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Obama verkündet Krieg ohne Grenzen

Barack Obama hat am 27. März seine seit Wochen angekündigte „umfassende neue Strategie für Afghanistan und Pakistan“ vorgestellt. Er selbst benutzte diese Bezeichnung schon im zweiten Satz seiner Ansprache, gleich nach dem „Good morning“. Die Klarstellung macht Sinn, denn ohne weiteres würde man das, was der US-Präsident dann vortrug, weder für eine Strategie noch für neu halten. Dazu fehlte auch das, was Grundlage jeder neuen Strategie sein müsste: Eine ernsthafte Untersuchung und Auseinandersetzung mit der Frage, warum über sieben Jahre nach Beginn der amerikanischen Militärintervention die Situation nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Pakistan so ist, dass Obama sie im ersten Satz seiner Aussagen zur Sache als „increasingly perilous“, zunehmend gefahrvoll, beschrieb. Faktoren, über die nicht nur die Kabuler Regierung, sondern die ganze Welt spricht, wie die immer stärkere „Entfremdung“ der afghanischen und pakistanischen Bevölkerung durch die kontraproduktive amerikanische Kriegführung, tauchten in der Rede des US-Präsidenten überhaupt nicht auf. Kein Wort des Bedauerns oder einer menschlichen Regung für die zahllosen zivilen Opfer von Luftangriffen und Kommando-Einsätzen, schon gar nicht das Versprechen, es künftig besser machen zu wollen.

Als einzige Kritik an der Strategie seines Vorgängers sagte Obama gleich mehrmals in seiner Rede, dass in Afghanistan bisher zu wenig „Ressourcen“ eingesetzt worden seien, weil diese falscherweise auf den Irak konzentriert worden seien. Versteht man unter „Ressourcen“ hauptsächlich Soldaten, wie es Obama zu tun scheint, hat der Vorwurf immerhin eine gewisse innere Logik. Darüber hinausgehend trifft diese Kritik aber nicht das wirkliche Problem: Die US-Regierung hat seit Kriegsbeginn in Afghanistan insgesamt 31 bis 32 Milliarden Dollar für militärische und zivile „Hilfe“ ausgegeben – allerdings aus vielen Gründen nicht wirkungsvoll. Auch darüber jedoch kein Wort in Obamas Ansprache, was von Anfang an daran zweifeln lässt, dass es künftig wesentlich anders laufen wird. Die Ankündigung, man wolle sich mehr um die Ausbildung afghanischer Soldaten und wirtschaftlichen Aufbau kümmern, ist jedenfalls überhaupt nicht neu, auch wenn sie von Politikern rund um den Erdball enthusiastisch beklatscht wurde, als hätte der 44. Präsident der USA soeben das Rad, das Feuer und das Ei des Kolumbus gleichzeitig erfunden. Man möge daraufhin die Reden seines Vorgängers oder die Debatten des Deutschen Bundestages durchgehen.

Warum beispielsweise die schon unter George W. Bush sehr hoch gesteckten Ziele für den Aufbau afghanischer Militär- und Polizeikräfte sowohl quantitativ wie qualitativ bei weitem verfehlt wurden, wäre für eine ernsthafte Analyse der Lage ein zentrales Thema. Obama aber beantwortete die Frage nicht nur nicht, sondern stellte sie nicht einmal. Er teilte lediglich mit, dass die afghanischen Streitkräfte, derzeit 90.000 Mann, bis zum Jahr 2011 auf 134.000 verstärkt werden sollen und dass auch die Polizei (derzeit 80.000 Mann) ausgebaut werden soll. Von einer Verstärkung der Streitkräfte auf 122.000 Mann hatte Robert Gates allerdings auch schon im vorigen Jahr gesprochen, als er noch Verteidigungsminister unter Bush war. Die zusätzlichen 12.000 Mann, die in Obamas Plan neu hinzugekommen sind, rechtfertigen gewiss nicht die feierliche Bezeichnung „neue Strategie“.

