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Kriegsschiff trifft Fischerboot

Ein indischer Fischer wurde am Montag bei einem Zwischenfall mit einem Versorgungsschiff der US-Kriegsmarine im Persischen Golf getötet. Drei weitere Personen, die sich in dem etwa neun Meter langen Fischerboot befunden hatten, wurden verletzt. Besatzungsmitglieder der Rappahannock hatten das Feuer aus einem schweren Maschinengewehr eröffnet, nachdem sich das Boot angeblich in schneller Fahrt genähert und die Fischer mehrere Warnungen missachtet hatten.

Der Vorfall ereignete sich nach Angaben der für die Region zuständigen Fünften US-Flotte etwa 16 Kilometer von der Küste entfernt in der Nähe von Dschebel Ali, das zu den Vereinigten Arabischen Emiraten gehört. Kein Ort außerhalb der USA wird häufiger von amerikanischen Kriegsschiffen angefahren als der dortige Tiefseehafen, heißt es auf Webseiten der Navy. Er ist so ausgebaut, dass dort auch die größten Flugzeugträger anlegen können.

Die Rappahannock dient zum Auftanken von Kriegsschiffen auf See. Nach Angaben der Navy ist sie normalerweise unbewaffnet und wird nur „in Kriegszeiten“ mit Maschinengewehren ausgerüstet, für deren Bedienung ein spezielles „Sicherheitsteam“ an Bord ist. Gegenüber dem in Katar ansässigen arabischen Sender Al-Jazeera teilte der Pressesprecher der Fünften Flotte, Greg Raelson, in einer E-Mail mit: „US-Schiffe haben ein natürliches Recht auf Selbstverteidigung gegen potentielle Bedrohungen. Die Sicherheit unserer Fahrzeuge und unseres Personals hat höchste Priorität.“

Indessen sucht man in den bisherigen offiziellen Stellungnahmen vergeblich nach einer Beschreibung des Ablaufs der Schiffsbegegnung und vor allem nach Aussagen über die Entfernung zwischen dem Fischerboot und der Rappahannock. Nur Al-Jazeera gab diese am Dienstag unter Berufung auf die Navy mit acht Kilometern an. Das wäre allerdings eine erstaunlich große Distanz und würde die amerikanische Reaktion in ein noch schlechteres Licht setzen. Im Januar 2008 hatten sich mehrere Schnellboote der iranischen Marine drei US-Kriegsschiffen in der Meerenge von Hormus angeblich bis auf 200 Meter genähert, ohne dass Waffen eingesetzt wurden.

Die Besatzungen US-amerikanischer Kriegsschiffe sind bekanntermaßen nervös, seit am 12. Oktober 2000 ein mit Sprengstoff beladenes Boot den Zerstörer Cole rammte, der im Hafen von Aden lag. Durch die Explosion wurden 17 Angehörige der Navy getötet. Es gibt jedoch kein international anerkanntes Recht, das einem Kriegsschiff erlaubt, nach selbstdefinierten Regeln auf „potentiell bedrohliche“ Boote zu schießen. Allerdings ist die Situation auf diesem Gebiet mittlerweile durch die Piratenbekämpfung rund um das Horn von Afrika in einer ebenso undurchschaubaren wie bedenklichen Weise aufgeweicht.

In Indien stehen derzeit zwei italienische Marinesoldaten unter Mordanklage vor Gericht: Als Sicherheitspersonal eines Öltankers hatten sie im Februar zwei indische Fischer vor der Küste des Bundesstaates Kerala erschossen, die mit ihrem Boot angeblich ebenfalls „Warnungen ignoriert“ hatten.

Der bisher schwerste Zwischenfall dieser Art war der Abschuss eines iranischen Passagierflugzeugs durch das US-Kriegsschiff Vincennes am 3. Juli 1988 über dem Persischen Golf. Alle 290 Menschen an Bord, darunter 66 Kinder, kamen dabei ums Leben. Angeblich hatten die Amerikaner das Flugzeug mit einem F-14-Düsenjäger verwechselt, von denen die iranische Luftwaffe damals noch einige Exemplare besaß.

Knut Mellenthin

Neues Deutschland, 18. Juli 2012