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Das Wunder von Wien
Gibt es im Streit um das iranische Atomprogramm tatsächlich Bewegung? Hat sich bei den Gesprächen zwischen Javier Solana und Ali Laridschani in Wien ein kleines Wunder ereignet? Der Außenpolitik-Verantwortliche der EU und der iranische Unterhändler im Atomstreit hatten sich eigentlich schon am Mittwoch letzter Woche treffen wollen. Die Begegnung war ohne Begründung verschoben worden. Vermutlich, weil man sich nicht über die Definition des Treffens einigen konnte: Sollte es ein Gespräch sein, eine Diskussion oder gar schon eine Verhandlung, wie es sich die Iraner gewünscht hätten? Aber verhandeln will die EU offiziell nicht, solange Iran nicht zuvor alle mit der Uran-Anreicherung verbundenen Arbeiten unbefristet einstellt. Die EU folgt darin der Führung Washingtons, auch wenn immer mehr europäische Politiker Zweifel am Sinn dieser Verweigerungshaltung haben.
Also war das in Wien wohl nur ein Gespräch, höchstens eine Diskussion. Aber was vorher lediglich wie eine Pflichtübung der EU erschien, bevor in dieser Woche das diplomatische Tauziehen um UN-Sanktionen beginnen soll, nahm eine überraschende Wendung. Solana und Laridschani kamen am Sonnabend und Sonntag zusammen, insgesamt sieben Stunden. Ungewöhnlich lange für zwei Männer, die ohnehin in ständigem Telefonkontakt stehen, um eines der letzten schmalen Verbindungsbänder zwischen EU und Iran nicht abreißen zu lassen. Sie kamen aus dem ersten Gespräch und erklärten übereinstimmend, man habe sich sehr konstruktiv unterhalten und Fortschritte erzielt. Sie kamen am Sonntag aus dem zweiten Gespräch und teilten den Medien mit, wesentliche Unklarheiten und Missverständnisse seien ausgeräumt worden. Noch in dieser Woche will man erneut zusammenkommen. Zu einem Gespräch, vielleicht auch zu einer Diskussion.
Verhandelt jedenfalls wird offiziell immer noch nicht. Sondern es geht zunächst einmal um die Frage, mit welchen Zugeständnissen Iran den Europäern die Rückkehr an den Verhandlungstisch schmackhaft machen könnte, den sie im August vorigen Jahres verlassen haben. Zugeständnisse, die einerseits die EU-Regierungen zufrieden stellen oder ihnen wenigstens Gesichtswahrung ermöglichen sollen, die aber andererseits auch im Iran innenpolitisch vertretbar sein müssen.
Irgendwelche anonymen Diplomaten behaupten zu wissen, dass Laridschani angeboten habe, die Uran-Anreicherung für zwei Monate zu unterbrechen, um ein Verhandlungsklima zu schaffen. Das kann stimmen oder auch nicht. Die US-Regierung würde das bestimmt nicht zufrieden stellen. Aber, was auch immer, irgendetwas ist in Wien geschehen, das vielleicht und hoffentlich einen drohenden Krieg doch noch abwenden könnte.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 12. September 2006