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Kriegsgrund gesucht

George W. Bush verfolgt weiterhin einen aggressiven Kurs gegenüber Iran. Vorfall auf See könnte Vorwand für einen Angriff liefern.

Von Station zu Station seiner Nahost-Tournee, die er am 9. Januar in Israel begann, hat Präsident George W. Bush seine aggressive Rhetorik gegen Iran gesteigert. Was ist bloß plötzlich in den Mann gefahren, mag sich mancher gefragt haben, der sich noch an den Anfang Dezember veröffentlichten Bericht der US-Geheimdienste erinnert. Dort wird in ungewöhnlich offenen, deutlichen Worten zugegeben, dass Iran nicht an der Entwicklung von Atomwaffen arbeitet. Das war hier und da voreilig als Entwarnung, zum Teil sogar als Putsch der kriegsunwilligen Dienste gegen ihren Chef interpretiert worden.

Bush hat seine Reise dazu benutzt, die Dinge wieder geradezu zu rücken und manche Illusionen über eine Neuorientierung der amerikanischen Nahostpolitik zu demontieren. Besonders bemerkenswert war die Ansprache des Präsidenten an eine Gruppe von Journalisten vor seinem Treffen mit Saudi-König Abdullah am 15. Januar. Jeder weitere Flottenzwischenfall werde "ernste Konsequenzen" haben, sagte Bush einem Bericht der israelischen Tageszeitung Haaretz zufolge. Er bezog sich damit auf eine zwanzigminütige Begegnung amerikanischer Kriegsschiffe mit iranischen Motorbooten in der Meerenge von Hormus am 6. Januar. Für ihn sei völlig gleichgültig, ob ein künftiger Zwischenfall auf Befehle aus Teheran oder auf die spontane, persönliche Entscheidung eines Bootskommandanten zurückgehen würde. "Das kümmert mich überhaupt nicht", sagte Bush. "Wenn die Iraner ein US-Schiff treffen, wird es ernste Konsequenzen geben. Wenn sie unsere Schiffe treffen, machen wir Iran dafür verantwortlichen."

"Hit" oder "attack"

Das hier mit "treffen" wiedergegebene Wort lautet bei Bush "hit" und kann verschiedene, auch vergleichsweise harmlose Bedeutungen haben. Schließlich waren die an der jüngsten Begegnung beteiligten fünf iranischen Boote alle unbewaffnet, wie auf den von beiden Seiten veröffentlichten Videoaufnahmen deutlich zu sehen ist: etwas kleiner und etwas ungefährlicher als die Kisten, mit denen reiche Angeber über den Bodensee oder um irgendwelche Ägeis-Inseln brettern. Was den Iranern von US-Seite vorgeworfen wird, ist denn auch hauptsächlich, dass sie sich den drei Kriegsschiffen bis auf 200 Meter genähert und sie "umschwärmt" hätten. Die US-Marine ist nämlich der Meinung, sie könne um ihre Schiffe eine "Sicherheitszone" beanspruchen, die sie jeweils nach Bedarf selbst definiert.

Bush hatte sich zu Beginn seiner Reise, am 9. Januar in Jerusalem, noch anders ausgedrückt. Laut Nachrichtenagentur UPI drohte er dort mit "ernsten Konsequenzen" lediglich für den Fall, "wenn sie unsere Schiffe angreifen". Der Präsident benutzte damals das relativ eindeutige Wort "attack", nicht das verschwommene, unpräzise "hit". Offensichtlich hat Bush in den zwischen beiden Auftritten liegenden sechs Tagen die Schwelle erheblich abgesenkt, die ein Anlass für militärische Reaktionen sein könnte. Seine Drohung deutet darauf hin, dass nicht etwa ein iranischer Angriff - der völlig unwahrscheinlich ist -, sondern bereits eine ähnliche Schiffsbegegnung wie am 6. Januar für die US-Regierung ein Kriegsgrund sein könnte.