"Amerikanisierung" des Krieges

Zusätzlich zu der Verstärkung der US-Truppen um 17.000 Mann, die er schon im Februar angeordnet hatte, gab der Präsident jetzt bekannt, dass er weitere 4.000 Soldaten als Ausbilder und Einsatzberater der einheimischen Armee nach Afghanistan schicken will. Danach wird Washingtons Truppenstärke dort rund 60.000 Mann betragen – mehr als doppelt soviel wie die übrigen NATO-Kräfte zusammen. Die Dominanz der USA in der Aufstandsbekämpfung und Besatzungspolitik wird durch diese Verstärkung noch deutlicher werden. US-Medien sprechen bereits von einer „Amerikanisierung des Krieges“. Gemeint ist damit vor allem, dass man auf Einwände der Verbündeten und der Kabuler Regierung künftig noch weniger Rücksicht nehmen muss als bisher. Auch im Süden des Landes, wo britische, kanadische und niederländische Einheiten relativ eigenständig tätig waren, wird das US-Militär künftig die Führung übernehmen. Inwiefern mit der Verstärkung der amerikanischen Truppen jedoch irgendeine Art von „neuer Strategie“ verbunden sein soll, erläuterte Obama nicht. In Berlin hat man aber dankbar registriert, dass in der Rede keine direkten Forderungen nach mehr Soldaten der NATO-Verbündeten und nach deutscher Beteiligung an Kampfeinsätzen enthalten waren.

Dass der Präsident nicht nur die militärische Komponente des Krieges eskalieren will, sondern zugleich eine „massive Aufstockung ziviler Maßnahmen“ angekündigt hat, bekam besonders starken Beifall von deutschen Regierungs- und Oppositionspolitikern. Tatsächlich hat Obama zwar gesagt, dass in Afghanistan „landwirtschaftliche Spezialisten und Erzieher, Ingenieure und Anwälte“ benötigt werden, und das nicht nur in Kabul, „sondern von Grund auf in den Provinzen“. Er hat auch einen „substantiellen Anstieg unserer zivilen Kräfte“ versprochen. Mehr jedoch nicht: keine konkrete Zahlen, keine spezifischen Details.

In der Presse war vor der Rede des Präsidenten von einer Aufstockung der in Afghanistan tätigen amerikanischen „Zivilisten“ um mindestens 50 Prozent auf sage und schreibe „mehr als 900“ die Rede. Ein „Zivilist“ auf 60 Soldaten. In einem Land mit über 30 Millionen Einwohnern, das wirtschaftlich und strukturell ganz unten auf der internationalen Skala steht, Platz 174 von 178 auf dem „Armutsindex“ der Welt. Das gesamte afghanische Bruttoinlandprodukt eines Jahres entspricht ungefähr dem Betrag, den die US-Regierung dort in vier Monaten für die Aufstandsbekämpfung ausgibt.

Bei den „Zivilisten“ wird es sich neben Regierungsangestellten vielfach um Beschäftigte von Privatfirmen handeln. Aus Kostengründen ist das Personal von USAID, der für Auslandshilfe zuständigen Organisation des State Department, in den letzten zwei Jahrzehnten so heruntergefahren worden, dass man sich nicht nur überwiegend auf Privatfirmen (private contractors) stützen muss, sondern dass man nicht einmal genug Leute hat, um deren Arbeit zu kontrollieren. Zu dieser Feststellung kommt die internationale Hilfsorganisation Oxfam in einem gerade veröffentlichten Bericht. Sie übt in diesem Zusammenhang auch grundsätzliche Kritik an der Arbeit der US-Bürokratie in Afghanistan. Auch darüber kein Wort in Obamas Rede, der es im Übrigen sogar vermied, irgendeine Angabe über den finanziellen Umfang der künftigen „zivilen Hilfe“ für Afghanistan zu machen. Das musste umso mehr auffallen, da er für Pakistan sehr wohl einen entsprechenden Betrag nannte, nämlich jährlich 1,5 Milliarden Dollar für den Zeitraum der nächsten fünf Jahre.

