KNUT MELLENTHIN

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Wandlungen und Irrwege eines Kriegsmandats

Der Deutsche Bundestag hat am 15. November das Mandat für die Beteiligung der Bundeswehr an der "Operation Enduring Freedom" (OEF) der USA um ein weiteres Jahr verlängert. Die Entscheidung fiel mit 414 gegen 145 Stimmen, bei 15 Enthaltungen. Neben der Fraktion der Linken stimmten auch viele grüne Abgeordnete gegen den Antrag der Bundesregierung. Vor einem Jahr war die Mandatsverlängerung mit 436 gegen 101 abgestimmt worden; es gab 26 Enthaltungen. Die Zahl der Neinstimmen hat also um 44 zugenommen. Das ist vergleichsweise wenig, wenn man bedenkt, dass es vor ein paar Monaten noch so aussah, als würde diesmal die Mehrheit der SPD-Fraktion für den Ausstieg aus OEF votieren.

Die Geschichte des deutschen OEF-Mandats ist voller Kuriositäten. Angefangen bei dem heute schon fast vergessenen Umstand, dass die erstmalige Zustimmung des Bundestags am 16. November 2001 mit 336 Ja-Stimmen gegen 326 Nein-Stimmen denkbar knapp ausfiel. CDU/CSU und FDP hatten, gemeinsam mit der PDS, gegen den Antrag der Bundesregierung gestimmt. Hintergrund der seltsamen, historisch vielleicht einmaligen Konstellation: Dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder war es extrem wichtig, SPD und Grüne so geschlossen wie möglich in den beginnenden weltweiten "Krieg gegen den Terror" einzubinden und beide Parteien damit auch für die Zukunft zu verpflichten. Schröder verknüpfte deshalb, ohne wirkliche Notwendigkeit, die Abstimmung über die OEF-Teilnahme mit der Vertrauensfrage. Als Bestandteil der Politposse durften nach interner Verabredung genau vier Grüne ihrem Gewissen folgen und mit Nein stimmen.

Zu den Kuriositäten des deutschen OEF-Mandats gehört auch sein Charakter als Gemischtwarenladen ganz unterschiedlicher Einsatzaufträge, verbunden mit einer geradezu unglaublich unpräzisen Definition der Einsatzzwecke. Einmalig dürfte auch sein, dass die im Mandat festgesetzten Obergrenzen für die Zahl der theoretisch einsetzbaren Soldaten Jahr für Jahr ein Mehrfaches der wirklich eingesetzten betragen. Anders gesagt: Der Bundestag stellt der Regierung seit sechs Jahren ungenutzte Reserven für eventuelle, kurzfristig auftretende Anforderungen der US-Regierung zur Verfügung. Nach dem gestrigen Bundestagsbeschluss beträgt die Obergrenze 1.400 Mann. Tatsächlich im Einsatz sind zur Zeit aber nur 300 bis 400 Soldaten.

Im ersten Mandat 2001 war eine Obergrenze von 3.900 Mann festgelegt worden. Im Einzelnen: ABC-Abwehrkräften ca. 800 Soldaten; Sanitätskräfte ca. 250 Soldaten; Spezialkräfte (das in Afghanistan eingesetzte KSK) ca. 100 Soldaten; Lufttransportkräfte ca. 500 Soldaten; Seestreitkräfte einschließlich Seeluftstreitkräfte (Aufklärungsflugzeuge) ca. 1.800 Soldaten; erforderliche Unterstützungskräfte ca. 450 Soldaten. Das Einsatzgebiet wurde, bis heute gültig, äußerst weiträumig festgelegt: Neben dem NATO-Gebiet umfasst es "die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nord-Ost-Afrika sowie die angrenzenden Seegebiete". Im Mandat nicht ausdrücklich erwähnt gehört auch der Persische Golf bis zur Straße von Hormuz, also die Gewässer in der Nähe Irans, zum Einsatzgebiet deutscher OEF-Kräfte. Nicht nur theoretisch, sondern real: Bis dorthin erstrecken sich die "Patrouillenfahrten" deutscher Kriegsschiffe.

Ein bisschen übertreibend behauptete der CDU-Abgeordnete Eckart von Klaeden am 1. November 2006 im Bundestag, "dass sich dieses Mandat nicht allein auf Afghanistan bezieht, sondern dass der gesamte Krisenbogen vom Maghreb über das Horn von Afrika, die arabische Halbinsel und Zentralasien bis hin zum Nordkaukasus mit eingezogen wird." Das ist zwar hinsichtlich des zu Russland gehörenden Nordkaukasus nicht nur sachlich falsch, sondern auch hochgefährlicher Blödsinn. Trotzdem verzeichnet das Sitzungsprotokoll nach diesem Satz den Zuruf "Richtig!" von Guido Westerwelle (FDP) und Peter Struck (SPD).

Hervorzuheben sind in dem 2001 beschlossenen ersten OEF-Mandat zum einen die "ABC-Abwehrkräfte". Sie wurden als präventiver deutscher Beitrag zum geplanten Irakkrieg in Kuwait stationiert. Es handelte sich dabei nicht um einen notwendigen oder auch nur zweckmäßigen militärischen Beitrag, sondern um ein von der Bundesregierung gewolltes politisches Signal der Unterstützung für die Kriegsplanung der USA. Beschlossen 16 Monate vor Kriegsbeginn.

