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Kanonen statt Butter

Der Tea-Party-Bewegung der USA sind alle Staatsausgaben zu hoch – bis auf den Kriegshaushalt

Seit dem 21. Juli verfügt der reaktionärste Flügel der Republikanischen Partei über eine eigene Arbeitsgruppe – einen sogenannten Caucus - im Abgeordnetenhaus der USA. Dem Tea Party Caucus, wie er sich in Anlehnung an die gleichnamige rechte Protestbewegung gegen Präsident Barack Obama - nennt, gehören nach Angaben seiner Vorsitzenden Michele Bachmann zur Zeit 49 Parlamentarier an. Das sind nur zwei oder drei mehr als zum Zeitpunkt seiner Gründung und nicht viel mehr als ein Viertel der 178 republikanischen Abgeordneten. Namhafte und einflussreiche Parteipolitiker sind im Caucus nicht vertreten, so wie sich auch nur sehr wenige von diesen auf den Events der Tea-Party-Bewegung zeigen. Die Mitglieder des Caucus stammen überwiegend aus den Südstaaten und dem Mittleren Westen. Elf von ihnen kommen aus Texas und nur ein einziger von der Ostküste.

Die Halbzeitwahlen zum Kongress am 2. November werden dem Tea-Party-Caucus mit hoher Wahrscheinlichkeit einen zahlenmäßigen Zuwachs bringen. An diesem Tag können die Wähler über alle 435 Kongressmandate und über 37 der 100 Sitze im Senat entscheiden. Die meisten Prognosen gehen davon aus, dass die Demokraten ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus verlieren und sie im Senat nur noch knapp behaupten werden. Außerdem ist in 37 der 50 Bundesstaaten der Gouverneur neu zu wählen.

Über den mutmaßlichen Ausgang der Kongresswahlen geben die Meinungsumfragen, die die Republikaner schon seit Monaten regelmäßig mit mehreren Prozentpunkten vorn sehen, nur beschränkt Auskunft. Die 435 stimmberechtigten Abgeordneten werden nach einem reinen Mehrheitswahlrecht in ebenso vielen Distrikten gewählt. Wer am meisten Stimmen bekommt, ist Sieger. Daher sind landesweite Umfrageergebnisse keine zuverlässige Basis für Prognosen. In den Senat schickt jeder Bundesstaat zwei Vertreter, völlig unabhängig von seiner Einwohnerzahl. Diese liegt zwischen 37 Millionen (Kalifornien) und 515.000 (Wyoming). 29 der 50 Staaten der USA haben weniger als 5 Millionen Einwohner.

Nach einer von der New York Times am 10. Oktober veröffentlichten Analyse ist nur in 85 bis 87 der 435 Kongressdistrikte mit einem relativ knappen Wahlausgang zu rechnen, während in den anderen eine der beiden großen Parteien mit mehr als 10 Prozent sicher vorn liegt. Auf dieser Grundlage rechnet der Autor Nate Silver damit, dass die Republikaner netto 47 oder 48 Sitze hinzugewinnen. Er versieht diese Prognose aber mit einem Vorbehalt von plus/minus 30 Sitzen. In der Gesamtbilanz müssten die Republikaner mindestens 38 Sitze hinzugewinnen, um die Mehrheit im Abgeordnetenhaus zu erreichen.

Freak-Show

Einer Analyse von Kate Zernike in der New York Times vom 14. Oktober zufolge gelten 138 Kandidaten als Vertreter oder Sympathisanten der Tea-Party-Bewegung. 129 von ihnen bewerben sich um ein Mandat im Abgeordnetenhaus, nur neun kandidieren für den Senat. Zernike geht davon aus, dass 33 der Tea-Party-Kandidaten in Distrikten antreten, die entweder umkämpft sind oder wo eine republikanische Mehrheit als sicher gilt. Etwa 14 dieser Kandidaten haben laut Zernike gute Chancen, ein Mandat zu gewinnen. Am Ende könnte die Tea-Party-Bewegung im Abgeordnetenhaus ungefähr so stark vertreten sein wie in der Bevölkerung: Laut Umfragen unterstützen 18 Prozent deren Ziele.

Für Nervosität unter den führenden Politikern der Republikanischen Partei sorgten einige Vorwahlergebnisse. Das bekannteste Beispiel ist Christine O'Donnell, die sich Mitte September in Delaware als Kandidatin zum Senat gegen ihren gestandenen Konkurrenten Michael Castle durchsetzte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat dieser Sieg der parlamentarisch völlig unerfahrenen, stockreaktionären Katholikin die Republikaner um einen Senatssitz gebracht, den sie mit Castle schon fast sicher gehabt hätten. O'Donnell liegt jetzt in den Umfragen um durchschnittlich 17 Prozentpunkte hinter ihrem demokratischen Gegner Chris Coons zurück und beklagt sich öffentlich, dass die eigene Partei sie finanziell nicht unterstützt. Im Gegenzug verweist deren Führung darauf, dass sie die zentralen Mittel dort konzentriert einsetzt, wo es Sinn macht.

