Funktionen für die Darstellung

Darstellung:
  • Standard.
  • Aktuelle Einstellung: Druckansicht.

Seitenpfad

Smoke gets in your eyes

Als "smoking gun" feierten die Medien der USA schon tagelang im Voraus das Video, das Bin Laden im gemütlich-makabren Geplauder mit Freunden und Anhängern zeigt. Soll heißen, hier sei nun endlich der Täter mit der rauchenden Knarre in der Hand erwischt worden. Folglich sei an seiner Schuld nicht mehr zu zweifeln. Wer das nicht auf Anhieb einleuchtend findet, hat vermutlich zuwenig Western-Filme gesehen.

Das Video wurde angeblich unter nicht näher geschilderten Umständen Ende November in einem Privathaus in der ostafghanischen Stadt  Dschalalabad gefunden. (1) Bis zur öffentlichen Präsentation am 13. Dezember 2001 vergingen mehr als zwei Wochen. Soviel Zeit sei nötig gewesen, um die in miserabler Ton- und Bildqualität produzierten 40 Film-Minuten "technisch aufzubereiten" und von mehreren hochkarätigen Experten aus dem Arabischen übersetzen zu lassen.

Vielleicht war es aber auch umgekehrt: Vielleicht brauchten die Techniker so lange, um ein normales, stümperhaftes Amateurvideo bis zur weitgehenden Unverständlichkeit und Unkenntlichkeit zu frisieren. An der Unverständlichkeit jedenfalls besteht kein Zweifel: Araber in den USA ebenso wie in aller Welt kritisierten, daß sie auf die fragwürdigen englischen Untertitel angewiesen seien, da das arabisch geführte Gespräch, und insbesondere die Äußerungen Bin Ladens, kaum zu verstehen seien. (2) Als sich die US-Regierung einige Tage später entschloss, einigen arabischen Regierungen und Fernsehsendern eine Version des Videos zur Verfügung zu stellen, erhielten die Empfänger es gleich mit arabischen Untertiteln made in USA geliefert. (3)

Auch die offizielle amerikanische Übersetzung des Filmchens wurde kritisiert. Im deutschen Fernseh-Magazin "Monitor" erklärte der Arabist Dr. Husseini, die englischen Untertitel seien "an den wichtigsten Stellen, die die Täterschaft Bin Ladens beweisen sollten, nicht identisch mit dem arabischen Ton". In der Sendung wurden von Experten für die arabische Sprache mehrere konkrete Beispiele für diese Behauptung angeführt. An der wichtigsten der beanstandeten Stellen sagt Bin Laden laut offizieller Übersetzung: "...we asked each of them to go to America" - "wir forderten jeden von ihnen - den 19 Entführern der vier US-Maschinen - auf, nach Amerika zu gehen". Dies ist der einzige Satz des Videos, in dem Bin Laden sich explizit als Auftraggeber der Anschläge bezeichnet. Nur schade, daß er vermutlich falsch übersetzt wurde. Der Diplom-Übersetzer Dr. Alami erklärte jedenfalls in der Monitor-Sendung, der Satz laute richtig übersetzt: "Man forderte jeden von ihnen auf...". (4)

Al-Ahmed, ein saudiarabischer Dissident, der ein Menschenrechts-Institut leitet, behauptete gar, die amerikanischen Übersetzer hätten aus politischer Rücksichtnahme auf das fundamentalistische Regime in Riad größere Teile des Gesprächs einfach weggelassen. So habe Bin Laden nicht nur Mohamed Atta, sondern auch die Namen von acht weiteren Flugzeugentführern genannt. Die Erwähnung dreier saudiarabischer islamischer Würdenträger, die sich positiv zu den Anschlägen vom 11. September geäußert hätten, sei gleichfalls getilgt worden. (Drei andere werden allerdings auch in der offiziellen Übersetzung genannt!) Und schließlich sei, behauptete Al-Ahmed, ein entscheidender Satz völlig ausgelassen worden, der die Rolle Bin Ladens bei der Planung der Anschläge beweise. (5) Diese in den US-Medien ernsthaft kolportierte Behauptung macht zwar unter der Prämisse, die US-Regierung hätte ihren Freunden in Riad einen Gefallen tun wollen, absolut keinen Sinn. Sie unterstreicht aber die anscheinend am Rande der Beliebigkeit befindliche Tonqualität des Videos.

An einer Stelle der offiziellen Übersetzung wurde überdies eine eindeutige Manipulation vorgenommen. Laut Untertiteln sagte Bin Laden: "Muhammad from the Egyptian family was in charge of the group", sei also der Chef der Flugzeug-Entführer gewesen. Die offizielle Übersetzung hat nicht nur - vermutlich zutreffend, aber dennoch spekulativ - an dieser Stelle einfach den Nachnamen Atta in Klammern hinzugefügt, sondern hinter die Worte "from the Egyptian family" eine eigenmächtige "Erläuterung" gesetzt: "meaning the Al Qa'ida Egyptian group" - gemeint sei die ägyptische Gruppe von Al Qaida, dem sagenhaften "Terrornetzwerk" Bin Ladens. Womit die Schuld Bin Ladens ja wohl noch einmal bewiesen wäre. Aber erstens ist von der Existenz einer "ägyptischen Gruppe von Al Qaida" nichts bekannt, und zweitens läge es sehr viel näher, den Begriff "Familie" auf die Herkunft Attas aus Ägypten zu beziehen, analog zur Verwendung des Begriffs "Brüder" in der Rhetorik Bin Ladens.