Einbeziehung Pakistans in den Krieg

Obama hat in seiner Rede Afghanistan und Pakistan erstmals hochoffiziell als gemeinsamen Kriegsschauplatz definiert. „Die Zukunft Afghanistans ist untrennbar mit der Zukunft seines Nachbarn, Pakistan, verbunden. In den fast acht Jahren seit dem 11. September sind Al-Kaida und ihre extremistischen Verbündeten in die entlegenen Grenzgebiete Pakistans umgezogen. (...) Für das amerikanische Volk ist diese Grenzregion zum gefährlichsten Platz der Welt geworden.“ „Die Terroristen innerhalb der Grenzen Pakistans sind nicht einfach nur Feinde Amerikas oder Afghanistans – sie stellen eine ernste Gefahr auch für das Volk Pakistans dar. (...) Al-Kaida und ihre extremistischen Verbündeten sind ein Krebsgeschwür, das Pakistan von innen umzubringen droht.“

Das amerikanische Volk müsse verstehen, „dass Pakistan unsere Hilfe braucht, um gegen Al-Kaida vorzugehen“, sagte Obama, vermied aber auch zu diesem Thema präzise Aussagen. Vage umschrieb er die Aufgaben mit einem einzigen Satz: „Wir müssen unsere Militärhilfe deshalb konzentrieren auf die Geräte, die Ausbildung und die Unterstützung, die Pakistan braucht, um die Terroristen auszurotten.“

Alles das war im Prinzip natürlich auch schon unter Bush praktiziert worden. Obamas neuer Akzent liegt einzig und allein in der Aussage: „Nach Jahren mit gemischten Ergebnissen werden wir keinen Blankoscheck ausstellen.“ Soll heißen, die „Militärhilfe“ wird künftig an die Bedingung geknüpft, dass die US-Regierung mit den pakistanischen Bemühungen, in den nordwestlichen Stammesgebieten Krieg gegen Teile der eigenen Bevölkerung zu führen, zufrieden ist. Lässt der Eifer der pakistanischen Regierung und ihrer Streitkräfte zu wünschen übrig, drohen Abzüge.

Es liegt auf der Hand, dass das eine völlig destruktive, geradezu idiotische Herangehensweise ist. Denn die „Militärhilfe“ ist ja kein Geschenk, das man Politikern und Generälen macht – zumindest nicht in der Hauptsache -, sondern sie soll Pakistan befähigen, sich wirkungsvoller an dem amerikanisch geführten „Krieg gegen den Terror“ zu beteiligen, der aus PR-Gründen wohl künftig einen neuen Namen verpasst kriegen wird. Die pakistanischen Militärs bestrafen zu wollen, indem man ihnen die Mittel für den Bürgerkrieg kürzt, den sie im Interesse der USA führen sollen – auf so einen Einfall muss man erst einmal kommen. Aber die amerikanische Öffentlichkeit applaudiert begeistert, weil die Grundidee, Undankbarkeit für Geschenke der USA müsse hart bestraft werden, den gern als „Patriotismus“ beschönigten tumben Chauvinismus gegenüber der Welt jenseits der eigenen Grenzen anspricht.

Ein zentrales Problem der amerikanisch-pakistanischen Beziehungen und des Ansehens der USA in Pakistan sind die Raketenangriffe unbemannter Flugkörper, deren Zahl schon unter Bush seit August 2008 – also zeitgleich mit dem Rücktritt des von der US-Regierung protegierten Militärpräsidenten Pervez Muscharraf – sprunghaft gesteigert wurde. Obama hat diese Praxis seit seinem Amtsantritt im Januar fortsetzen lassen, obwohl die pakistanische Regierung diese Aktionen nicht nur als Verletzung der Souveränität des Landes kritisiert, sondern sie auch als politisch kontraproduktiv verurteilt. Das pakistanische Parlament hat in diesem Sinn mehrfach einstimmige Beschlüsse gefasst. Eine im Oktober 2007 – also noch vor der massiven Steigerung der Drohnen-Attacken - veröffentlichte Untersuchung zeigt, dass nur eine geringfügige Mehrheit der Pakistaner das Vorgehen der eigenen Sicherheitskräfte gegen „Al-Kaida“ billigt, nämlich 44 Prozent; 36 Prozent äußerten sich ablehnend. Was aber Aktionen amerikanischer oder anderer ausländischer Streitkräfte gegen pakistanisches Gebiet angeht, stimmten nur 5 Prozent zu, während 80 Prozent dagegen waren. Und die geschickt gewählte Formulierung „Al-Kaida“ verfälschte das Ergebnis sogar noch: Hätte man richtigerweise nach Militäraktionen gegen Bewohner der Stammesgebiete gefragt, wäre die Ablehnung noch stärker ausgefallen.