Tea-Party-Politiker wie Rand Paul, der laut über die Aufhebung der Bürgerrechtsgesetzgebung von 1964 nachdachte, oder Carl P. Paladino, der Gouverneur des Staates New York werden will, aber sich bei seinem Auftritt vor einer kleinen ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde in Brooklyn zu krassen schwulenfeindlichen Tiraden hinreißen ließ, liefern den Demokraten Wahlkampfmunition. Dass beide Politiker kurz darauf ihre eigenen Äußerungen widerriefen, machte die Sache auch nicht besser. Die Demokraten haben deshalb den zum Teil geradezu sensationellen Durchmarsch der Tea-Party-Bewerber bei den Vorwahlen mit offen zur Schau getragener Schadenfreude aufgenommen. Mit Gegnern, die so weit rechts stehen und so exzentrisch agieren, dass sie bereits als „Freak-Show“ verhöhnt werden, meint man, leichtes Spiel zu haben. Außerdem ist die Tea-Party Barack Obamas bestes Argument, um die zahlreichen Enttäuschten und Resignierten unter seinen Wählern von 2008 vielleicht doch noch zur Stimmabgabe zu motivieren.

Keine demokratischen Strukturen

Die Tea-Party-Bewegung hat keine zentrale Führung, keine organisatorischen Strukturen und keine programmatische Plattform. Deshalb halten sich die meisten ihrer Mitläufer für eine spontan entstandene Basisbewegung, die aus lauter ganz normalen, ebenso durchschnittlichen wie repräsentativen Amerikanern besteht. In Wirklichkeit bedeutet es jedoch nur, dass die Richtung und die Aktivität dieser „neuen amerikanischen Revolution“ nicht durch demokratische und transparente Entscheidungen bestimmt werden. Das Sagen haben vielmehr einige Gruppen, deren zahlenmäßig sehr kleine Kerne aus Politprofis bestehen, die über große finanzielle Zuwendungen bestimmter Interessengruppen verfügen. Dazu gehören Versicherungsgesellschaften, die Barack Obamas Gesundheitsreform wieder vom Tisch kriegen wollen, ebenso wie umweltverschmutzende Unternehmen, die vom schrägen Freiheitsbegriff vieler Durchschnittsamerikaner profitieren wollen.

Am 21. September konnte man in der Washington Post lesen, dass eine Gruppe namens Tea Party Nation „mangels Interesse“ ihren Plan aufgegeben habe, im Oktober in Las Vegas eine Convention (etwa: Nationalversammlung) der Bewegung abzuhalten. Es war bereits die zweite Verschiebung, nachdem die selbe Gruppe im Juli eine geplante landesweite Zusammenkunft mit der Begründung abgesagt hatte, dass es im Sommer in Las Vegas zu heiß sei. Die Ankündigung im September erfolgte ohne Bekanntgabe eines neuen Termins.

Tea Party Nation hatte im Februar 2010 mit einer Veranstaltung in Nashville, Tennessee, die ausdrücklich als erste Convention der gesamten Bewegung deklariert war, für sehr viel Ärger gesorgt. Um mit Sicherheit unter sich zu bleiben, wurde den von niemand gewählten „Delegierten“ der Konferenz ein Teilnahmegeld von 549 Dollar abverlangt. Wer nur kommen wollte, um die Spitzenrednerin Sarah Palin zu hören, war mit 349 Dollar dabei. Gerüchte, dass die Ex-Gouverneurin aus Alaska vom Veranstalter ihr übliches Auftrittsgeld, nämlich 100.000 Dollar, erhalten hatte, wurden nicht dementiert.

Für eine „Bewegung der kleinen Leute“, wie sich die Tea Party gern selbst stilisiert, war das ein allzu starkes Stück. Die Gruppe aus Tennessee ist indessen nur einer von zahlreichen undurchschaubaren Vereinen, die im Namen der Bewegung zu sprechen vorgeben. Unter den anderen sind Tea Party Patriots, Tea Party Express, Unite in Action, AmericanLibertyAlliance, TaxDayTeaParty und Tea Party Coalition. Niemand vermag anzugeben, wen die Gruppen jeweils repräsentieren. Völlig unklar bleibt auch, worin sie sich politisch und weltanschaulich von ihren Konkurrenten unterscheiden. Aber alle scheinen über viel Geld zu verfügen. Das benutzen sie unter anderem, um in Verbindung mit einem Schulungsangebot Einfluss auf örtliche Kleingruppen zu gewinnen, die sich der Bewegung zurechnen. Tea Party Express zum Beispiel hatte, wie die Washington Post am 21. September schrieb, zu diesem Zeitpunkt schon mehr als 200.000 Dollar in den Wahlkampf von Christine O'Connell investiert.