Bush, der nicht nur Präsident der USA, sondern auch Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte ist, hat seinen Truppen damit ein klares Signal gesandt, das sie wahrscheinlich verstehen und befolgen werden: Der Chef sucht dringend einen Vorwand für Kriegshandlungen gegen Iran, und es kommt ihm dabei auf die konkreten Details nicht an. Mehr noch: Er möchte sie lieber gar nicht wissen.

Was das unter Umständen bedeuten kann, zeigt ein Blick auf den sogenannten Tonking-Golf-Zwischenfall vom 4. August 1964, der als Vorwand für eine massive Ausweitung des Vietnamkriegs diente. Übereifrige oder unerfahrene junge Militärs, die das Sonar des US-Zerstörers Maddox bedienten, hatten rätselhafte Geräusche als Abschuss nordvietnamesischer Torpedos missdeutet und einen Angriff gemeldet, den es in Wirklichkeit überhaupt nicht gab. Das stand auch schon nach kurzer Zeit zweifelsfrei fest. Die zuständigen CIA-Experten zogen es aber vor, die von der Maddox kommenden Korrekturen der ersten Meldungen nicht weiterzugeben, sondern sie zu unterdrücken. Ihnen war bewusst, dass der damalige Präsident Lyndon B. Johnson sich bereits entschieden hatte, Nordvietnam zu bombardieren, und nur noch ungeduldig auf einen passenden Vorwand wartete. Keiner der Verantwortlichen wollte durch eine Entschärfung des vermeintlichen Zwischenfalls seine weitere Karriere zerstören.

Übrigens kreuzte die Maddox damals vor der nordvietnamesischen Küste, um für den geplanten Bombenkrieg die Luftverteidigungsanlagen auszuspionieren. Gleichzeitig wurden von dem Zerstörer aus Kommandoaktionen von Spezialeinheiten gegen die Küstenverteidigung gesteuert.

Ray McGovern beschreibt diese Vorgänge aus erster Hand. (Gulf of Tonkin will be tough to repeat, 14. Januar 2008). Er war CIA-Mitarbeiter von 1962 bis 1989. Unter Ronald Reagan und George H. W. Bush bestand seine Aufgabe darin, die täglichen Informationen (briefings) für den Präsidenten auszuarbeiten und teilweise auch vorzutragen. Ray McGovern ist inzwischen ein scharfer Kritik der US-Politik.

US-Kriege beginnen meist auf See

Walter Russell Mead, Mitglied des einflussreichen Council on Foreign Relations, hat im Wall Street Journal, dem Sprachrohr der Neokonservativen, auf eine interessante historische Linie aufmerksam gemacht. (Iran’s Provocation, 10. Januar 2008) "Vom 18. Jahrhundert bis zum heutigen Tag sind Bedrohungen amerikanischer Schiffe und des Seehandels der Weg gewesen, auf dem die meisten Kriege der USA begannen", stellt Mead fest. Er beginnt die Aufzählung im Jahr 1801, als Präsident Thomas Jefferson unter dem Vorwand der Piratenbekämpfung Kriegsschiffe ins Mittelmeer schickte. Weiter erwähnt Mead in diesem Zusammenhang den Britisch-Amerikanischen Krieg von 1812 und eine "Strafexpedition" gegen Sumatra im Jahr 1832. Es folgt der Spanisch-Amerikanische Krieg von 1898: Auslöser war die, laut Mead "vermutlich falsche", Behauptung, das US-Kriegsschiff Maine sei im Hafen von Havanna durch eine spanische Mine zerstört worden. Neben Kuba gewannen die USA durch diesen Krieg auch die Philippinen.

