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Wieder aufgetaucht
Die Bundesregierung ist schlecht informiert oder lügt. Vielleicht auch beides.
Die zeitweise als vermisst gemeldeten 925 Somalis, deren „Polizeiausbildung“ durch äthiopische Militärs Deutschland mit 770.000 Euro finanziert hatte, sind wieder aufgetaucht. Wie die Bundesregierung aufgrund einer Anfrage des Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele mitteilte, sind sie „nach Auskunft der somalischen Übergangsregierung (…) derzeit im Gebiet Gedo im Südwesten der Republik Somalia im Einsatz“. Was die angeblichen Polizisten dort tun und wem sie unterstellt sind, steht nicht in der Antwort der Bundesregierung.
Die Ausbildung der Somalis im äthiopischen Militärlager Hurso endete im Mai. Anschließend seien sie, so die Bundesregierung in einer früheren Stellungnahme, „unter äthiopischer Verantwortung nach Somalia transportiert“ worden. Indessen konnten oder wollten Ende Juli weder die somalische „Übergangsregierung“ (TFG) noch die Äthiopier Auskunft geben, wo sich die 925 inzwischen aufhielten. Daran knüpften sich damals Vermutungen, sie könnten zu den Islamisten übergelaufen sein oder sich Piratengruppen angeschlossen haben. Nach Angaben der Überwachungsgruppe des UN-Sicherheitsrates für Somalia sind im Laufe der Zeit von 17.000 Rekruten, die in Äthiopien für die Sicherheitskräfte der TFG ausgebildet werden sollten, 14.000 auf nicht nachvollziehbare Weise „verschwunden“.
Gedo, wo die 925 jetzt „im Einsatz“ sein sollen, liegt fast im äußersten Südwesten Somalias. Die Region grenzt an Äthiopien und Kenia, die beide gelegentlich ihre Truppen hinüberschicken. Die Machtverhältnisse in Gedo, das ungefähr so groß ist wie Niedersachsen und Schleswig-Holstein zusammen, sind unüberschaubar und wechseln ständig. Sicher ist nur, dass die TFG dort keine Kontrolle ausübt, also auch keine Sicherheitskräfte befehligen kann. Außerdem ist die Lage dort nicht so, dass Polizisten eingesetzt werden könnten.
Die Wahrscheinlichkeit ist daher groß, dass die Somalis in Hurso von Anfang an für den Kriegsdienst ausgebildet wurden – und dass es in der Bundesregierung Leute gibt, die darüber hinreichend genau informiert sind, aber bis heute nicht die Wahrheit sagen. Darüber hinaus liegt der Verdacht nahe, dass es sich um Soldaten für die Milizen der Ahlu-Sunna handelt, die eng mit dem äthiopischen Regime zusammenarbeitet.
Ahlu-Sunna gilt als sufistisch, also einer bestimmten Glaubensrichtung innerhalb des Islam verpflichtet. Tatsächlich hat sich Ahlu-Sunna aber zu einem „Dach“ auch für die Milizen einiger Clans und Warlords entwickelt. Außerdem ist AS angesichts des nahezu vollständigen Zusammenbruchs der TFG die letzte Hoffnung der westlichen Regierungen im Kampf gegen die Islamisten. Im Gegensatz zur „Übergangsregierung“ verfügt AS wirklich über Einfluss in Teilen des Südwestens. Erst vor wenigen Tagen hat sie eine große Offensive gegen die Islamisten in Gedo angekündigt.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 13. August 2010