Geld vom Umweltverschmutzer

Jane Mayer hat in einem vorzüglich recherchierten Artikel für das linksliberale Magazin The New Yorker (30. August 2010) zwei große Gönner der Tea Party persönlich vorgestellt: die Brüder Charles und David Koch, Besitzer des größten privaten Ölunternehmens der USA, zu dem unter anderem ein ausgedehntes Pipeline-Netz und große Ölraffinerien in Texas, Alaska und Minnesota gehören. Die beiden Multimilliardäre haben im Laufe der Jahre laut Mayer über 100 Millionen Dollar an rechte Organisationen gegeben, unter anderem zu dem Zweck, umweltschützende Gesetze zu verhindern.

Die Brüder setzen damit das Vermächtnis ihres Vaters Fred Koch fort, der 1958 zu den Gründungsmitgliedern der John Birch Society gehörte. Diese rechtsextreme Vereinigung sah ihre Hauptaufgabe in der Verhinderung einer angeblich drohenden kommunistischen Machtübernahme. Die Kommunisten hätten, so Koch damals, beide große Parteien der USA infiltriert - und Präsident Dwight D. Eisenhower sei ihr Agent.

Ähnliche paranoide Phantasien sind heute wieder in der Tea-Party-Bewegung anzutreffen. So sagte der ehemalige republikanische Abgeordnete Tom Tancredo auf der Veranstaltung in Nashville: „Leute, die nicht einmal das Wort 'vote' buchstabieren oder es auf Englisch aussprechen können, haben einen überzeugten sozialistischen Ideologen ins Weiße Haus gebracht.“ - Für viele der Agitatoren und Mitläufer der Bewegung ist jeder Ansatz von Sozialstaatlichkeit gleichbedeutend mit schleichender Einführung des Kommunismus und Errichtung der Tyranei. Sie sehen sich daher als Freiheitskämpfer, die sich „Amerika zurückholen“ wollen.

Eine der von den Koch-Brüdern gegründeten Institutionen zur Verteilung ihrer Spendengelder ist die 2004 ins Leben gerufene Stiftung Americans for Prosperity. David Koch ist dort Vorstandsvorsitzender. Der Name der Stiftung tauchte auf, als einige rechtsextreme Republikaner, unter ihnen Tom Tancredo, im Februar 2009, kaum einen Monat nach Obamas Amtsantritt, die Tea-Party-Bewegung anschoben. Mayer zitiert das Dementi der Koch-Sprecherin Melissa Cohlmia, dass Americans for Prosperity nicht das Geringste mit der Tea Party zu tun habe. Dagegen stellt sie die Aussagen einer langjährigen Mitarbeiterin der Stiftung, Peggy Venable. Danach besteht die Rolle der Americans for Prosperity darin, Aktivisten der Bewegung über politische Details „aufzuklären“, ihnen nach Kundgebungen ein „Nächster-Schritt-Training“ zu geben und dafür zu sorgen, dass ihre politische Energie „wirkungsvoller gebündelt“ wird.

Leckerchen für den Hund

Eine Gruppe, die – wie Kate Zernike am 25. August in der New York Times schrieb - „mehr als jede andere Organisation für den Aufbau der Tea-Party-Bewegung getan hat“, ist FreedomWorks. Deren „junges Personal“ hält regelmäßig Schulungskurse für Bewegungsaktivisten ab, teils in ihrem Konferenzzentrum in der renommierten Washingtoner Pennsylvania Avenue – an der sich außer dem Weißen Haus und dem Kapitol auch die Büros zahlreicher Lobby-Firmen befinden -, und teils in irgendwelchen Räumen vor Ort. Neben einfachen Tipps - „Immer ein Leckerchen für den Hund in der Tasche haben“ - werden die Trainees auch in der höheren Kunst der Haustür-Agitation unterwiesen.

