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Die Faxen dicke

Russland distanziert sich deutlich vom "Reklame-Rummel" der US-Regierung gegen Iran

Im Streit um das iranische Atomprogramm treten die Meinungsverschiedenheiten zwischen USA und Europäischer Union einerseits, Russland und China andererseits immer deutlicher zutage. Das russische Außenministerium hat dazu am Dienstag mit einer bisher nicht praktizierten Klarheit, Offenheit und Direktheit Stellung genommen.

In der auf der auf der Website des Ministeriums veröffentlichten Erklärung wird vor den Bemühungen der US-Regierung gewarnt, Einfluss auf den Inhalt des nächsten Vierteljahresberichts des Generaldirektors der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA), Jukija Amano, zum Stand des iranischen Atomprogramms zu nehmen. Dieser Report muss etwa zwei Wochen vor der Vorstandssitzung der IAEA, die am 17. und 18. November stattfinden wird, vorgelegt werden. Die US-Administration will durch öffentlichen Druck auf Amano erreichen, dass im Bericht eine Reihe von unbewiesenen Behauptungen westlicher Geheimdienste über angebliche militärische Aspekte des iranischen Atomprogramms zu Tatsachen oder Wahrscheinlichkeiten aufgewertet werden. Diese Kampagne wird seit der spektakulär aufgemachten „Enthüllung eines iranischen Mordkomplotts“ am 11. Oktober verstärkt betrieben.

Dazu heißt es in der Stellungnahme des Moskauer Außenministeriums: „Es wäre kaum der richtige Zeitpunkt, gerade jetzt, wo beträchtliche Arbeit geleistet wurde, um die Wiederaufnahme des Dialogs zwischen dem Iran und der Fünf-plus-eins-Gruppe vorzubereiten, aus irgendwelchen Gründen einen Bericht mit Mutmaßungen über frühere militärbezogene iranische Forschungsarbeiten auf dem Atomsektor erscheinen zu lassen. Das würde zweifellos das Klima verhärten und könnte den Beginn ernsthafter Verhandlungen behindern. Dies um so mehr, da unseres Wissens niemand im Besitz neuer und inhaltlich zwingender, eine sofortige Veröffentlichung und unmittelbare Aktionen erfordernder Beweise für die Behauptung ist, dass Iran ein militärisches Atomprogramm betreibt. Russland ist stets dafür eingetreten, alle noch offenen Fragen zum iranischen Atomprogramm im direkten Kontakt zwischen Teheran und der Atombehörde zu klären. Dieses sensible Thema erfordert eine unvoreingenommene, feinfühlige und verantwortungsvolle Behandlung. Diese ist kaum gewährleistet in dem Reklame-Rummel, der sogar noch vor der Veröffentlichung des Berichts des IAEA-Generaldirektors begonnen hat.“

Schon am Montag hatten Agenturen und Medien berichtet, dass sich Russland und China mit einem gemeinsamen vertraulichen Schreiben an Amano gewandt hätten. Angeblich hatten sie den Chef der Atombehörde darin vor „unbegründeter Übereilung“ gewarnt und ihn aufgefordert „vorsichtig vorzugehen“. Mit Bezug auf die Forderungen der US-Regierung soll in dem russisch-chinesischen Brief gestanden haben: „Ein derartiger Bericht würde die Iraner lediglich in eine Ecke drängen und sie weniger kooperationsbereit machen.“

In der am Dienstag veröffentlichten Erklärung des Moskauer Außenministeriums wird die Existenz eines solchen Schreibens indirekt bestätigt. Dass es „taktische“ Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Fünf-plus-eins-Gruppe – bestehend aus China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland und den USA – gebe, sei seit langem bekannt und „absolut normal“, heißt es in der Stellungnahme. Die eigentlich interessante Frage in diesem Fall sei eine ganz andere, nämlich „wie das Dokument – gemeint ist offenbar der russisch-chinesische Brief – in die Hände von Journalisten fallen konnte, die in keiner Beziehung zur Behörde stehen“. Das werfe kein gutes Licht auf das Sekretariat der IAEA, von dem erwartet werden müsse, „dass es die Vertraulichkeit der Kontakte mit den Mitgliedstaaten schützt“. Dass interne Dokumente, darunter auch die vertraulichen Länderberichte des Generaldirektors, im Handumdrehen an bestimmte Journalisten weitergeleitet werden, ist bei der IAEA seit Jahren üblich.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 28. Oktober 2011