KNUT MELLENTHIN

Funktionen für die Darstellung

Darstellung:

Seitenpfad

Gemeinsam für den Frieden

Kriegsdrohungen der USA und Israel gegen Iran sind seit mehr als einem Jahrzehnt so ständig präsent, dass man sich in Teheran längst daran gewöhnt hatte, sie als psychologische Manöver zu ignorieren, hinter denen keine realen Handlungsabsichten stünden. Seit November vorigen Jahres hat sich das Klima aber so verschärft, dass die Diskussion über Vor- und Nachteile von Militäroperationen gegen die iranischen Atomanlagen zum Alltagsgeschäft der Medien gehört. Betrachtet man die scheinbaren Meinungsverschiedenheiten zwischen den Regierungen der USA und Israels in dieser Frage, scheint es nur noch darum zu gehen, ob der richtige Zeitpunkt zum Losschlagen schon gekommen ist oder ob man das Wirken der Sanktionen noch ein paar Monate lang abwarten sollte.

Dabei sind sich die meisten Politiker und Militärs der Welt, unabhängig von ihrer sonstigen Beurteilung des Konflikts, darin einig, dass ein solcher Krieg wahrscheinlich die gesamte Region zwischen der Ostküste des Mittelmeeres, dem Indischen Ozean, Zentralasien und der chinesischen Grenze in Mitleidenschaft ziehen würde. Russland steht keineswegs allein mit seinen Warnungen, dass die Folgen „katastrophal“ sein könnten und dass sie zudem weder voraussehbar noch kontrollierbar sein würden.

Aber wo sind Alternativen? Westliche Politiker behaupten, alles könne gut werden, wenn die iranische Führung unter dem Druck der wirtschaftlichen und finanziellen Strafmaßnahmen „zur Besinnung kommt“ und „an den Verhandlungstisch zurückkehrt“. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus: Teheran ist mittlerweile mit einem undurchschaubaren, unentwirrbar erscheinenden Knäuel von Forderungen auf ganz verschiedenen Gebieten konfrontiert, die keinen Verhandlungsspielraum und keine Kompromissmöglichkeiten erkennen lassen.

Der seit Jahrzehnten international bekannte und angesehene Friedensforscher Christoph Bertram urteilte am 21. Februar in der ZEIT: „... die USA und ihre europäischen Partner wollen nicht wirklich verhandeln. Sie verlangen vielmehr eine Kapitulation des Irans in der Atomfrage – die Einstellung jeglicher atomarer Anreicherung. (…) Der Iran soll unter der Knute 'verkrüppelnder Sanktionen' zu Kreuze kriechen. Und wenn das – wie vorhersehbar – nicht geschieht? Dann bleibt nur noch das Mittel militärischer Gewalt (…). Auf dieser Basis kann die jetzt geplante Wiederaufnahme des Dialogs mit dem Iran nur scheitern.“

In diesem Kontext sind die Forderungen, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen seit Dezember 2006 in nunmehr vier Sanktionsresolutionen festgeschrieben hat, nur ein Teil des Problems. Demnach wird vom Iran im Wesentlichen verlangt: Erstens die vollständige und dauerhafte Unterbrechung aller Tätigkeiten, die im weitesten Sinn mit der Uran-Anreicherung zu tun haben. Zweitens die Einstellung aller Arbeiten, die mit dem Bau eines Schwerwasser-Reaktors in Arak zusammenhängen. Drittens die Rückkehr zum sogenannten Zusatzprotokoll, das stark erweiterte Inspektionsrechte der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), einer Unterorganisation der UNO, vorsieht. Teheran hatte das Zusatzprotokoll im Jahre 2003 freiwillig akzeptiert, aber sich zwei Jahre später wieder daraus zurückgezogen. Viertens die Zusammenarbeit mit der IAEA bei der „Klärung offener Fragen“ aus der Vergangenheit des iranischen Atomprogramms. Fünftens: Verzicht Irans auf die Entwicklung von Mittel- und Langstreckenraketen.

Keine dieser Forderungen ist in vertraglichen Verpflichtungen begründet, die der Iran eingegangen ist. Insbesondere ergeben sie sich nicht aus dem Atomwaffensperrvertrag (NPT), sondern stehen zum Teil sogar in klarem Widerspruch zu diesem. Es handelt sich um einen Versuch, Iran zeitlich unbefristet unter ein weltweit einmaliges Sonderrecht zu stellen.