"Das 20.Jahrhundert war nicht anders. Deutsche Angriffe auf US-Schiffe führten Amerika in den Ersten Weltkrieg, der japanische Angriff auf die Flotte in Pearl Harbour brachte die USA in den Zweiten Weltkrieg. Der Zwischenfall im Tonking-Golf veranlasste den Kongress, Präsident Lyndon Johnson zur Gewaltanwendung in Indochina zu autorisieren. Die Gefangennahme der USS Pueblo im Jahr 1968 führte auf dem Höhepunkt des Vietnam-Konflikts zu einer kriegsnahen Krise. Die Gefangennahme der Mayaguez, eines Containerschiffs, durch Kambodscha veranlassten Präsident Gerald Ford, kaum einen Monat nach dem Rückzug aus Saigon 1975 wieder Kampftruppen nach Indochina zu schicken. Präsident Ronald Reagan entsandte in den 1980er Jahren Streitkräfte nach Libyen, als Moammar Gadhafi versuchte, Anspruch auf die internationalen Gewässer vor seiner Küste hinter einer ‚Todeslinie’ zu erheben. Präsident Bill Clinton rasselte mit dem Säbel, als die chinesischen Streitkräfte 1995 und 1996 Raketen in den Taiwan-Straße abschossen."

Das Argument der "Freiheit der Meere" sei bestens geeignet, "die öffentliche Meinung Amerikas sogar hinter unpopulären Präsidenten zu vereinigen", lautet Meads Nutzanwendung aus der Geschichte. "Zwei Jahrhunderte Erfahrung haben in den USA einen breiten Konsens geschaffen, dass die Freiheit der Meere nicht verhandelbar ist und nicht aufgegeben werden darf. (...) Die Straße von Hormus, Schauplatz der Provokation am Wochenende, ist außergewöhnlich empfindlich. Die Fähigkeit der USA, den freien Fluss des Öls durch diese Gewässer zu schützen, ist absolut lebenswichtig für die Weltwirtschaft. Jede militärische Antwort der USA auf eine Herausforderung dort wird heftig und überwältigend sein - vielleicht weit größer, als die Iraner erwarten. (...) Wenn Iran einen großen militärischen Konflikt mit den ärgerlichen, erzürnten und geeinten USA will, dann ist die Gefährdung amerikanischer Kriegsschiffe in der Straße von Hormus genau der richtige Weg."

Dass Mead die Stimmungslage in seinem Land richtig einschätzt, zeigen die Reaktionen einiger Präsidentschaftsbewerber auf den "Flottenzwischenfall" vom 6. Januar. "Ich denke, ein Zwischenfall wie dieser erinnert uns daran, dass wir uns nicht von einem falschen Gefühl des Vertrauens in den Iran einlullen lassen dürfen", sagte der als Hardliner geltende Rudolph Giuliani, der sich mit einem Beraterstab aus namhaften Neokonservativen umgeben hat. Im Vergleich mit einigen seiner Konkurrenten wirkte der Ex-Bürgermeister von New York allerdings noch extrem maßvoll. "Einen Schritt weiter und sie wären bei den Jungfrauen gelandet, nach denen sie immer Ausschau halten", feixte Fred Thompson über die Besatzung der iranischen Patrouillenboote. Und Mike Huckabee, der Lieblingskandidat der fundamentalistischen Radau-Christen, scherzte gutgelaunt: Jeder, der der US-Flotte in die Quere komme, möge sich darauf vorbereiten, "dass das nächste, was du sehen wirst, die Tore der Hölle sind". Beide Bewerber ernteten von ihrem Publikum für diese Sprüche begeistertes Gegröhle und anfeuernde Zurufe. Wer da noch glaubt, "Amerika" habe inzwischen von Kriegen die Schnauze voll, ist im falschen Film.

Oder ist die Lage bei den Demokraten wesentlich besser? Zwar: Hillary Clinton und Barack Obama stimmten nach dem "Flottenzwischenfall" nicht in den Chor der Gewaltfanatiker und Kriegsbegeisterten ein. Es war aber andererseits auch kein Wort der Vernunft und der Mäßigung von ihnen zu hören. Beide betonen ständig, dass die "Option" Krieg gegen den Iran "nicht vom Tisch genommen werden darf". Und sie wissen, dass sie gleich ihre Kampagne beenden könnten, wenn sie etwas anderes sagen würden. Wer "soft on Iran" ist, was sich in seinem abschätzigen Unterton mit "zu weich beim Thema Iran" nur sehr unvollkommen übersetzen lässt, ist im amerikanischen Wahlkampf von vornherein chancenlos.

