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Nur gegen Schurkenstaaten

Baubeginn für „Raketenschild“ gegen Russland in Rumänien.

Die NATO hat am Montag mit einem wichtigen Schritt zur Verstärkung der militärischen Einkreisung Russlands begonnen: In der Nähe der südrumänischen Kleinstadt Caracal, nicht weit von der Grenze zu Bulgarien entfernt, fand der als Staatsakt zelebrierte erste Spatenstich für ein Element des schon seit über zehn Jahren diskutierten und geplanten „Raketenschildes“ statt. Dieser soll es längerfristig ermöglichen, Russlands Atomwaffenpotential „auf Null zu reduzieren“, wie Präsident Wladimir Putin es einmal formulierte, indem die USA und ihre Verbündeten sich eine wirksame Raketenabwehr verschaffen. Dadurch würde das seit rund sechzig Jahren funktionierende System der gegenseitigen „atomaren Abschreckung“ weitgehend ausgeschaltet. Russland müsste dann, wie Putin bei anderer Gelegenheit drastisch warnte, damit rechnen, Ziel eines nuklearen „Enthauptungsschlags“ der USA zu werden.

Dieses Risiko müsse unbedingt in alle Erörterungen und Pläne für die Modernisierung der russischen Streitkräfte einbezogen werden, kündigte Putin im Juni an. Russland werde keine „Störung des strategischen Kräftegleichgewichts“ zulassen, sondern seinerseits „ein hocheffektives System der Luft- und Weltraumverteidigung aufbauen“. Der Anteil neuer Waffen bei den russischen Streitkräften solle in zwei Jahren mindestens 50 Prozent betragen und bis 2020 auf 70 Prozent gesteigert werden.

Beim Dorf Develescu, wo gestern in Anwesenheit des stellvertretenden US-Verteidigungsministers James Miller und mehrerer rumänischer Regierungsmitglieder die Bauarbeiten begannen, befindet sich ein Stützpunkt der rumänischen Luftwaffe. Auf dem rund 175 Hektar großen Gelände soll voraussichtlich ab 2015 eine Batterie bodengestützter Abfangraketen vom Typ SM-3 einsatzbereit sein.

Ein anderes Element des „Raketenschilds“, eine Frühwarn-Radaranlage in der Türkei, wurde schon im Januar 2012 in Betrieb genommen. Weitere Bestandteile des „Schutzschirms“ sollen in den nächsten Jahren zumindest in Polen, Portugal und Spanien errichtet werden. Planziel ist, dass das gesamte System im Jahr 2020 dienstbereit ist. Als Zwischenschritte wurden Abfangraketen auf Schiffen stationiert, die nach einem Rotationssystem das Mittelmeer befahren.

Die offizielle Legitimationslegende der NATO für diesen Aufwand besagt, dass der „Raketenschild“ sich keineswegs gegen Russland richte, sondern nur gegen sogenannte Schurkenstaaten. Gemeint ist hauptsächlich der Iran, aber Politiker und Militärs der westlichen Allianz schrecken auch nicht davor zurück, Nordkorea in diesem Zusammenhang zu nennen.

Andererseits hat NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen gerade erst vor wenigen Tagen wieder verkündet, dass es durch das geplante Abwehrsystem ab 2018 möglich sein werde, die Bevölkerung der Staaten des Bündnisses „vollständig vor einer Raketengefahr von außen zu schützen“. Er äußerte das bei einem Treffen mit russischen Journalisten, ohne dabei die zwar im Sinne der Schurkenstaaten-Ausrede notwendige, aber sachlich unsinnige Einschränkung zu machen, dass russische Raketen von dem versprochenen Schutz ausgenommen seien. Im Übrigen weigert sich die NATO auch, Moskau eine schriftliche, vertragliche Garantie zu geben, dass sich der „Raketenschirm“ nicht gegen Russland richtet. So produziert man Misstrauen und lähmt Abrüstungsverhandlungen schon im Ansatz. 

Knut Mellenthin

Junge Welt, 29. Oktober 2013