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Vom "Abzug" zur Rückkehr
Verstärkung des Bundeswehr-Kontingents in Afghanistan um fast 50 Prozent geplant
Nach dem 2014 verkündeten und gefeierten „Abzug“ der NATO aus Afghanistan folgt jetzt die Rückkehr. Für die deutsche Bundeswehr bedeutet das eine Aufstockung der Obergrenze von 980 auf 1.400 Soldaten, also um fast die Hälfte. Das berichtete zumindest das Nachrichtenmagazin Der Spiegel am Wochenende aufgrund interner Informationen. Eine offizielle Bestätigung für diese Absicht gibt es bisher noch nicht. Die Planung wird dadurch erschwert, dass es in Berlin nach der Bundestagswahl noch keine neue Regierung gibt. Grundsätzlich ist aber weder von der FDP noch von den Grünen, die als Koalitionspartner der CDU/CSU in Aussicht genommen sind, Widerstand gegen einen stärkeren Militäreinsatz am Hindukusch zu erwarten. Möglicherweise wird diese Maßnahme, wie vor einigen Tagen gerüchteweise verlautete, zunächst ohne Einschaltung des Bundestages in die Tat umgesetzt werden. Das wäre eine Premiere in der deutschen Politik, entspräche aber langfristigen Absichten der Entscheidungsträger.
Das Pentagon hatte nach langem Hin und Her am 18. September bekannt gegeben, dass die Zahl der US-Truppen, die sich seit sechszehn Jahren in Afghanistan befinden, um 3000 Soldaten erhöht werden soll. Das würde den Personalstand auf mehr als 11000 Mann bringen. Die Berliner Regierungskoalition, damals noch von Union und SPD gestellt, hatte damals, ohne konkret zu werden, lediglich beiläufig kommentiert, dass Deutschland sich „nicht in der Pflicht“ sehe, da die Bundeswehr ohnehin schon eines der größten Kontinente unter den ausländischen Truppen in Afghanistan stellt. Das scheint jedoch, wenn die Vorabmeldung des Spiegels in der Tendenz zutrifft, nur ein taktisches Ausweichmanöver gewesen zu sein. Damit war von vornherein zu rechnen, weil Kanzlerin Angela Merkel sich schon 2014 gegen die vom damaligen US-Präsidenten Barack Obama angeordnete Verringerung der ausländischen Truppen in Afghanistan und gegen die Ankündigung eines angeblichen Abzugstermins ausgesprochen hatte.
Die US-Streitkräfte sind dort in zwei oder sogar drei verschiedenen Funktionen tätig. Erstens soll der Hauptteil des US-Kontingents das afghanischen Militär durch Ausbildung, Beratung und Logistik, wie etwa die Bereitstellung von Transportkapazitäten, unterstützen. Das gilt offiziell nicht als Kampfeinsatz. Zweitens greift die Air Force aber durch Luftangriffe auch direkt in die Kämpfe ein. Und drittens stehen 2000 bis 3000 Soldaten US-Soldaten außerhalb der NATO-Strukturen und führen unter dem Titel „Terrorbekämpfung“ Offensiv-Operationen in den von Aufständischen beherrschten Landesteilen durch. Über diesen Teil der Militärintervention gelangen nur sehr wenig Informationen in die Medien. Unter anderem geht es dabei um die gezielte Tötung von wichtigen Funktionären der Verwaltung, die die Taliban zu errichten versuchen.
Der Meldung des Spiegels zufolge will die Bundesregierung die Entsendung zusätzlicher deutschen Soldaten nach Afghanistan vor allem mit der Gefährlichkeit der dortigen Gesamtlage und den wachsenden Anforderungen für den Schutz der dort als Ausbilder und Berater eingesetzten Angehörigen der Bundeswehr begründen. Verwiesen wird besonders auf einen Angriff der Taliban auf ein Ausbildungszentrum in der nordafghanischen Stadt Masar-i-Scharif, der Ende April stattfand. Nach offiziellen Angaben wurden damals 140 Rekruten der afghanischen Streitkräfte getötet. Deutsche Soldaten seien nur deshalb nicht an den Kämpfen beteiligt gewesen, weil sie an diesem Tag zufällig nicht in dem Camp gewesen seien.
Die Verstärkung des deutschen Kontingents in Afghanistan wird unter Berufung auf die militärische Lage voraussichtlich mit einer stärkeren Betonung der „Force Protection“ – des Schutzes deutscher Ausbilder und Berater – und einer entsprechenden Änderung der Einsatzregeln verbunden sein.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 9. Oktober 2017