Weiter hervorzuheben ist die bis heute dauernde deutsche Beteiligung an einem internationalen Flottenverband, der im nordostafrikanischen Dschibuti stationiert ist und dessen vage umschriebene Aufgabe die "Überwachung" der Seewege im "Einsatzgebiet" ist.

Das Mandat wurde am 15. November 2002 unverändert verlängert. Ein Jahr später wurde die Obergrenze der einzusetzenden Soldaten erstmals gesenkt, von 3.900 auf 3.100 Mann. Tatsächlich im OEF-Einsatz waren damals aber nur 710 deutsche Soldaten. Die Absenkung ergab sich darauf, dass es nach der Zerschlagung der irakischen Streitkräfte im Frühjahr 2003 keinen Vorwand mehr für die Stationierung deutscher ABC-Kräfte in Kuwait gab. Sie waren daher im Einvernehmen mit der US-Regierung abgezogen worden.

Am 12. November 2004 bestätigte der Bundestag das Mandat unverändert. Tatsächlich im OEF-Einsatz waren zu diesem Zeitpunkt nur noch 500 deutsche Soldaten, knapp ein Sechstel der zulässigen Höchstzahl. Das am 8. November 2005 verabschiedete Mandat senkte die Obergrenze auf 2.800 Mann. Die Differenz ergab sich daraus, dass inzwischen die sogenannten Seeraumüberwachungsflugzeuge aus Nordostafrika abgezogen worden waren. Als Grund wurde die geplante Umrüstung auf neue Maschinen angegeben.

Am 10. November 2006 wurde die Obergrenze erneut gesenkt, nun auf 1.800 Soldaten. Als Begründung wurde darauf verwiesen, dass die Obergrenzen in den vergangenen Jahren "nicht voll ausgeschöpft wurden". Trotzdem war für die Seestreitkräfte immer noch ein Kontingent von 1.100 Mann vorgesehen, obwohl tatsächlich nicht einmal 500 im Einsatz waren. Erstmals stimmte die Mehrheit der grünen Abgeordneten dem Mandat nicht zu.

Die Absenkung der Obergrenze wurde auch in dem am gestrigen Donnerstag verabschiedeten Mandat fortgesetzt: Sie liegt nun bei 1.400 Soldaten, die sich wie folgt auf die einzelnen Kontingente verteilen: 1.000 Seestreitkräfte und, erstmals seit 2005 wieder erwähnt, Seeluftstreitkräfte; 100 Spezialkräfte (KSK); 100 Unterstützungskräfte; 100 Lufttransportkräfte; 100 Sanitätskräfte.

Der Hauptbeitrag der Bundeswehr zur "Operation Enduring Freedom" besteht nach wie vor in der Beteiligung an dem in Dschibuti stationierten internationalen Flottenverband. Dazu heißt es in dem am 15. November vom Bundestag verabschiedeten Mandat: "Durch den Einsatz von See- und Seeluftstreitkräften wird Terroristen am Horn von Afrika der Zugang zu Rückzugsgebieten und die Nutzung potenzieller Verbindungswege erschwert. Gleichzeitig wird ein Beitrag zum Schutz dieser für den Welthandel strategisch wichtigen Seepassage vor terroristischen Anschlägen geleistet."

Der Flottenverband, an dem die Bundesmarine derzeit mit nur noch einem Kriegsschiff beteiligt ist, trägt die Bezeichnung Combined Task Force 150 (CTF-150). Er ist der US-amerikanischen Combined Joint Task Force - Horn of Africa (CJTF-HOA) zugeordnet, die ihrerseits dem Kommando der 5. US-Flotte in Bahrain untersteht. Der Umfang der CTF-150 wurde seit Bildung des Verbands im Jahre 2002 kontinuierlich heruntergefahren. Zu Beginn hatte die Bundesmarine fünf Kriegsschiffe gestellt. Aus den Mandatsbegründungen ist nicht ersichtlich, welche Faktoren es anscheinend erlauben, die Aufgabenstellung von CTF-150 heute mit einem Bruchteil ihrer früheren Stärke zu leisten.

Die Sicherheitslage am Horn von Afrika kann es jedenfalls nicht sein, die sich verbessert hat. In Somalia finden unter maßgeblicher Mitwirkung von mehreren tausend Soldaten aus dem traditionell verfeindeten Nachbarland Äthiopien die schlimmsten Kämpfe seit Beginn des Bürgerkriegs vor 16 Jahren statt. Über eine halbe Million Menschen sind seit Jahresanfang aus der Hauptstadt Mogadischu geflohen. Es handelt sich nach Einschätzung der UNO um die derzeit schwerste humanitäre Katastrophe auf dem afrikanischen Kontinent. Gleichzeitig droht zwischen Äthiopien und Eritrea ein neuer Grenzkrieg. Auch zwischen den von Somalia abgefallenen Staaten Somaliland und Puntland nehmen die militärischen Feindseligkeiten zu.

Tatsächlich dient der Einsatz von CTF-150 nicht der Sicherheit in der Region, und kann es von der Sache her auch gar nicht, weil die dortigen Probleme hausgemacht sind und nicht auf dem Seeweg kommen. CTF-150 ist nichts weiter als ein Fuß, den die NATO vor sechs Jahren vorsorglich in die Tür gestellt hat. Sei es für irgendeine Militärintervention in der Region, oder sei es für die Teilnahme an einem künftigen Krieg gegen Iran.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 16. November 2007