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Neuer Drohnen-Angriff der USA auf Pakistan

Die Attacken treffen überwiegend Zivilisten. Unter Obama wurde ihre Zahl noch weiter gesteigert.

US-Präsident Barack Obama hat am Sonntag erneut ein „Ziel“ in Nordwestpakistan angreifen lassen. Ein unbemanntes, ferngesteuertes Kampfflugzeug, eine sogenannte Drohne, feuerte zwei Raketen auf ein Haus in Gangi Khel im Bezirk Südwasiristan ab. Die Angaben über die Zahl der Opfer unterscheiden sich erheblich. Nach Berichten aus der unmittelbaren Nachbarschaft hatten sich die Bewohner des Hauses angesichts der schon seit Stunden kreisenden Drohnen rechtzeitig in Sicherheit gebracht, sodass das Gebäude zur Zeit des Angriffs leer gewesen sei. Örtliche Beamte hingegen sprechen teils von drei, teils von mindestens acht Toten.

Die pakistanische Regierung hat gegenüber den USA immer wieder darauf hingewiesen, dass die Drohnen-Attacken nicht nur die Souveränität des Landes verletzen, sondern zudem auch politisch extrem kontraproduktiv sind: sie werden von der Bevölkerung abgelehnt, mindern das Ansehen der Regierung, die dadurch als Marionette der USA erscheint, und erschweren die Beteiligung Pakistans am amerikanisch geführten „Krieg gegen den Terror“. Außerdem fördern diese Attacken die Tendenz militanter Gruppen, sich aus den an Afghanistan grenzenden Gebieten ins Innere Pakistans zurückzuziehen und ihre Aktivitäten dorthin zu verlegen. Auch viele US-Experten räumen ein, dass die relativ geringfügigen militärischen Ergebnisse der Angriffe in keinem rationalen Verhältnis zu dem riesigen politischen „Preis“ stehen, der dafür gezahlt werden muss.

Seit Anfang dieses Jahres gab es schon 15 solcher Drohnen-Angriffe, mehr als in irgendeinem früheren Zeitraum. 13 davon fanden seit der Amtseinführung Obamas am 20. Januar statt, zuletzt am 9. April, ebenfalls in Gangi Khel. Damals wurden vier Menschen getötet und weitere vier schwer verletzt.

Die englischsprachige pakistanische Zeitung The News veröffentlichte am 10. April umfangreiches Zahlenmaterial zu den US-Angriffen, das dem Blatt offenbar aus Regierungskreisen zugespielt worden war. Danach waren die insgesamt 60 Drohnen-Attacken, die es seit Januar 2006 gab, überwiegend Fehlschläge, bei denen nur Zivilpersonen getroffen wurden. Bei den 50 Angriffen seit Januar 2008 seien lediglich 14 gesuchte Al-Qaida-Mitglieder, andererseits aber 537 Zivilisten getötet worden – 385 im vorigen Jahr und 152 in den ersten 99 Tages dieses Jahres. Im Januar 2009 gab es drei Angriffe mit 30 Toten, im Februar zwei mit 55 Toten, im März fünf mit 36 Toten und in den ersten neuen Apriltagen vier Angriffe mit 31 Toten.

Die Häufigkeit der Drohnen-Attacken wurde seit dem Sturz des durch einen Militärputsch an die Macht gekommenen Präsidenten Pervez Muscharraf im August 2008 sprunghaft gesteigert. Obama hat diese Frequenz nicht nur beibehalten, sondern sogar noch erhöht. Im Gegensatz zu den Behauptungen des neuen US-Präsidenten treffen die Angriffe nur äußerst selten sogenannte „hochwertige Ziele“, also angebliche führende Al-Qaida-Leute. US-Experten meinen daher, dass diese Aktionen hauptsächlich das Ziel haben, Druck auf die pakistanische Regierung auszuüben, um sie zur Verschärfung des Kriegs gegen die Bevölkerung in der Nordwestprovinz (NWFP) und den sogenannten Stammesgebieten zu zwingen.

Unterdessen reagieren die militanten Gruppen mit einer Verstärkung ihrer Aktivitäten gegen die pakistanischen Streitkräfte und mit Anschlägen auch in den Großstädten des Landes, wie dem Überfall auf eine Polizei-Akademie in Lahore am 30. März. Am Sonnabend fuhr ein Selbstmordattentäter einen mit Sprengstoff vollgeladenen LKW in einen militärischen Kontrollposten in Hangu (NWFP). Bei der Explosion kamen 23 Soldaten ums Leben.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 20. April 2009