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Glaubwürdige Kriegsdrohung
Während Iran und die 5+1 (China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA) noch über Termin und Inhalt ihres nächstens Treffens verhandeln, drängt Israel auf eine radikale Verschärfung der Konfrontation. Premierminister Benjamin Netanjahu forderte die US-Regierung zu Beginn eines viertägigen Aufenthalts in den Vereinigten Staaten am Sonntag auf, deutliche Kriegsvorbereitungen gegen Iran einzuleiten. Gegenüber Vizepräsident Joe Biden legte der israelische Regierungschef dar, dass Teheran allein durch Sanktionen nicht in die Knie zu zwingen sei. Nur eine „glaubwürdige“ militärische Drohung könne Iran dazu veranlassen, auf zentrale Teile seines zivilen Atomprogramms zu verzichten. Israel, das selbst über bis zu 200 Nuklearwaffen mit verschiedenen Trägersystem verfügt, ist seit Beginn der 1990er Jahre der lauteste und hartnäckigste Kriegstreiber gegen Iran.
Vor Netanjahu hatte schon US-Senator Lindsey Graham am Sonnabend zu einem vernichtenden Luftkrieg gegen Iran aufgerufen. Der Republikaner trägt seine Forderung seit einiger Zeit in immer kürzeren Abständen vor. Zuletzt hatte er sich im September in diesem Sinn vernehmen lassen und davor im März. In einer ersten Reaktion auf Netanjahus Vorstoß erklärte Biden, dass die Sanktionen schon „messbare Wirkung“ zeigen würden und dass die USA zunächst weiter auf dieses Mittel setzen wollten. Ähnlich äußerte sich auch Kriegsminister Robert Gates.
Irans Außenminister Manuchehr Mottaki brachte am Sonntag die Türkei als möglichen Schauplatz der nächsten Begegnung mit der Sechsergruppe ins Spiel. USA und EU hatten bisher auf Wien orientiert. Mottaki machte zugleich ganz deutlich, dass es bei diesem nächsten Treffen um eine Vielzahl von Themen gehen sollte, nicht aber um das iranische Atomprogramm. Die Iraner möchten hauptsächlich über Fragen von gemeinsamem Interesse sprechen. Dazu gehören unter anderem die Stabilisierung der Lage in Afghanistan und Irak sowie sicher auch der internationale Drogenhandel von Afghanistan aus, durch den Iran schwer betroffen ist.
Getrennt von diesem Gesprächsstrang strebt Iran außerdem eine Wiederaufnahme der vom Westen seit einem Jahr blockierten Verhandlungen über den „fuel swap“ an. Dabei geht es um die Lieferung von Brennstäben für einen Reaktor in Teheran, der Isotopen für die Behandlung von Krebspatienten produziert. Diskutiert war bisher, dass Iran im Gegenzug 1200 Kilo schwach angereichertertes Uran (LEU) exportiert. Im Oktober 2009 scheiterte der Handel jedoch an der ultimativen westlichen Forderung, dass Iran das LEU sofort abliefern müsse, ohne eine Garantie zu haben, nach einem Jahr wirklich die Brennstäbe zu erhalten. Seit Februar reichert Iran deshalb LEU auf die erforderlichen 20 Prozent an, um daraus selbst Brennstäbe herzustellen.
Gleichzeitig ist Teheran aber weiter gesprächsbereit, um den Tauschhandel doch noch zu realisieren. Seit Mai liegt der iranische Vorschlag auf dem Tisch, das LEU bis zur Lieferung der Brennstäbe in der Türkei zu lagern. Mittlerweile hat die US-Regierung aber ihre Forderung in die Höhe geschraubt: Iran soll jetzt 2000 Kilo LEU exportieren und zudem die inzwischen produzierten 30 Kilo zwanzigprozentiges Uran abgeben. Aber da die früher vereinbarten 1200 Kilo LEU genau der zur Herstellung der Brennstäbe benötigten Menge entsprechen, ist nicht damit zu rechnen, dass sich Teheran auf die Forderung aus Washington einlassen wird.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 9. November 2010