Viel Lärm um nichts

In Wirklichkeit gibt der von den USA konstruierte "Zwischenfall" nichts her, um die hochgeputschte Aufgeregtheit und die hysterischen Drohgesten wenn schon nicht zu rechtfertigen, so doch wenigstens nachvollziehbar zu machen. Fünf kleine, unbewaffnete Motorboote gegen drei große, mit Waffen aller Art vollgestopfte Kriegsschiffe: ein Kreuzer, ein Zerstörer und eine Fregatte. Selbst nach der offiziellen amerikanischen Darstellung näherten sich die Boote den Schiffen auf nicht weniger als 200 Meter. Nicht einmal das lässt sich anhand der amerikanischen Videoaufnahmen verifizieren. Die iranischen Aufnahmen lassen auf eine erheblich größere Distanz schließen.

Ursprüngliches Prunkstück der Beweisführung war ein angeblicher Funkspruch, der ungefähr so gelautet haben soll: "Ich komme jetzt zu Ihnen, und in wenigen Minuten werden Sie explodieren." Was auf Anhieb zu der realen Situation nicht passt und eher wie eine Dialogstelle aus einem Hardcore-Film klingt, hatte offenbar mit dem "Zwischenfall" wirklich absolut nichts zu tun. Inzwischen geben auch die US-Militärs zu, dass es sich um den Spruch eines Unbekannten gehandelt habe, der sich nicht auf einem der Boote befand. Offenbar herrscht im Funkverkehr auf den entsprechenden Frequenzen das Chaos. Man verdächtigt nun einen "Filipino monkey" genannten Amateurfunker, der sich schon seit Jahren mit meist unflätigen, zotigen und aggressiven Zwischenrufen in die Kommunikation einmischt.

Zu einer anderen Einschätzung des "Zwischenfalls" durch die USA hat das allerdings nicht geführt. Die Rede ist nun von "feindlich aussehenden Schnellbooten", die die Kriegsschiffe "eingekreist" hätten. Offen bleibt, wie unbewaffnete Motorboote mit jeweils höchstens vier Mann Besatzung "feindlich aussehen" können. Zumal, da es einen völlig friedlichen, sachlichen Funkverkehr zwischen Booten und Kriegsschiffen gab, in dem es nur um die gegenseitige Identifizierung ging.

Nach iranischer Darstellung handelte es sich um eine normale, routinemäßige Schiffsbegegnung, wie sie in der Meerenge von Hormus, die den Persischen Golf mit dem Golf von Oman verbindet, immer wieder vorkommt. Indirekt wird das von den USA bestätigt, die am 12. Januar bekannt gaben, dass sich im Dezember schon zwei ähnliche "Zwischenfälle" ereignet hätten. Am 19. Dezember habe die USS Whidbey Island, ein bewaffnetes Landungsschiff, "Warnschüsse" abgegeben, als sich ein einzelnes iranisches Patrouillenboot auf etwa 500 Meter näherte. Am 22. Dezember habe die Fregatte USS Carr drei "zu nahe gekommene" iranische Seefahrzeuge durch Warngeräusche vertrieben.

