung werden, das scheint der Kern der Konstruktion, tatsächlich Explosionen ausgelöst.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 14. November 2011