Diese eigenmächtige "Erläuterung" der Übersetzer oder Editoren des Videos fällt umso mehr auf, da es in der offiziellen Version ansonsten an erforderlichen Wort-und Sinn-Erklärungen mangelt. So blieben die Begriffe Hadith (Sammlung von nicht-koranischen Sprüchen und Episoden aus dem Leben des Propheten Mohammed) und fiqh (Rechtsprechung, Gesetz) unerklärt. Das fünf Mal vorkommende fiqh verwirrte einige deutsche Korrespondenten in den USA so sehr, daß sie an "fight" dachten und das Wort mit "Kampf" übersetzten.

Die vierzehntägige Wartezeit auf die Freigabe des Videos wurde in den Medien der USA und ihrer Verbündeten dazu genutzt, dem Publikum immer wieder zu erzählen, was es im Film sehen und was dadurch nun endlich definitiv bewiesen werden würde: "Wer dieses Band sieht, erkennt nicht nur, daß Bin Laden sich unbeschreiblicher Morde schuldig gemacht hat. Sondern auch, daß er kein Gewissen und keine Seele hat." (Filmkritiker George W. Bush, zitiert in der BILD vom 12. Dezember). Auch grobschlächtige Falschmeldungen wurden vorab verbreitet: "Hämisch grinsend erzählt Bin Laden seinem Gast, daß einige der 18 Hijacker nicht wussten, daß sie einem Selbstmord-Kommando angehörten." (BILD, 12.12.)
Tatsächlich sagte Bin Laden aber laut offizieller Übersetzung: Die "Brüder", die die "Operation" ausführten, hätten lediglich gewusst, daß es um eine "Märtyrer"- (Selbstmord-) Aktion gehen würde, aber die konkrete Planung erst kurz vor Besteigen der Flugzeuge erfahren.

Und was würde uns alles dies beweisen, selbst wenn die technische Qualität des Videos erstklassig und die offizielle Übersetzung über jeden Zweifel erhaben wäre? Nach der unisonen Meinung der Medien der USA und der gesamten Anti-Terror-Koalition hat Bin Laden in dem gefilmten Gespräch offenbart, daß er nicht nur in zahlreiche Details der Anschläge eingeweiht, sondern auch unmittelbar an der Planung beteiligt war. Tatsächlich aber gab er nur Banalitäten von sich, die sogar jedem regelmäßigen Leser der BILD-Zeitung geläufig sind: Daß Mohamed Atta der "Kopf" der Flugzeugentführer gewesen sei, stand für Polizei und Medien schon wenige Tage nach dem 11. September fest. Ob's stimmt, ist ungewiss. Daß die meisten der Entführer nicht in die Planung eingeweiht waren, oder auch, daß die einzelnen Gruppen einander nicht kannten, war auch vor Bin Ladens Video allgemeiner Gegenstand der Mutmaßungen. An keiner einzigen Stelle des Gesprächs verriet Bin Laden exklusives Täterwissen.

Auch seine angebliche Äußerung im Video, "Wir berechneten im Voraus die Zahl der Verluste des Feindes" und das Ausmaß der Zerstörung an den beiden Türmen des World Trade Centers, weist nicht zwingend auf eine Drahtzieher-Rolle hin, sondern lässt ebenso plausibel die Deutung zu, daß es sich lediglich um makabre Spekulationen vor dem Fernseher während der Live-Übertragung aus New York handelte.

Vor Gericht, soviel steht selbst für US-amerikanische Medien fest, wäre mit diesem Video streng genommen nicht viel anzufangen. Einen qualifizierten Beweis für eine Tatbeteiligung in irgendeiner Form stellt es nicht dar, seine technischen Mängel machen es außerdem als Beweismittel sehr zweifelhaft. Da müsste schon der Druck der öffentlichen Meinung hinzukommen. Brian O'Neill, Rechtsanwalt und ehemaliger Chef für "Sonderfälle" (spezial prosecutions) bei der Staatsanwaltschaft in Los Angeles, drückt es so aus: Die Möglichkeit, daß ein Richter das Video als Beweismittel ablehnen würde, stehe eins zu tausend. "Sonst würde niemand in seiner Nachbarschaft jemals wieder mit ihm sprechen." (Los Angeles Times, 14.12.)

Darüber hinaus bliebe immer noch die wahrscheinliche Option eines Militärtribunals. "There, the rules of evidence are relaxed", erläutert der kalifornische Professor Scott L. Silliman, der als Experte für Militärrecht gilt.

Knut Mellenthin

Konkret, Januar 2002

Anmerkungen
1) AFP, 13.12., 20:37
2) zum Beispiel Los Angeles Times, 14.12. MSNBC, 13.12.
3) Washington Post, 15.12.
4) Monitor-Textmitschnitt
5) CNN, 22.12., 00:45 GMT. AbcNews 21.12.