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Hintergrund: Die Pro-Israel-Lobby der USA
In jedem Frühjahr hält der AIPAC seine „politische Konferenz“ in der US-Hauptstadt Washington ab. Die Teilnahme ist für Politiker fast schon Pflicht: rund zwei Drittel der Abgeordneten und Senatoren erscheinen. Außer der alljährlichen Ansprache des Präsidenten zur Lage der Nation gibt es kein Ereignis, bei dem sich so viele Kongressmitglieder sehen lassen.
Die Abkürzung AIPAC steht für American-Israel Public Affairs Committee, Amerikanisch-Israelischer Ausschuss für Öffentliche Angelegenheiten. Im Klartext bezeichnet sich der AIPAC als „Pro-Israel-Lobby“ der USA. Zwar gibt es auch einige weitere Organisationen mit etwas anderer politischer Orientierung, auf die diese Bezeichnung zutrifft, wie beispielsweise J Street, die dem liberalen Teil der Demokratischen Partei nahesteht und nicht immer hundertprozentig mit der derzeitigen israelischen Rechtsregierung übereinstimmt. Aber der AIPAC ist in Wirklichkeit die einzige Lobby, die etwas zählt. Angefangen bei der, in ihrer Bedeutung überhaupt nicht hoch genug einzuschätzenden Tatsache, dass sie die einzige Organisation ist, die von Israel als solche anerkannt ist und durch offizielle Beziehungen geadelt wird.
Noch bis in die 1970er Jahre zählte der AIPAC nur eine Handvoll Mitarbeiter, die mit einem schmalen Etat eine zwar engagierte, aber nur mäßig professionelle Arbeit leisteten. Heute ist die Lobby eine Massenorganisation mit – nach eigenen Angaben – mehr als 100.000 Mitgliedern, annähernd 200 hauptamtlichen Angestellten und einem Etat von 67 Millionen im laufenden Steuerjahr. Das ist mehr als drei Mal so viel wie noch vor zehn Jahren. 1980 hatte sich der AIPAC, bei 9.000 Mitgliedern, noch mit Ausgaben von nur 1,4 Millionen begnügen müssen.
Die meisten Mitglieder sind äußerst engagierte Ehrenamtliche, die unermüdlich und diszipliniert im Einsatz für Israels vermeintliche Interessen sind, ohne nennenswerten Einfluss auf die Politik ihrer Organisation nehmen zu wollen oder zu können. Wer zu den etwa 10.000 Auserwählten gehören will, die ein Ticket für die Konferenz erhalten, muss einen Jahresbeitrag von mindestens 3.600 Dollar zahlen.
Noch exklusiver geht es im Vorstand des AIPAC zu. Seine 50 Mitglieder bringen pro Kopf und Jahr durchschnittlich 75.000 Dollar Wahlkampfspenden auf. Die finanziellen Subventionen, um nicht zu sagen Bestechungsgelder des AIPAC gehen ungefähr gleichmäßig an Kandidaten beider großen Parteien, der Demokraten und der Republikaner. Sie werden gezielt eingesetzt, um besonders eifrige Fürsprecher und Förderer israelischer Interessen zu belohnen. Einzelne Kritiker der israelischen Politik werden exemplarisch abgestraft, indem der AIPAC sich mit sämtlichen Mitteln anstrengt, ihren Rivalen zum Sieg zu verhelfen.
Die gezielte und dauerhafte Bearbeitung der Politiker durch die Lobby beginnt schon in einem ganz frühen Stadium. Alle Kongressneulinge werden vom AIPAC zu einer einwöchigen Israel-Reise eingeladen, um die Zusammenarbeit gleich mit einem kleinen Geschenk und der Eröffnung von Kontakten zu israelischen Politikern zu starten. Schon den Kandidaten für einen Platz im Abgeordnetenhaus gilt die besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge des AIPAC: Jeder Bewerber wird in der innerparteilichen Auswahlphase zu einem Gespräch gebeten – eine Einladung, die niemand ohne Schaden für seine Karriere ablehnen kann -, um sich von seinem Verhältnis zu Israel ein Bild zu machen, ihm überhaupt rundum „auf den Zahn zu fühlen“ und mit seiner „Erziehung“ - das freimütig gebrauchte Wort lautet wirklich „education“ - zu beginnen. Die Kandidaten werden darüber hinaus aufgefordert, zur Klärung ihrer Einstellung ein „Positionspapier“ über die amerikanisch-israelischen Beziehungen zu schreiben.
Wie ein gut funktionierender Geheimdienst pflegt der AIPAC ausführliche Dossiers über alle auch nur halbwegs relevanten oder perspektivisch interessanten Politiker. Ein wesentliches Lenkungs- und Einschüchterungsmittel sind die sogenannten voting records, minutiöse Auflistungen und Analysen des Verhaltens jedes einzelnen Mitgliedes des Kongresses oder der bundesstaatlichen Parlamente in allen Israel oder überhaupt den Nahen Osten betreffenden Abstimmungen. Pro-Israel-Records von über 95 Prozent gelten als normal. Weniger als 90 Prozent werden als Indiz genommen, dass der betreffende Abgeordnete oder Senator eine feindselige Einstellung zu Israel hat.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 8. März 2012