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"Sind wir zu fein, uns zu bücken?"
"Deutsche Arbeit für Deutsche", fordert die DVU, und mancher Arbeitslose ist vielleicht geneigt, ihr zuzustimmen. Auch die Bundesregierung scheint die Forderung plausibel zu finden - und schiebt die Verdrängung osteuropäischer Saisonarbeiter durch deutsche Zwangsarbeiter an.
Erstmals sind in diesem Jahr mehrere tausend deutsche Arbeitslose zur Spargelernte abkommandiert worden. Wer sich vor der Dienstverpflichtung zu drücken versucht, wird mit Sperrung der Arbeitslosenhilfe bestraft.
Jeweils rund 200.000 Menschen aus Osteuropa, größtenteils Polinnen und Polen, wurden in den vergangenen Jahren für zeitlich befristete Saisonarbeiten in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Ferien- und Gaststättengewerbe an deutsche Bauern, Hoteliers, Weinbergbesitzer u.a. vermittelt. Die Löhne für harte körperliche Arbeit liegen unterhalb dessen, was man bei McDonalds erheblich leichter verdienen könnte. Aber für McDonalds würden die Osteuropäer gar keine Arbeitsgenehmigung erhalten. Und für die polnischen Arbeitskräfte stimmt die Rechnung auch so: Nach (vielleicht etwas übertriebenen) Angaben des "Spiegel" (44/1997, S. 99) entspricht der Monatslohn eines Erntehelfers in Deutschland immer noch ungefähr sechs durchschnittlichen Monatslöhnen in Polen; 1989 sei das Verhältnis sogar 12-14 zu 1 gewesen.
So kommen als Saisonarbeiter größtenteils Menschen, die hochgradig motiviert sind. Die meisten sind an schwere und lange körperliche Arbeit gewohnt; manche haben in Polen noch Nebenerwerbslandwirtschaften, die während ihrer Abwesenheit von anderen Familienmitgliedern bewirtschaftet werden. Gern zeigen sie, daß sie durchschnittlichen deutschen Arbeitern klar überlegen sind, wenn's um hartes Ranklotzen geht. Die Ausbeuter polnischer Arbeitskraft konnten also bisher vollauf zufrieden sein.
Die Bundesregierung aber will die Beschäftigung osteuropäischer Saisonarbeiter schrittweise einschränken und abbauen. Warum? Der vorgeschobene arbeitsmarktpolitische Effekt ist absolut lächerlich. Die Saisonarbeitskräfte sind, wie der Name schon sagt, jeweils nur wenige Monate, manchmal sogar nur einige Wochen beschäftigt. Aufs ganze Jahr umgerechnet entspricht ihr Einsatz nur ungefähr 20.000 Vollzeit-Arbeitskräften.
Warum also? Weil es der Disziplinierung der Arbeitslosen insgesamt dient; weil es ein paar tausend Menschen aus der Empfängerliste der Arbeitsämter vertreibt; weil es eine "aktive Arbeitsmarktpolitik" vortäuscht, wo in Wirklichkeit nur totale Ratlosigkeit und Inkompetenz herrscht; und schließlich oder vor allem: weil es zu einer entscheidenden Tendenzwende der öffentlichen Meinung gegen die Arbeitslosen beitragen soll.
Die Grundlage der saisonalen Zwangsarbeit wurde 1996 mit dem § 134 b des Arbeitsförderungsgesetzes geschaffen. Dort ist vorgesehen, daß eine "Arbeitnehmerhilfe" von 25 Mark pro Tag an Bezieher von Arbeitslosenhilfe gezahlt werden kann, die eine niedrig entlohnte, zeitlich befriste Arbeit (längstens drei Monate) aufnehmen. Damit wird die Zumutbarkeitsklausel ausgehebelt, die besagt, daß niemand eine Arbeit übernehmen muß, deren Entlohnung unterhalb seiner Arbeitslosenhilfe liegt. Arbeitslose können also zwangsweise zu solchen Arbeiten verpflichtet werden, oder ihnen droht Einstellung der Zahlungen vom Arbeitsamt. Zunächst für drei Monate, im Wiederholungsfall auch endgültig.
