KNUT MELLENTHIN

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Die Schlange vom Loch Ness

Im Iran „stehen die Vertreter der Wirtschaftsorganisationen aus aller Welt jetzt Schlange“, seit angeblich demnächst die Sanktionen wegfallen sollen. Man kann diesen Unsinn in israelischen Medien ebenso phantasievoll ausgeschmückt wie in iranischen lesen, aber beispielsweise auch auf Spiegel Online. Die Wahrheit ist: Noch hat es nicht einmal minimale Erleichterungen der bestehenden Strafmaßnahmen gegen potentielle Handelspartner Irans gegeben. Niemand muss   Wartezeiten in Kauf nehmen, wenn er sich trotzdem auf das viel zu dünne Eis wagen will.

Macht aber nichts. Iran profitiere jetzt schon von dem am 24. November in Genf geschlossenen Abkommen, behauptete Hauskolumnistin Jennifer Rubin am 12. Dezember in der Washington Post. Ihre Einstellung und Arbeitsweise ist mit dem Wort „neokonservativ“ nur unzureichend zu beschreiben. Verglichen mit ihr wirkt selbst ein John McCain moderat, sachlich und ehrlich.

Rubins Alarmmeldung: Irans Ölexport sei im November um mehr als 10 Prozent gegenüber dem Vormonat gestiegen. Als Quelle zitierte sie die Times of Israel. Die hatte ihre Meldung unter die reißerische Headline gesetzt: „Sanktionen werden gelockert, Irans Ölexport schießt in die Höhe“. Rubin hätte freilich auch eine beliebige andere Zeitung irgendeines Landes wählen können: Der eigentliche Sachverhalt war korrekt wiedergegeben und überall zu lesen.

Nun mag man sich aber fragen, wie sich eine am 24. November unterzeichnete, bis heute nicht in Kraft getretene Vereinbarung so rasant schnell auf die Ölverkäufe des gesamten Monats auswirken konnte, zumal diese immer einige Zeit Vorlauf haben, bevor sie wirklich realisiert werden.

Die Antwort ist einfach: Iran exportierte im November 2013 rund 850.000 Barrel Öl per Tag. Im Oktober waren es nur 760.000 bpd  gewesen. Aber das war der tiefste Stand seit mehr als einem Jahr. Starke monatliche Schwankungen sind in dieser Branche aus verschiedenen Gründen absolut normal. Die Exportmenge im November lag immer noch deutlich unter dem Wert für das gesamte Jahr 2013, der ungefähr eine Million bpd betrug.

Mehr als diese Menge wird Iran übrigens auch nach Inkrafttreten des Genfer Abkommens nicht ausführen dürfen. Das ist dort schriftlich fixiert. Die Ankündigungen aus Teheran, den Export bald wieder auf 2,5 Millionen bpd zu steigern – wo er noch vor drei Jahren lag – sind nur Wunschdenken.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 10. Januar 2014