Teheran kann diese Forderungen nur insgesamt erfüllen – und sich damit einem Pariah-Status unterwerfen, der es weiterhin erpressbar machen würde – oder ablehnen. Zur Verhandlung steht dabei in Wirklichkeit nichts. Aber selbst wenn der Iran alle Resolutionen des UN-Sicherheitsrats akzeptieren würde, wäre noch nicht viel erreicht: Die von diesem Gremium verhängten Sanktionen sind ohnehin vergleichsweise harmlos und schaden dem Land kaum. Die UN-Beschlüsse haben den USA und ihren Verbündeten nur als „Sprungbrett“ gedient, um weit darüber hinaus gehende eigene Strafmaßnahmen zu legitimieren. Wie diese jemals wieder aus der Welt geschafft werden könnten, ist ungewiss. Sie sind nicht nur mit dem Atomstreit begründet, sondern auch mit der Menschenrechtslage im Iran, mit der angeblichen Rolle Irans als „Förderer des Terrorismus“, mit unbewiesenen Vorwürfen wie den Mordplänen gegen den saudi-arabischen Botschafter in Washington, und seit kurzem auch mit der Unterstützung Teherans für die syrische Regierung. Selbst ein „Regimewechsel“ wäre noch keineswegs eine ausreichende Garantie für die völlig unpräzis formulierte „Verhaltensänderung“, die Washington vom Iran verlangt.

Russland hat vor diesem Hintergrund erklärt, dass es für die Verhängung weiterer Strafmaßnahmen durch den UN-Sicherheitsrat nicht zur Verfügung steht. Die Schiene der Sanktionen sei „ausgeschöpft“, sagt Außenminister Sergej Lawrow immer wieder. Ob diese jemals zweckmäßig waren, sei dahin gestellt. Immerhin hatte Lawrow selbst schon im September 2006 gewarnt: „Wir können keine Ultimaten unterstützen, die alle in die Sackgasse führen und eine Eskalation verursachen, deren Logik stets zur Anwendung von Gewalt führt.“

Ausgeschöpft ist überdies nicht nur das Mittel der Sanktionen, sondern auch das Kontaktformat 5 + 1. Gemeint ist die aus den USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland bestehende Sechsergruppe, die bisher für die Gespräche mit Teheran zuständig war. Wenn aber vier der sechs beteiligten Staaten gar nicht wirklich an Verhandlungen interessiert sind, permanent ihre eigenen Zusatzstrafmaßnahmen – auch gegen russische und chinesische Unternehmen! - vorantreiben und einen Krieg als „Option“ nicht ausschließen wollen, kann die weitere Mitwirkung Russlands und Chinas in diesem Verein nichts nützliches bewirken. Sie dekoriert und legitimiert lediglich die Fortsetzung des Wegs in die Sackgasse.

Zweckmäßig und nötig wäre schon länger und spätestens zu diesem Zeitpunkt die Bildung einer alternativen Staatengruppe, die eigene Ideen und Vorschläge in die Diskussion um das iranische Atomprogramm trägt. Brasilien und die Türkei haben als Vermittler in diesem Konflikt schon im Mai 2010 eine sehr positive Rolle gespielt. Es war schade, dass Russland und China ihre Initiative damals nicht unterstützten, sondern sogar konterkarierten, indem sie das Teheraner Angebot ablehnten und kurz darauf die vierte Sanktionsresolution des UN-Sicherheitsrats mittrugen.

Irans Nachbarn würden durch einen Krieg wirtschaftlich viel verlieren und wären großen Risiken ausgesetzt. Sie könnten im Rahmen einer von Russland und China unterstützten und geförderten Kooperation eine wichtige Stimme für den Erhalt des Friedens und für eine Lösung der politischen Vernunft werden. Zu einigen dieser Nachbarstaaten – Afghanistan, Pakistan, Türkei, Irak – hat Teheran ein überwiegend gutes Verhältnis. Um die Beteiligung anderer, insbesondere die Staaten der arabischen Halbinsel und Aserbaidschan, an einer gemeinsamen Friedensinitiative müsste gekämpft werden. In jedem Fall und nicht nur in diesem Konflikt wäre ein kontinuierliches Zusammenwirken zwischen Moskau und Peking ein Signal, das die Gewichte in der Region und in der Welt verschieben würde.

Knut Mellenthin

Neues Deutschland, 25. Februar 2012