FreedomWorks ist aus dem Finanz-Netzwerk der Koch-Brüder hervorgegangen. Die Behauptung beider Seiten, nichts mehr miteinander zu tun zu haben, wird von vielen seriösen Beobachtern angezweifelt. Chef von FreedomWorks ist Dick Armey, der von 1995 bis 2003 Fraktionsführer der Republikaner im Abgeordnetenhaus war, als sie dort die Mehrheit stellten. Die Organisation hat nach eigenen Angaben landesweit rund 700.000 Mitglieder und verfügt über einen Stab von hauptamtlich Beschäftigten. Innerhalb der Tea-Party-Bewegung setzt sich FreedomWorks für die keineswegs allen Mitläufern selbstverständliche Unterstützung und Wahl sämtlicher republikanischen Kandidaten, unabhängig von deren genauem politischen Standort, ein. Andererseits hat die Organisation es laut Washington Post vom 21. September abgelehnt, Christine O'Donnells Wahlkampf zu unterstützen, da sie chancenlos sei. FreedomWorks ist also offenbar bestrebt, die Bewegung für eine möglichst pragmatische Parteipolitik dienstbar zu machen.

Eine weitere Organisation, die kräftig an der Formung der angeblichen Basisbewegung arbeitet, ist American Solutions for Winning the Future. Deren Gründer und Chef Newt Gingrich, ein Republikaner wie alle maßgeblichen Leute in der Bewegung, gehörte von 1979 bis 1999 dem Abgeordnetenhaus an und war seit 1995 dessen Sprecher. Dem eifrigen Intriganten gegen Präsident Bill Clinton in Sachen Monika Lewinsky wurde schließlich eine eigene „außereheliche Affäre“ zum Verhängnis. American Solutions, 2004 gegründet, setzt sich für oder gegen alles ein, was zahlungskräftige Kunden wünschen. Unter anderem agitierte die Organisation für die Erweiterung der Öl-Bohrrechte vor der Küste. Die Tea-Party-Bewegung scheint Gingrich, der außenpolitisch den Neokonservativen nahe steht, als Plattform für einen Neustart nutzen zu wollen. Schon ist für die Präsidentenwahl im Jahre 2012 ein Team Gingrich-Palin (oder umgekehrt) im Gespräch.

Helden des Alltags

Nach dem klassischen Hollywood-Schema hat auch die Tea-Party-Bewegung ihre ganz schlichten Heldinnen und Helden des Alltags, „Menschen wie du und ich“. Linientreue Chronologien versäumen nicht, als Ausgangspunkt der Massenbewegung die junge konservative Mutter – und ehemalige Schauspielerin - Keli Carender zu erwähnen: Unter dem Bloggernamen „Liberty Belle“ war sie eifrig im Internet tätig und soll am 10. Februar 2009 den Anstoß zum ersten „Grass-Root“-Protest in Seattle gegeben haben. Thema waren Obamas Bemühungen gleich nach seinem Amtsantritt, notleidenden Banken mit Hunderten Milliarden Dollar wieder auf die Beine zu helfen. Dieses Unternehmen war zwar schon von George W. Bush im Herbst 2008 begonnen worden, erregte die Rechten aber erst zum „Aufruhr“, nachdem der verhasste schwarze Mann mit dem muslimischen Mittelnamen Präsident geworden war.

Carenders Initiative bekam ihren Schwung allerdings nur dadurch, dass sie sofort in eine Talk Show des fest in neokonservativer Hand befindlichen Senders Fox News eingeladen wurde. Noch entscheidender für die rasche Ausbreitung der „spontanen Basisbewegung“ war am 19. Februar 2009 der Appell von Rick Santelli, im Juli eine große „Tea Party“ in Chicago zu veranstalten. Santelli, eigentlich gelernter Börsenhändler, ist Redakteur beim Sender CNBC Business News. Grund seines Aufruf zum Protest war Obamas Homeowners Affordability and Stability Plan, also der Versuch, die Schuldenkrise vieler Eigenheimbesitzer etwas abzumildern. Dafür sollten 75 Milliarden Dollar eingesetzt werden. Für einen großen Teil der Tea-Party-Anhänger sind die Betroffenen einfach nur „Verlierer“, deren leichtfertige Entscheidung zum Kauf oder Bau eines Hauses jetzt durch einen „sozialistischen“ Präsidenten belohnt werden soll.

Im laufenden Jahr 2010 wird damit gerechnet, dass die US-Banken rund 1,2 Millionen Familien aus ihren Häusern pfänden werden. Im Vorjahr lag die Zahl bei einer Million. Weil es bei der Abwicklung der Zwangsräumungen und dem Wiederverkauf der Häuser zu groben Rechtsverstößen gekommen ist, haben inzwischen alle 50 Bundesstaaten eine Überprüfung eingeleitet. Mehrere Großbanken haben eine Unterbrechung der laufenden Pfändungsverfahren angeordnet.