Das deutet allerdings, falls es denn stimmt, darauf hin, dass diese Begegnungen schon bisher nicht so normal verlaufen sind, wie die Iraner jetzt behaupten, die das zugrunde liegende Problem zu überspielen versuchen. Die Rechtslage in der Straße von Hormus ist erstens sehr kompliziert und zweitens auch noch umstritten. Die Meerenge ist nach UN-Angaben an der schmalsten Stelle nur 21 Meilen breit - eine Meile gleich 1,852 Kilometer. Die Anrainerstaaten Iran, Vereinigte Emirate und Oman können jeweils eine 12-Meilen-Zone beanspruchen. Die insgesamt sechs Meilen breite Fahrrinne verläuft offenbar zum Teil durch die Hoheitsgewässer Omans und Irans, doch ist auch das im Einzelnen umstritten. Iran hat mehrfach gefordert, die Passage von Kriegsschiffen durch die Meerenge müsse in Teheran nicht nur angemeldet, sondern auch formal genehmigt werden. Indem der Iran Patrouillenboote einsetzt, um durchfahrende Kriegsschiffe über Funk anzusprechen und zur Identifikation aufzufordern, versucht er, seinen Anspruch zumindest partiell zu behaupten.

Das Internationale Seerecht (UN Convention on the Law of the SEA, UNCLOS) sieht vor, dass Kriegsschiffe Meerengen, die durch Territorialgewässer führen, unter bestimmten Auflagen passieren dürfen. Dazu gehört, dass sie sich auf die reine, zügige und ununterbrochene Passage beschränken müssen, also beispielsweise keine Spionage betreiben dürfen. U-Boote dürfen fremde Hoheitsgewässer nur aufgetaucht durchfahren. Wichtig ist vor allem das Prinzip der "Innocent Passage". Es besagt, dass die Durchfahrt von Kriegsschiffen den Frieden, die Ordnung und die Sicherheit des jeweiligen Küstenstaates nicht beeinträchtigen darf.

Angesichts der ständigen Kriegsdrohungen der US-Regierung gegen Iran, die sich substantiell in hohem Maß gerade auf die Flotte stützen, muss selbstverständlich bezweifelt werden, ob der Grundsatz der "Innocent Passage" in diesem Fall wirklich greift. UNCLOS sieht vor, dass Küstenstaaten die Durchfahrt von Kriegsschiffen durch ihre Hoheitsgewässer verbieten dürfen, wenn sie ihre Sicherheit bedroht sehen. Die USA haben UNCLOS bisher nicht ratifiziert, sind insofern also auch absolut nicht legitimiert, sich überhaupt auf das dort festgeschriebene Privileg der "Innocent Passage" zu berufen. Die US-Regierung stört sich vor allem an den in UNCLOS vorgesehenen Beschränkungen: das Verbot für U-Boote, Meerengen unter Wasser zu durchfahren, und das Spionage-Verbot.

Begrenzter Seekrieg statt großer Luftschlag?

Den seit Jahren geplanten Krieg gegen Iran zunächst mit begrenzten Militäraktionen in der Straße von Hormus zu beginnen, könnte der US-Regierung einige Vorteile bieten. Diese hängen zum Teil mit der grundsätzlichen Logik zusammen, die Konflikte auf See traditionell für Kriegseintritte der USA so attraktiv macht. Zwei wesentliche Gründe sind die oft unklare Rechtslage und die Schwierigkeiten, Zwischenfälle auf den Meeren in adäquater Zeit ausreichend zu überprüfen. Anlässe oder Vorwände zum unmittelbaren Waffeneinsatz lassen sich auf See relativ leicht und schnell konstruieren. Wenn sich ein paar Tage später erweist, dass die Behauptungen nicht Stand halten, kann es bereits zu spät sein, um die Folgen noch zu korrigieren. Die Regierung kann sich dann allemal auf entschuldbare Irrtümer der Verantwortlichen vor Ort herausreden. Und letztlich zeigt die Geschichte der im Dienste amerikanischer Präsidenten konstruierten Kriegsgründe, dass weder die US-Bevölkerung noch die "internationale Öffentlichkeit" durch mehrfachen Schaden wirklich nachhaltig schlauer geworden sind.

