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War as usual

Erstmals seit 1994 stellen in USA die Demokraten wieder die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses. Na und? Karsten Voigt, der Statthalter der USA in der SPD, winkt im Gespräch mit SPIEGEL Online (8.11.2006) ab: Große Veränderungen möge man sich von der neuen Situation nicht versprechen. "Auch die Demokraten werden nicht für das Kyoto-Protokoll oder für den Internationalen Strafgerichtshof kämpfen." Zwar werden nun "alternative Positionen zu hören sein, vor allem in der Irak-Politik". Aber wirkliche Änderungen? Einig seien sich die Demokraten nur in ihrer Kritik an Bush, weiß Voigt. Einen Plan für den Rückzug aus dem Irak haben sie jedoch nicht. "Vereinzelt wird der Abzug der US-Truppen gefordert, aber das ist eine Minderheit. Die Mehrheit ist für differenziertere Lösungen." Und zwar bitte für welche? Das sagen weder die amerikanischen Demokraten noch Karsten Voigt. Sie wissen es wahrscheinlich selbst nicht.

Darauf kommt es aber auch gar nicht an, sagt der SPD-Mann, der irgendwann in grauer Vorzeit einmal Juso-Vorsitzender war: "Was mich freut, ist etwas anderes: Jetzt wird in Deutschland sichtbar werden, dass es in den USA nicht nur eine politische Richtung gibt, sondern sehr vielfältige Stimmungen und Orientierungen. Ich erhoffe mir dadurch einen Abbau von deutschen Vorurteilen gegenüber Amerika, die sich in den Jahren der Bush-Regierung verfestigt haben." - Also zwar keine grundlegend neue Politik, schon gar nicht im Bereich des Nahen und Mittleren Ostens, aber eine bessere Verkäuflichkeit der dort angerichteten Katastrophe und der kommenden Konfrontation mit dem Iran.

In der Realität hat das Wahldebakel der Republikaner für die von den USA im Nahen und Mittleren Osten verfolgte Kriegs- und Konfrontationsstrategie keine große Bedeutung. Die Unterschiede zwischen Demokraten und Republikanern im Kongress sind in allen damit in Zusammenhang stehenden Fragen minimal. In keinem einzigen Fall hat es über irgendeinen Aspekt dieser Strategie im Abgeordnetenhaus oder im Senat eine wirkliche Kampfabstimmung mit engem Ausgang gegeben. Ein Beispiel: Die Resolution, durch die der Kongress am 10. und 11. Oktober 2002 dem Präsidenten einen Blankoscheck für den geplanten Überfall auf den Irak ausstellte, ging im Abgeordnetenhaus mit 296 gegen 133 Stimmen und im Senat mit 77 gegen 23 Stimmen durch. Das bedeutet, dass in beiden Häusern des Kongresses eine, wenn auch knappe, Mehrheit der Demokraten mit den Republikanern gestimmt hat.

Ein anderes Beispiel: Der Iran Freedom Support Act wurde Ende September von beiden Häusern des Kongresses ohne Aussprache und Abstimmung abgesegnet. Das Gesetz schreibt einen verschärften Sanktionskurs gegen Iran und gegen ausländische Unternehmen, die mit dem Iran Handel treiben wollen, vor. Ein solches Gesetz war schon seit Monaten in Arbeit. George W. Bush und die republikanische Führung hatten eine Verabschiedung aber zunächst verhindert, weil die Strafbestimmungen sich genau gegen die Länder richten, deren Unterstützung die US-Regierung in diesem Stadium braucht, um im Sicherheitsrat Sanktionen gegen Iran beschließen zu können.

Selbst wenn die US-Regierung jetzt ein Stück weit vom neokonservativen Projekt des "regime change" im ganzen Nahen und Mittleren Osten abrücken würde - was keineswegs sicher ist -, so beträfe das doch nur künftige Konfliktfelder. Die bestehenden Krisenherde und Kriegsschauplätze - Irak, Afghanistan, Libanon und die von Israel seit 1967 besetzten Palästinensergebiete - stehen auch bei veränderten Mehrheitsverhältnissen nicht zur Diskussion.