Das Unternehmen ließ sich im ersten Jahr, 1997, äußerst schleppend und unlustig an. Für die Arbeitgeber der betroffenen Bereiche ist die Ersetzung osteuropäischer Saisonarbeiter durch dienstverpflichtete deutsche Arbeitslose ausschließlich mit erheblichen Nachteilen verbunden. Freiwillig macht das selbstverständlich niemand. Also muß der Staat auch gegen die Arbeitgeber Druck ausüben, indem die Ämter ihnen von vornherein weniger Osteuropäer bewilligen, als sie angefordert hatten, und indem sie sie verpflichten, eine bestimmte Zahl deutscher Arbeitsloser, die ihnen vom Arbeitsamt zugewiesen werden, zu beschäftigen.
Wie gesagt, es funktionierte im ersten Jahr überhaupt noch nicht. Von den im Bundeshaushalt 1997 für die "Arbeitnehmerhilfe" vorgesehenen 50 Millionen Mark wurden - mangels Interesse der potentiellen Arbeitgeber - nicht einmal zwei Millionen in Anspruch genommen. Insgesamt konnten nur rund 5.000 Arbeitslose für Saisonarbeiten zwangsvermittelt werden, bei einer durchschnittlichen Beschäftigungsdauer von 29 Tagen. (lt. Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen der PDS)
Für 1998 nahm die Bundesregierung sich sehr viel mehr vor: Statt 200.000 osteuropäischen Saisonarbeitskräften dürfen den Arbeitgebern nur noch 170.000 bewilligt werden. Der darüber hinausgehende Bedarf soll durch zwangsvermittelte deutsche Arbeitslose gedeckt werden.
Die Spargelernte 1998 wurde zur ersten großen Probe aufs Exempel. Hatte die Bundesregierung 1997 noch erklären lassen, man denke vor allem an den Einsatz jüngerer Arbeitsloser unter 35 Jahren, so wurden nun plötzlich Männer und Frauen bis zu 56 Jahren (lt. Bild, 25.4.) zu einem einwöchigen Lehrgang im Spargelstechen verpflichtet. Nur etwa 20% der zum Lehrgang Befohlenen wurden abschließend als geeignet befunden.
Dann folgte erwartungsgemäß der Aufschrei: "Spargel-Skandal" - "Sind wir zu fein, uns zu bücken?" (Bild, 19.5.) Mit "wir" waren aber natürlich nicht die Bild-Redakteure, sondern die leistungsunwilligen Arbeitslosen gemeint. Bild-Chefredakteur Udo Röbel ging in seinem Leitkommentar die Sache gleich ganz grundsätzlich an: "Der Pole sticht - der Deutsche ißt. Wie lange können wir uns diesen Luxus noch erlauben? Nicht nur beim Spargel ..." - Der Vorsitzende der Vereinigung niedersächsischer Spargelanbauer wurde von Bild mit dem Satz zitiert: "Es funktioniert nicht, weil die Einheimischen nicht einsatzbereit sind." Der Chef der süddeutschen Spargelbauern klagte, daß sich die Krankmeldungen unter den abkommandierten Arbeitslosen so gehäuft hätten, daß 55 Betriebe rund 120 Hektar stillegen mußten. "Einige werden das nicht überleben." - Und Bild weinte mit Spargelbauer Göllner, der angeblich sieben Hektar Spargel (Wert ca. 80.000 Mark) wegpflügen mußte, weil ihm die zugeteilten deutschen Arbeitslosen davongelaufen seien.
Dies zumindest ist eine typische Bild-Ente. Spargelfreunde konnten heuer feststellen, daß die Preise für deutschen Spargel von Anfang an deutlich niedriger lagen als im Vorjahr. Dafür gibt es mehrere Gründe: 1. Eine besonders gute Ernte aufgrund der Wetterverhältnisse. 2. Der anhaltende Konkurrenzdruck von billigem Spargel aus Griechenland u.a.; etwa die Hälfte des in Deutschland gegessenen Spargels ist mittlerweile Importware. 3. Eine erhebliche Ausdehnung der Anbauflächen in früheren Jahren, die nun zu einem Überangebot geführt hat.
Also: Wahrscheinlich wurde in diesem Jahr wirklich eine Menge Spargel von den Bauern vernichtet. Aber nicht wegen der Arbeitslosen, sondern wegen Unverkäuflichkeit oder zur Stabilisierung des Preises. Wenn man bedenkt, daß die Zuteilung osteuropäischer Arbeitskräfte an die Bauern nur um etwa 10% gegenüber dem Vorjahr gekürzt wurde, ist klar, daß dieses Defizit teilweise aufzufangen war und jedenfalls nicht zu den behaupteten Rieseneinbrüchen führen konnte - selbst wenn sich sämtliche deutschen Zwangsarbeiter gleich am ersten Tag vom Acker gemacht hätten.