Drohnen-Angriffe werden fortgesetzt

Vor wenigen Wochen sorgte eine Meldung der New York Times, die US-Regierung erwäge eine Ausweitung der bisher auf Nordwestpakistan beschränkten Drohnen-Attacken auf die Provinz Belutschistan, für zusätzliche Aufregung in Pakistan. Außerdem ist immer noch die Frage von amerikanischen Kommando-Aktionen auf pakistanischem Boden offen. Präsident Bush hatte im vorigen Jahr solche Vorstöße grundsätzlich genehmigt. Es gab jedoch bisher nur einen derartigen Überfall, Anfang September 2008, bei dem nach örtlichen Berichten sehr viele unbeteiligte Bewohner, vor allem Frauen und Kinder, von den amerikanischen Spezialtruppen getötet wurden. Danach folgten keine weiteren Aktionen dieser Art, doch wurde die Anordnung von Bush anscheinend bisher nicht aufgehoben. Auch dazu wäre eine Klarstellung Obamas im Rahmen seiner „neuen Strategie“ dringend notwendig gewesen.

Aber die gesamte Problematik, bei der es um das Bild der USA in der pakistanischen Bevölkerung und somit eigentlich um die politische Grundlage der gesamten Strategie geht, war dem Präsidenten in seiner Ansprache kein Wort wert. Sein einziger Satz zum Thema war: „Wir werden darauf bestehen, dass Aktionen unternommen werden – auf die eine oder andere Weise – wenn wir Erkenntnisse über hochgradige terroristische Ziele haben. “ Das lässt sich überhaupt nur auf eine Art interpretieren: Die Angriffe werden fortgesetzt.

Am 29. März legte Obama in einem Interview mit dem Fernsehsender CBS nach: „Wenn wir ein hochwertiges Ziel im Visier haben, greifen wir es nach Konsultation mit Pakistan an.“ Diese Formulierung räumt genau betrachtet der Regierung in Islamabad kein Veto-Recht ein. Wohl aber wird die große Mehrheit der pakistanischen Bevölkerung künftig nach US-Attacken erst recht der Meinung sein, dass ihre Regierung insgeheim einverstanden sei und als Marionette im Dienste Amerikas agiere.

Selbst aus der inneren Logik der US-Administration müsste man vernünftigerweise zur Schlussfolgerung kommen, dass die äußerst begrenzten Erfolge, die bestenfalls durch die Drohnen-Angriffe möglich sind, auf gar keinen Fall den politischen Schaden aufwiegen, den diese anrichten. Das wird in den Analysen mancher amerikanischer Think Tanks zutreffend festgestellt, ist aber beim Präsidenten anscheinend noch nicht angekommen. Zwar bekannte sich Obama in seiner Rede vordergründig zu der banalen Wahrheit: „Eine Kampagne gegen den Extremismus kann nicht mit Kugeln oder Bomben allein zum Erfolg führen.“ Aber als Antwort darauf hatte er nur 1,5 Milliarden Dollar jährlich – eine Verdreifachung des bisherigen Betrags - anzubieten, die „das pakistanische Volk“ in den nächsten fünf Jahren als gezielte Aufbauhilfe erhalten soll: für „Schulen, Straßen, Krankenhäuser und zur Stärkung der pakistanischen Demokratie“, wie Obama sagte. Die darin enthaltene zynische oder gedankenlose Kalkulation, man könne die totale Missachtung des Willens der Bevölkerung durch Geschenke kompensieren, stellt natürlich eine Beleidigung dar, die bei den Adressaten nicht unbemerkt bleiben wird.