Neben den grundsätzlichen Aspekten sprechen aus Sicht der US-Regierung zwei weitere Gründe dafür, einen schrittweise eskalierenden Krieg gegen Iran gerade in der Hormus-Straße zu beginnen. Erstens bietet das die besten Chancen, die widerstrebenden Staaten der arabischen Halbinsel in die Front gegen Iran zu zwingen, zumal wenn sich die Iraner zu Gegenschlägen wie etwa einer partiellen Verminung der Meerenge oder Angriffen auf Öltanker veranlassen lassen. Zweitens könnten sich die USA dann als mehr oder weniger uneigennützige Beschützer der Energieversorgung der kapitalistischen Metropolen darstellen. Durch die Straße von Hormus wird annähernd ein Viertel des in der Welt verbrauchten Öls transportiert. Japan aber erhält über 75 Prozent seines Öls durch die Meerenge, und auch die EU-Staaten sind vom freien Schiffsverkehr dort weit mehr abhängig als die USA selbst.

Es ist in diesem Zusammenhang an den weitgehend in Vergessenheit geratenen Seekrieg zu erinnern, den die USA in den Jahren 1987-1988 in der Hormus-Straße gegen den Iran führten. Offizieller amerikanischer Name: Operation Earnest Will. Auslöser war damals der sogenannte Tankerkrieg, ein Teil des 1980 von Saddam Hussein begonnenen acht Jahre langen Krieges zwischen Irak und Iran. Zunächst hatte Irak mit Hilfe seiner von Frankreich gelieferten, weit überlegenen Luftwaffe iranische Förderanlagen, Verladestellen und Tanker angegriffen. Dadurch wurde der iranische Erdölexport zeitweise fast lahmgelegt. Im Gegenzug griff der Iran Tanker der arabischen Staaten an, die Iraks Kriegführung finanzierten, und versuchte, Teile der Meerenge zu verminen. Daraufhin bat Kuwait die US-Regierung offiziell um den Schutz seiner Öltanker, der ab März 1987 von der Navy übernommen wurde.

Auf diese Weise kam es mehrfach zu militärischen Zusammenstößen und zur Beschädigung von US-Kriegsschiffen durch Minen. Ab Juli 1987 wurde die Navy durch Special Operation Forces unterstützt, die mit Schnellbooten und Kampfhubschraubern offensiv und mit erheblichen Erfolgen gegen iranische Kriegsschiffe und Stützpunkte vorgingen. Ein trauriger Höhepunkt war am 3. Juli 1988 der Abschuss eines iranischen Passagierflugzeugs durch das Kriegsschiff USS Vincennes. Unglaubliche Ausrede: Die Verantwortlichen hätten den Airbus mit einer F-14 Tomcat verwechselt - einem Kampfflugzeug, das die USA in der Zeit des Schah an den Iran geliefert hatten. Alle 275 Passagiere und 15 Besatzungsmitglieder starben bei dem Absturz. Die US-Regierung lehnte eine Entschuldigung ab und behauptete, die Vincennes habe sich "angemessen" verhalten.

Studien der letzten Jahre gehen davon aus, dass die USA sich in einem zunächst auf die Straße von Hormus beschränkten Krieg gegen Iran heute weitergehende Ziele als 1987-1988 setzen würde. So könnten Marine und Spezialeinheiten versuchen, die wichtigsten iranischen Stützpunkte und Radaranlagen an der Küste und auf den vorgelagerten Inseln komplett auszuschalten. Während der Operation Earnest Will hatten sich die USA auf vergleichsweise wenige Nadelstich-Aktionen vor allem gegen Stützpunkte auf künstlichen Inseln beschränkt.

Grundsätzlich bietet eine solche zunächst räumlich begrenzte Kriegführung eine denkbare Alternative zum Modell des großen Luftschlags, bei dem innerhalb weniger Stunden über 10.000 iranische Ziele aller Art - unter anderem Regierungsgebäude, militärische Befehlszentralen, Energieversorgung, Atomanlagen - angegriffen und nach Möglichkeit zerstört werden sollen. Bei einer solchen "beschränkten" Kriegführung der USA bliebe es der iranischen Seite überlassen, die Entscheidung für eine Eskalation auf sich zu nehmen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 18. Januar 2008