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Besuch in Seoul
China rät zur Deeskalation auf der koreanischen Halbinsel
Der chinesische Regierungschef Wen Jiabao ist am Freitag zu einem dreitägigen Besuch in Südkorea eingetroffen. Er will unter anderem Gespräche mit seinem Amtskollegen Chung Un-chan und mit Präsident Lee Myung-bak führen. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden die Spannungen zwischen den beiden koreanischen Staaten ein zentrales Thema sein. Aber es ist ungewiss, ob der chinesische Politiker dazu öffentlich Stellung nehmen und vor allem, ob er etwas wirklich Neues sagen wird. Wens schon länger geplante Reise steht in keinem direkten Zusammenhang mit der aktuellen Krise, die durch den Untergang eines südkoreanischen Kriegsschiffs am 26. März ausgelöst wurde. Er wird anschließend auch Japan, die Mongolei und Myanmar besuchen. In den beiden letzteren Ländern war seit 16 Jahren kein chinesischer Premier mehr zu Gast.
Die südkoreanische Regierung behauptet, der Zwischenfall vom März, bei dem 46 Seeleute ums Leben kamen, sei durch Torpedos eines nordkoreanischen U-Bootes ausgelöst worden. Die US-Regierung hat sich diese Version zu eigen gemacht und spricht von einer „unannehmbaren Provokation“, die von der „internationalen Gemeinschaft“ mit Strafmaßnahmen beantwortet werden müsse. Einer von Südkorea und den USA angestrebten neuen Sanktionsresolution des UN-Sicherheitsrats steht aber die Zurückhaltung Russlands und Chinas entgegen. Die russische Regierung hat angekündigt, sie werde eine solche Entschließung nur mittragen, falls sie hundertprozentig von der Schuld Nordkoreas überzeugt wäre. Präsident Dmitri Medwedew hat am Mittwoch die Entsendung einer eigenen Untersuchungskommission nach Südkorea angeordnet. China, der wichtigste Wirtschaftspartner beider koreanischen Staaten, betont, „keine Informationen aus erster Hand“ über den Seezwischenfall zu haben. Bisher haben sich die öffentlichen Kommentare aus Peking auf Ermahnungen zur Ruhe und zur Deeskalation der Spannungen beschränkt.
Südkorea hatte am Montag die Einstellung des Handels mit dem Norden bekanntgegeben und mehrere Seemanöver, unter anderem gemeinsam mit den USA, angekündigt. Gleichzeitig hat der Süden seine „psychologische Kriegführung“ mit Propaganda-Lautsprechern an der Grenze wieder aufgenommen. Die nordkoreanische Regierung hatte am Dienstag mit dem Abbruch fast aller Beziehungen zum Süden, einschließlich eines Abkommens zur Verhinderung von unbeabsichtigten Zusammenstößen auf See, geantwortet. Die letzte Einrichtung, die beide Staaten noch verbindet, ist der Kaesong-Industriekomplex, der wenige Kilometer von der Grenze entfernt auf nordkoreanischem Gebiet liegt. Etwa 115 bis 120 Unternehmen aus dem Süden unterhalten dort Produktionsstätten, in denen über 40.000 nordkoreanische Arbeiterinnen und Arbeiter sowie etwa 700 Südkoreaner beschäftigt sind. Die Regierung in Pjöngjang hat angedroht, die Südkoreaner auszusperren, und hat bereits einige Regierungsbeauftragte des Südens, die in Kaesong tätig waren, nach Hause geschickt.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 29. Mai 2010