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Der Ertrinkende und sein Strohhalm
Verteidigungsminister Franz Josef Jung kämpft so verzweifelt um seinen Job, als ginge es um sein Leben. Im Bundestag verteidigte er am Dienstag noch einmal das von der Bundeswehr zu verantwortende Massaker in Kundus und berief sich dabei auf „hochrangige“ afghanische Funktionäre: Die hätten bestätigt, dass bei dem Luftangriff „nur Taliban und deren Verbündete“ getötet wurden.
Der wichtigste Kronzeuge des CDU-Mannes ist der Gouverneur der Provinz Kundus, Mohammad Omar, über dessen Lob für die Bundeswehr Spiegel Online schon am Montag berichtet hatte. Das Bombardement sei „die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit“ gewesen, hatte Omar dem Magazin erzählt. „Bei uns sind keine Beschwerden über zivile Opfer eingegangen“, wusste er ferner zu berichten. „Augenzeugen“ hätten ihm bestätigt, dass am Ort des Geschehens neben 60 bewaffneten Taliban nur „15 bis 20 weitere Personen“ gewesen seien. Und um die sei es auch nicht schade, denn wer sich bei den bombardierten Tanklastern aufgehalten habe, müsse kriminell oder Unterstützer der Taliban gewesen sein. Der britischen Nachrichtenagentur Reuters hatte Omar schon am Sonnabend triumphierend erklärt: „Die Dorfbewohner haben den Preis dafür bezahlt, dass sie den Aufständischen helfen und ihnen Unterschlupf gewähren.“
Der Gouverneur von Kundus ist also ein adäquater Kronzeuge für einen in die Enge getriebenen Massaker-Leugner wie Jung. Dabei stand Mohammad Omar vor kurzem noch auf der Abschussliste der Bundesregierung. Der Spiegel berichtete am 25. Mai unter der Überschrift „Tot oder lebendig“, dass sich Spitzenbeamte der Bundesregierung seit Ende 2008 im Verteidigungsministerium treffen, um zu beraten, wie man der zunehmenden Ausbreitung der Aufstandsbewegung in der deutschen Besatzungszone Herr werden könnte. Dazu hieß es wörtlich:
„Als Problem gilt vor allem der Gouverneur der Provinz Kunduz, Mohammed Omar. Der BND hat Omar mehrfach dabei beobachtet, wie er lokalen Taliban-Größen vertrauliche Informationen weitergab, er soll außerdem tief in den Drogenhandel verstrickt sein. Teile seiner Polizei stehen im Verdacht, Taliban-Sympathisanten zu sein. (...)
Ende Oktober vergangenen Jahres flogen die beiden Staatssekretäre Wichert und Hanning nach Kabul und baten im Palast von Präsident Hamid Karzai um eine Audienz. Im Gespräch mit Karzais Sicherheitsberater Zalmay Rassul wurden die Staatssekretäre deutlich: Man habe Rassul 'mit der Frage konfrontiert, aus welchen Gründen bekannte Hintermänner der Anschläge auf deutsche Polizisten und Soldaten nicht zur Rechenschaft gezogen würden', heißt es in einem internen Vermerk der Delegation. Der Präsidentenberater habe versprochen, 'auf die Einleitung notwendiger Schritte zu drängen'.
Mittlerweile hat der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) den Druck noch einmal verstärkt. Bei seinem Besuch in Kabul Ende April signalisierte er der Regierung, dass die Deutschen mit dem Provinzgouverneur nicht mehr zusammenarbeiten wollen. Ganz offen sagte Steinmeier dem afghanischen Innenminister Mohammed Hanif Atmar, man wünsche die Abberufung des Provinzfürsten. Der Wunsch wird wohl demnächst in Erfüllung gehen. Omar werde noch in diesem Sommer ausgetauscht, signalisierten Karzais Leute den deutschen Diplomaten unlängst.“
Daraus wurde bisher offensichtlich nichts. Zumindest Minister Jung scheint damit ganz zufrieden zu sein.
Und was weiß man sonst noch über seinen Kronzeugen? Mohammad Omar ist seit März 2004 Gouverneur von Kundus. Zuvor hatte er die gleiche Position in der benachbarten Provinz Baghlan, die ebenfalls zur deutschen Besatzungszone gehört. Dort musste er seinen Abschied nehmen, weil viele Bezirksverantwortliche sich weigerten, mit ihm zusammenzuarbeiten. Die Rede war von der Führung eines Privatgefängnisses, Folter, Bestechung und Korruption, Diebstahl von Land und anderem fremden Eigentum, sowie zahlreichen weiteren Menschenrechtsverletzungen. Omar hingegen wusste nur von Verbesserungen zu berichten. Vermutlich hat sich schon damals kein Betroffener bei ihm beschwert.
Bevor Omar sich den neuen Verhältnissen anpasste, gehörte er der fundamentalistischen Organisation Ittehad-e-Islami an, die – vor allem aus Saudi-Arabien finanziert – im Bürgerkrieg eine böse Rolle spielte. Zu den ihr angelasteten Verbrechen gehören Massaker an der schiitischen Minderheit Nordafghanistans. Umgetauft auf den Namen Islamische Dawah Organisation ist die Mörderbande jetzt eine der staatstragenden Parteien Afghanistans.
Ihr Zeuge, Herr Minister.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 9. September 2009