Außerdem muss man dieses Versprechen vor dem Hintergrund der Tatsache sehen, dass Pakistan am Rande des Staatsbankrotts steht. Das Land wird jährliche Zuschüsse von mehreren Milliarden brauchen, um auch nur sein wirtschaftliches Überleben zu sichern. Eine aktuelle Studie des regierungsnahen Think Tanks Asia Society, dessen Vorsitzender Richard Holbrooke bis zur Übernahme seines Regierungsamtes war, schätzt ein, dass Pakistan im Zeitraum der nächsten fünf Jahre insgesamt 50 Milliarden Dollar braucht, um einen Zusammenbruch zu verhindern. („Back from the Brink? A Strategy for Stabilizing Afghanistan-Pakistan“)

Letztlich wird die von Obama in Aussicht gestellte „Aufbauhilfe“ nur dazu dienen, direkt oder auf Umwegen Löcher im Etat zu flicken, wie es schon in der Vergangenheit geschah. Nach Schätzungen von Experten ist sogar ein erheblicher Teil der von den USA gezahlten Militärhilfe – über 10 Milliarden seit 2001 – in den Haushalt geflossen. Auf der anderen Seite sind die Anleihen Pakistans beim Weltwährungsfond IMF, zuletzt 7,6 Milliarden Dollar im November 2008, mit harten Bedingungen verbunden, die sich unmittelbar in soziale Einschnitte für die Bevölkerung umsetzen. Aber zur wirtschaftlichen und finanziellen Lage Pakistans fand sich kein Wort in der Rede des US-Präsidenten.

Durchhalteparolen statt Analyse

Statt kritischer Analyse, „neuer Strategie“ und konkreten Ankündigungen bot Obama platte Agitation mit Durchhalteparolen. So begann er seine Rede denn auch mit dem Versuch, die Notwendigkeit der Kriegführung in Afghanistan, und künftig wohl zunehmend auch in Pakistan, scheinbar rational zu begründen. „Al-Kaida und ihre Verbündeten – die Terroristen, die die Angriffe vom 11. September – planten, befinden sich in Pakistan und Afghanistan. Geheimdienstliche Erkenntnisse und Einschätzungen warnen davor, dass Al-Kaida von ihren sicheren Schlupfwinkeln in Pakistan aus Angriffe auf das Territorium der USA plant.“ „Das ist nicht einfach nur ein amerikanisches Problem – weit entfernt. Es ist vielmehr eine Bedrohung höchsten Grades für die internationale Sicherheit.“ „Wir haben ein klares, genau umrissenes Ziel: Al-Kaida in Pakistan zu stören, aufzulösen und zu besiegen, und zu verhindern, dass sie künftig in eines dieser Länder zurückkehrt.“

Das ist nur noch Originalton Bush, ohne jeden Realitätsbezug. Der US-Präsident bietet seinen Untertanen das einzige Argument an, das sich für eine zeitlich und räumlich unbegrenzte Fortführung dieses Krieges mit einiger Aussicht auf Erfolg verkaufen lässt. Und das sind eben letztlich weder die Rechte der afghanischen Frauen und Mädchen noch die Demokratisierung der Welt nach amerikanischem Vorbild, sondern das ist die Drohung mit einem neuen 11. September. Nimmt man diese Begründung ernst, dann ist die direkte Einbeziehung Pakistans in den Krieg, mit Kampftruppen der USA und vielleicht auch ihrer Verbündeten, nur noch eine Frage der Zeit.

Aus Obamas Rede klingt nicht die Spur eines intellektuellen oder humanen Verständnisses für die Tatsache, dass der „Krieg gegen den Terror“ – oder wie immer man ihn künftig umtaufen wird – nicht gegen Monster von einem anderen Stern geführt wird, nicht gegen „Feinde Afghanistans“ oder „Feinde von Frieden und Stabilität“, wie es in der Orwellschen Sprachverdrehung der Kriegsherren heißt. Die USA und ihre Verbündeten führen Krieg gegen wirkliche Menschen, Afghanen und Pakistaner, die keinerlei aggressive Absichten gegen die USA oder irgendeinen Ort außerhalb ihres eigenen Lebenskreises haben.

Würde der US-Präsident diese Realität anerkennen, könnte er auch nicht davon sprechen, dass die amerikanischen Streitkräfte dort gegen einen Feind kämpfen, „der dem afghanischen Volk nichts als Terror und Unterdrückung zu bieten hat“. Und dann könnte er auch nicht simplifizierend behaupten, der Gegner bestehe nur aus einem kompromisslosen harten Kern einerseits und aus gezwungenen oder angeheuerten Menschen andererseits. Wenn es wirklich so einfach wäre, wäre überhaupt nicht einzusehen, warum die USA gemeinsam mit ihren NATO-Verbündeten den Krieg nicht schon längst gewonnen haben.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 31. März 2009