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"This is war"
Empörung über US-Zeitung, die die Normalität des Kriegsalltags in Afghanistan dokumentierte.
Wieder einmal haben sich US-Soldaten bei Leichenschändungen gegenseitig fotografiert. Die Wut der Regierung in Washington und der militärischen Führung richtet sich gegen die Tageszeitung, die den Vorgang bekannt machte.
Die Los Angeles Times, eines der bedeutendsten Blätter der Vereinigten Staaten, veröffentlichte am Mittwoch zwei Fotos, die insgesamt mehr als ein Dutzend US-Soldaten in triumphierenden Posen mit den Leichen getöteter Afghanen und abgetrennten Körperteilen zeigen. Auf einem der Bilder ist ein Stück Papier mit den Worten „Zombie-Jäger“ zu sehen.
Die Täter sind Angehörige der 82. Luftlandedivision, die sich gern „America's Guard of Honor“, Amerikas Ehrenwache oder Ehrengarde, nennen lässt. Ihr Heimatstandort ist Fort Bragg in North Carolina, wo auch der Soldat stationiert war, der im März - angeblich als Einzeltäter – das Leben von 17 Menschen in zwei Dörfern Südafghanistans auslöschte.
Die Fotos hatte David Zucchino, ein langjähriger Kriegsberichterstatter der LA Times, schon vor zwei Monaten per E-Mail von einem Soldaten erhalten, der sich Sorge um den „Zusammenbruch von Sicherheit, Disziplin und Professionalität“ in der kämpfenden Truppe machte. Die Zeitung wandte sich daraufhin an Vertreter der militärischen Führung - die sich schärfstens gegen eine Veröffentlichung aussprachen. Es folgten zahlreiche Diskussionen, die sich über Wochen erstreckten.
Nachdem schließlich die Entscheidung der Redaktion feststand, zwei der insgesamt 18 Fotos zu dokumentieren, bat das Militär sich eine mehrtägige Frist aus, die angeblich dazu dienen sollte, in Afghanistan Vorbereitungen gegen eventuelle militärische Vergeltungsschläge der Aufständischen zu treffen. Die LA Times verschob daraufhin die Veröffentlichung um 72 Stunden. Aus aktuellen Presseberichten wird klar, dass die Schonfrist hauptsächlich dazu benötigt wurde, Präsident Hamid Karsai und andere maßgebliche afghanische Politiker auf das Erscheinen der Bilder vorzubereiten und sie zur „Mäßigung“ ihrer Stellungnahmen zu drängen.
US-Verteidigungsminister Leon Panetta erhob am Mittwoch schwere Anschuldigen gegen die LA Times: „Diese Art von Fotos wird vom Feind benutzt, um zu Gewalttaten aufzustacheln. Manche haben als Ergebnis ihr Leben verloren.“ Ähnlich äußerte sich Wesley Clark, ein General im Ruhestand, der sich auch schon mal um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten bemühte: „Ich hoffe, unseren Truppen geht es gut“, aber die Redakteure würden „mit den Konsequenzen leben müssen“.
Zur Bewertung des Vorfalls gab Pentagon-Chef Panetta zu bedenken: „Das ist der Krieg. Ich weiß, dass Krieg hässlich und gewalttätig ist. Und ich weiß, dass junge Leute manchmal im Eifer des Gefechts sehr törichte Entscheidungen treffen.“ Trotzdem sei das Benehmen der abgebildeten Soldaten „nicht zu akzeptieren“ und völlig untypisch für die US-Streitkräfte insgesamt.
Zuvor war schon im Januar ein Video ins Internet gestellt wurden, das US-Soldaten beim Urinieren auf die Leichen getöteter Afghanen zeigte.
Der Bundesausschuss Friedensratschlag kommentierte am Mittwoch: „Zehn Jahre Krieg in Afghanistan hinterlassen ihre Spuren bei den Soldaten, denen eingeredet wird, im Namen des Guten, der Freiheit und sonstiger hoher Werte gegen weitgehend entmenschte Gegner, gegen die Inkarnation des Bösen zu kämpfen. Die psychische Verrohung von Soldaten ist eine der viel beschriebenen Folgen eines Krieges.“
Knut Mellenthin
Junge Welt, 20. April 2012