Die Weiterführung des Afghanistankriegs wird von den Demokraten absolut nicht in Frage gestellt. Warum denn auch, da er von der gesamten NATO, einschließlich Deutschlands und Frankreichs, widerspruchslos mitgetragen und ausgeweitet wird?

Zum Problemfeld Israel-Palästina, ebenso wie zum Libanon, sind die Positionen der maßgeblichen Demokraten mindestens ebenso einseitig pro-israelisch wie die der Bush-Regierung. Hillary Clinton, die gute Chancen auf die demokratische Präsidentschaftskandidatur 2008 hat, ist in allen Israel betreffenden Fragen bemüht, die Republikaner zu übertrumpfen. Dafür hat sie im Wahlkampf mehr Gelder der Israel-Lobby erhalten als jeder andere Kandidat. Nancy Pelosi, die künftige demokratische Mehrheitsführerin im Abgeordnetenhaus und damit auch dessen Sprecherin, gilt zwar in innenpolitischen Fragen als linksliberal ist, steht zugleich aber 100prozentig für bedingungslose "Solidarität" mit jedweder israelischen Politik.

Bei sämtlichen Fragen, die die vermeintlichen Interessen Israels berühren, stellen sich im Kongress Mehrheiten her, die es fast mit der alten DDR-Volkskammer aufnehmen können. 95 Prozent sind normal, Einstimmigkeit keine Seltenheit. Republikaner und Demokraten tun alles, um sich gegenseitig an Loyalität zu übertreffen. Oft agiert dabei der Kongress, einschließlich der demokratischen Abgeordneten und Senatoren, sehr viel radikaler als der Präsident, und bisweilen auch in offenem Konflikt mit diesem.

Und der Irak-Krieg? Einige demokratische Parlamentarier befürworten die Festlegung eines Zeitplans für den Truppenabzug. Aber die führenden Kräfte der Demokraten tendieren dazu, sich mit Bush und den Republikanern auf Grundlage der Formel "Defeat is not an option" - eine Niederlage darf es nicht geben - arrangieren. Ein Abzug der Besatzungstruppen aus dem Irak wäre selbstverständlich das Eingeständnis einer schweren Niederlage. Außerdem hat die Bush-Regierung die Lage dort so vermurkst, dass nicht auszuschließen wäre, dass ein Abzug der US-Truppen das Chaos im Irak noch verschlimmert. Die Demokraten werden sich daher in den noch verbleibenden zwei Jahren bis zur nächsten Präsidentenwahl in Sachen Irak auf keinen Fall aus dem Fenster lehnen. Bush hat nach seiner Wahlniederlage die Parole ausgegeben, jetzt mit einer großen Kraftanstrengung das Steuer herumzureißen. Damit soll eine Verstärkung der im Irak stationierten Streitkräfte um 20.000 Mann gerechtfertigt werden.

Wenn von "einer neuen Richtung" und "neuen Ideen" für den Irak-Krieg die Rede ist, stehen zwei Punkte im Vordergrund. Da ist zum einen die auch von führenden Politikern der Demokraten vorgetragene Forderung, die irakische Regierung müsse endlich aggressiv gegen die Milizen vorgehen und ihre Entwaffnung erzwingen. Eine irakische Regierung, die das versuchen würde, könnte damit nur ihren eigenen Sturz provozieren. Irak würde dann in einen Bürgerkrieg versinken, aus dem nicht, wie derzeit, drei Teile hervorgehen würden (Schiiten, Sunniten und Kurden), sondern fünf oder sechs nicht mehr zusammenzufügende Splitter.

