KNUT MELLENTHIN

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Gerüchte und Spekulationen

Informationen über israelische Angriffspläne gegen Iran im Frühjahr sind fragwürdig.

Neue Gerüchte über israelische Angriffspläne gegen Iran machen weltweit die Runde. Noch vor dem Sommer soll es so weit sein, behauptete David Ignatius, Redakteur und Kolumnist der Washington Post, am Donnerstag. Ohne Angabe seiner Quelle schrieb er dort: „Panetta – der Verteidigungsminister der USA – glaubt, dass Israel mit hoher Wahrscheinlichkeit im April, Mai oder Juni zuschlagen werde, bevor Iran das erreicht, was Israel als 'Zone der Immunität' für den Start der Konstruktion einer Atombombe bezeichnet. Die Israelis fürchten, dass die Iraner sehr bald genug angereichertes Uran in tief unterirdischen Anlagen gespeichert haben, um eine Waffe herzustellen – und dass dann nur noch die USA sie mit militärischen Mitteln aufhalten könnten.“

Nach diesem Artikel befragt, versuchte Panetta zunächst, einer Antwort auszuweichen, und sagte schließlich nur: „Sie wissen ja, dass die Israelis darüber nachdenken und dass wir ihnen unsere Bedenken verdeutlicht haben.“

Die „Zone der Immunität“ ist ein erst in jüngster Zeit kreierter israelischer Propagandabegriff. Sie hat das früher gebräuchliche Wort vom „Point of no Return“ (wörtlich: Punkt ohne Rückkehr) abgelöst, das den Zeitpunkt bezeichnen sollte, ab dem ein militärisches Aufhalten der angeblichen iranischen Atomwaffenpläne nicht mehr möglich sei. Dieser „Punkt“ wurde in den vergangenen zwölf Jahren immer wieder verschoben. Entsprechend lang ist die Liste der israelischen und US-amerikanischen Angriffstermine, die im Laufe der Zeit in den Medien gehandelt wurden. Der „Zone der Immunität“ könnte es ähnlich ergehen.

Letztlich müssen solche Gerüchte immer irgendeinen Ursprung haben. Nach Lage der Dinge können die zugrunde liegenden Informationen oder auch Desinformationen nur aus den Geheimdienst- und Militärapparaten der beteiligten Länder stammen. Die Frage ist, mit welchen Absichten und zu welchen Zwecken sie in die Welt gesetzt werden.

Am Freitag sah sich das Moskauer Außenministerium genötigt, sich mit einer offiziellen Stellungnahme ausdrücklich von einem Gerücht zu distanzieren, das die russische Zeitschrift Argumenty Nedeli unter Berufung auf anonyme Insiderquellen verbreitet hatte. Angeblich, so das Blatt, werde zwischen Washington und Moskau ein politisches Tauschgeschäft verhandelt: Russland werde grünes Licht für US-amerikanische Militäroperationen gegen Iran geben, und der Westen wolle dafür auf eine Intervention in Syrien verzichten. „Nichts kann von der Wahrheit weiter entfernt sein“, erklärte dazu das russische Außenministerium auf seiner Website.

Chefredakteur der Argumenty Nedeli ist Andrei Uglanow. Sein Name machte im Frühjahr 2007 weltweit die Runde: Im März jenes Jahres sagte er voraus, dass die USA am 6. April mit Luftangriffen gegen den Iran beginnen würden. Sogar die genaue Zeit, 4 Uhr morgens, behauptete er zu kennen. Leichtgläubige Blogger und Journalisten sorgte für maximale Verbreitung des Gerüchts. Zwe i Jahre später wiederholte Uglanow die Farce. Nun nannte er als feststehenden Angriffstermin den 30. Oktober 2009, 3 Uhr morgens. Angeblich hatte er die Information von anonymen russischen Militärexperten erhalten, die dem Generalstab der Streitkräfte nahe stünden.

Niemand wird vernünftigerweise kategorisch ausschließen, dass so ein Gerücht irgendwann einmal auch stimmen könnte. Trotzdem sollte im aktuellen Fall bedacht werden: Erstens, die israelischen Behauptungen über ein „Zeitfenster“ für Militäraktionen gegen die iranischen Atomanlagen, das sich gegenwärtig ganz rasch schließe, sind reine Propaganda. Zweitens: Wesentliche Teile der israelischen Raketenabwehr können frühestens Ende des Jahren stationiert werden. Auch die Kooperation mit den USA auf diesem Gebiet soll noch optimiert werden. Drittens: Israel ist, wie das Ministerium für Landesverteidigung gerade am Wochenende feststellte, für den Schutz seiner Städte unzureichend vorbereitet. Die jetzt vom Ministerium geforderten Investitionen werden jedoch erst in einigen Jahren wirken.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 6. Februar 2012