Damit soll nicht weggeredet werden, daß die Bauern durch die Zwangsvermittlung von Arbeitslosen erhebliche Probleme haben. Selbstverständlich sind Zwangsarbeiter in der Regel nicht gut motiviert, außerdem ist diese Arbeit wirklich körperlich sehr hart und nicht von jedem 8-10 Stunden täglich zu leisten. Aber selbst ein junger, gesunder, kräftiger und absolut "gutwilliger" Arbeitsloser wird als Anfänger nicht annähernd die gleiche Leistung bringen können wie die Polen, die teilweise selbst in der Landwirtschaft aufgewachsen sind und nun schon seit etlichen Jahren zur Spargelernte nach Deutschland kommen. Der Bauer muß den Deutschen aber genau den gleichen Lohn zahlen wie den Polen - ein ganz schlechtes Geschäft, und außerdem sorgt es für Unfrieden. Was soll der Bauer also machen, wenn er clever ist? Er wird zusehen, daß er die meisten Deutschen, deren Ernteleistung allzu weit zurückbleibt, schnell wieder los wird. Dann braucht er sie wenigstens nicht zu bezahlen, sondern kann stattdessen beispielsweise versuchen, schnell noch ein paar zusätzliche "illegale" Polen aus dem Verwandtenkreis seiner langjährigen Erntehelfer nachkommen zu lassen.
Das Ergebnis des Experiments ließ sich schon in dem Moment voraussagen, wo es in Bonn beschlossen wurde: Die betroffenen Arbeitgeber wehren sich selbstverständlich grundsätzlich gegen die Zwangszuweisung von Arbeitslosen, weil sie ihnen nur Nachteile bringt. Sie wehren sich vor allem mit Blick auf die erklärte Absicht der Bundesregierung, die Ersetzung osteuropäischer Saisonarbeiter durch deutsche Zwangsvermittelte in den kommenden Jahren schrittweise immer mehr auszudehnen, was dann zu echten Schwierigkeiten führen würde. Um diese Gefahr abzuwehren, bauschen die Arbeitgeber die real vorhandenen Probleme in der Öffentlichkeit noch weiter auf und verkünden Pauschalurteile über die leistungsunwilligen Arbeitslosen. Das war schon im Herbst 1997 ganz genau so, als erstmals Arbeitslose zur Weinlese abkommandiert wurden.
Die Folgen sind einfach und zwangsläufig: Jede Abkommandierung von Arbeitslosen in harte, schlecht bezahlte Jobs verstärkt durch die praktischen Ergebnisse das herrschende Vorurteil, daß die meisten Arbeitslosen und insbesondere Langzeitarbeitslose entweder nicht arbeiten wollen oder nicht arbeiten können. Sie erschwert also die Vermittlung von Arbeitslosen auf freiwilliger Basis und ist damit arbeitsmarktpolitisch direkt kontraproduktiv.
Fraglich ist, ob die Bundesregierung das Unternehmen tatsächlich gegen die Interessen und gegen den Protest der betroffenen landwirtschaftlichen Interessenverbände fortsetzen will und kann, oder ob sie nicht sogar noch im laufenden Jahr zu Korrekturen gezwungen ist. Der Deutsche Bauernverband fordert eine "Lockerung" der neuen Regelung. Einzelne Spargelanbauer haben angekündigt, daß sie ihr Recht auf ungekürzte Zuteilung polnischer Arbeitskräfte vor Gericht einklagen wollen. Als erste Partei hat sich die FDP hinter die Interessenverbände gestellt. Sie fordert, die Beschäftigung ausländischer Saisonarbeiter wieder großzügiger zu bewilligen, "da sonst nach der Spargel- auch die Obsternte und die Weinlese in Gefahr seien." (HA, 28.5.)
Es kennzeichnet die Verhältnisse, daß öffentlicher Widerstand gegen die Zwangsvermittlung nur aus rein pragmatischen Gründen von den Arbeitgeberinteressen her laut wurde. Und daß, wenn überhaupt, auch nur von dieser Seite her eine gewisse Aussicht besteht, daß das Experiment zum Scheitern gebracht wird. Laut Bild-Umfrage bejahten 73% die Frage: "Sollen Arbeitslose generell für Saisonarbeiten, wie zur Zeit Spargelstechen, herangezogen werden?" Nur 24% antworteten mit Nein. (Bild, 9.5.)
Knut Mellenthin
analyse & kritik, 5. Juni 1998