Die zweite Empfehlung, auf die sich Republikaner und Demokraten demnächst verständigen könnten, lautet: Die US-Regierung soll von ihrem erklärten Ziel, im Irak demokratische Verhältnisse durchzusetzen, Abstriche machen und stattdessen der Herstellung von "Stabilität" Priorität einräumen. Gemeint ist damit der Sturz der aus Wahlen hervorgegangenen Regierung Maliki und die erzwungene Einsetzung eines "überkonfessionellen" Regimes, das hauptsächlich auf militärische und polizeiliche Gewalt setzt. Dieses von US-Kreisen schon seit mehreren Monaten ganz offen erörterte Projekt bildet eine logische, notwendige Ergänzung zu der Forderung nach einem Feldzug gegen die schiitischen Milizen.

Bleibt der Iran als Hauptkonfliktfeld der absehbaren Zukunft. Führende Demokraten werfen der Bush-Regierung vor, die Konfrontation bisher nicht aggressiv genug betrieben zu haben. Ein mäßigender Einfluss ist also von den neuen Mehrheitsverhältnissen in Senat und Abgeordnetenhaus nicht zu erwarten.

Ohnehin ist die Sache mit tatkräftiger Beihilfe Deutschlands, Großbritanniens und Frankreichs auf eine Bahn gebracht worden, die kaum noch eine Umkehr zulässt, sofern man nicht radikal mit allen Fehlern der Vergangenheit brechen will. Ein zentraler Fehler ist die Weigerung, mit Iran zu verhandeln, solange es nicht bedingungslos die Maximalforderung nach Einstellung aller Arbeiten an der Uran-Anreicherung akzeptiert. Ein solches Vorgehen ist in der neueren Geschichte der Diplomatie beispiellos. Selbst mit Nordkorea, das aus dem Atomwaffensperrvertrag ausgetreten ist und jetzt Atomwaffen produziert, wird ohne Vorbedingungen verhandelt.

Die Verhängung von Sanktionen, die derzeit von Russland und China noch blockiert wird, würde mit hoher Wahrscheinlichkeit in kurzer Zeit zu Kriegshandlungen gegen Iran führen. Derzeit findet das gesamte zivile Atomprogramm Irans immer noch unter vollständiger Kontrolle der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) statt. Sobald aber Sanktionen in Kraft treten, ist mit iranischen Reaktionen zu rechnen, die die bisherige Transparenz des iranischen Atomprogramms schrittweise einschränken würden.

In einer solchen Situation würde, da positive Wirkungen der Sanktionen nicht zu erwarten wären, sehr schnell die Forderung nach Militärschlägen gegen die iranischen Atomanlagen enorm an Zugkraft gewinnen. Sollten die USA zögern, könnte Israel jederzeit den Krieg auslösen. Die israelischen Streitkräfte sind zwar zu einem länger dauernden, umfassenden Luftkrieg gegen Iran nicht in der Lage. Aber ein kurzer israelischer Militärschlag würde ausreichen, um iranische Reaktionen zu provozieren. Und dass es dann einen US-Präsidenten und eine Kongress-Mehrheit geben würde, die nicht ihre "Bündnisverpflichtungen" gegenüber Israel erfüllen würden, liegt außerhalb aller realistischen Vorstellungen.

Es ist also an keinem Krisenpunkt des Nahen und Mittleren Ostens eine Mäßigung der amerikanischen Politik aufgrund der neuen Kongressmehrheit zu erwarten. Zu rechnen ist hingegen mit einem engeren Zusammenrücken von Republikanern und Demokraten, wie es sich in ersten Äußerungen von George W. Bush und Nancy Pelosi bereits andeutet. Das könnte die Basis für neue militärische Abenteuer, insbesondere gegen den Iran, verbreitern und stärken.

Knut Mellenthin, 11. November 2006

Ein weiterer Artikel zur Nahost-Politik der Demokraten:
"Amerika kann es besser" - aber Kerry nicht