Viele Tea-Party-Anhänger sind der Meinung, dass jede Art von staatlicher Sozialpolitik ebenso wie die progressive Eigentumssteuer mit den Idealen der „Gründerväter“, mit der amerikanischen Verfassung und mit ihrer individuellen Freiheit unvereinbar ist. Aus dem gleichen Grund agitiert die Bewegung äußerst aggressiv gegen Obamas Gesundheitsreform und strebt deren Abschaffung an. Zwanzig Bundesstaaten haben gegen „Obamacare“ eine Klage eingeleitet, deren prinzipielle Zulässigkeit ein Bundesrichter in Florida am 14. Oktober anerkannte.

Oft verbindet sich die Berufung auf die Verfassung mit einem sinnentleerten, pervertierten „evangelikalen“ Christentum. Der religiöse Fanatiker Glenn Beck, der vor allem durch seine Talk Show bei Fox News bekannt ist und am 29. August eine Massenkundgebung in Washington organisierte, gibt anscheinend die in der Bewegung vorherrschende Meinung wieder, wenn er behauptet, die Idee der sozialen Gerechtigkeit stehe in absolutem Widerspruch zur christlichen Religion. Indessen hat der Umfang der Armut in den USA den höchsten Stand seit Beginn der offiziellen Statistik vor 51 Jahren erreicht. 43,6 Millionen Menschen – vier Millionen mehr als im Vorjahr – galten 2009 als arm. 50,7 Millionen US-Amerikaner, 16,7 Prozent der Bevölkerung, waren ohne Krankenversicherung.

The war must go on

Der Name der Bewegung bezieht sich auf eine als „Boston Tea Party“ bekannt gewordene Protestaktion gegen die britische Krone, die am 16. Dezember 1773 stattfand und als Auftakt des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges gilt. Da es dabei vor allem um die Erhebung direkter Steuern ging, wurde der Name „Tea Party“ in der Vergangenheit schon oft von politischen Organisationen und Initiativen benutzt, die sich für niedrige Steuern und Senkung der staatlichen Ausgaben einsetzen.

Im Jahre 2006 hatten Anhänger des bekannten „Libertären“, „Anti-Interventionisten“ und republikanischen Kongressabgeordneten Ron Paul eine politische Partei mit dem Namen Boston Tea Party gegründet. Pauls Sohn Rand ist inzwischen in der neuen Bewegung sehr aktiv und kandidiert in Kentucky für den Senat. Ron Paul unterscheidet sich jedoch von den meisten Tonangebern und Mitläufern der jetzigen Bewegung dadurch, dass er die Forderung nach einem „begrenzten Staat“, der möglichst wenig ausgibt und keine Schulden macht, ganz konsequent auch auf den Militärhaushalt und die Außenpolitik bezieht. Er ist daher im Gegensatz zu den Republikanern und zu den meisten Anhängern der Tea-Party-Bewegung ein entschiedener Gegner der Kriege in Afghanistan und Irak.

Ron Paul steht mit diesem Standpunkt ziemlich allein. Nur 7 Prozent der US-Amerikaner teilen die Meinung, dass die „nationale Verteidigung“ ihres Landes heute stärker (und teurer) ist, als sie eigentlich sein müsste, wie die neokonservativen Autoren Danielle Pletka und Thomas Donelly am 24. September in der Washington Post schrieben. Sie beriefen sich dabei auf eine Umfrage des Gallup-Instituts.

Obwohl die „Gefahr“ anti-interventionistischer Tendenz in der Tea-Party-Bewegung erkennbar äußerst gering ist, scheint sie den Neokonservativen – die ansonsten die Bewegung publizistisch heftig unterstützen – tendenziell groß genug, um vorsorglich dagegenzusteuern. Pletka und Donnelly sprachen in ihrem Artikel sogar von einem „Kampf um die Seele des Konservatismus“, den es zu führen gelte und dessen Schwerpunkt offenbar das Eintreten für noch höhere Militärausgaben ist. Die gleichfalls neokonservativen Autoren William Kristol und EdwinFeulner belehrten am 4. Oktober die Leserschaft des Wall Street Journal darüber, „dass der Friede sich nicht von selbst erhält“. „Angesicht eines nuklear bewaffneten Iran oder der Chinesischen Volksbefreiungsarmee, die den Zugang US-amerikanischer Kriegsschiffe oder Flugzeuge zur asiatisch-pazifischen Region blockieren kann, liegen noch viele Aufgaben vor uns.“

Beim Stand der Dinge rennen sie damit in der Tea-Party-Bewegung offene Türen ein.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 18. Oktober 2010