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Die dritte Front
Seit Weihnachten ist die Republik Jemen ganz plötzlich „in den Fokus der Weltpolitik gerückt“. So jedenfalls die Sprachregelung der Mainstream-Medien. Äußerer Anlass war ein Vorfall in einem Verkehrsflugzeug, das sich am 25. Dezember auf dem Weg nach Detroit (USA) befand. Ob der angeblich knapp verhinderte Anschlag eines jungen Nigerianers eine geheimdienstliche Inszenierung oder das Produkt von amateurhaftem Dilettantismus war, wird wahrscheinlich nie geklärt werden. Sofern die seltsame Aktion wirklich, wie behauptet, die derzeitigen Kapazitäten und Optionen von Al-Kaida widerspiegeln sollte, der immerhin eine organisatorische Großtat wie der 11. September zugeschrieben wird, käme dies einer Bankrotterklärung nahe. Aber um in den USA wieder einmal die Wogen der Hysterie und der Kriegsstimmung hochschlagen zu lassen, reichte der Zwischenfall offenbar aus.
Seit dem 25. Dezember ist die Rede von einer „dritten Front im Krieg gegen den Terror“, neben dem Irak und dem Doppel-Schauplatz Afghanistan-Pakistan. Gemeint ist mit der „dritten Front“ im engeren Sinn der Jemen, darüber hinaus aber auch Somalia und überhaupt das gesamte nordöstliche Afrika. In Wirklichkeit jedoch ist die Verbindung, die angeblich vom nigerianischen „Unterhosenbomber“ zur jemenitischen Al-Kaida-Filiale führen soll, äußerst dünn und fragwürdig. Und selbst wenn es irgendeinen Zusammenhang gäbe, würde er das Interesse der US-Regierung am Jemen nicht erklären, sondern nur einen zum genau richtigen Zeitpunkt gelieferten willkommenen Vorwand darstellen. Gerade dieses perfekte Timing macht eine Inszenierung wahrscheinlicher als einen bloßen Zufall.
Gehen wir einige Wochen zurück. Am 1. Dezember stellte Präsident Barack Obama zum zweiten Mal in seiner Amtszeit eine „neue Strategie“ für die Kriegführung in Afghanistan und Pakistan vor. Schon damals drohte er, ohne den Begriff zu benutzen, mit der seit dem 25. Dezember als „dritte Front“ bezeichneten Kriegsausweitung: „Der Kampf gegen den gewalttätigen Extremismus wird nicht schnell zu Ende gehen, und er reicht weit über Afghanistan und Pakistan hinaus. Er wird eine dauerhafte Prüfung für unsere freie Gesellschaft und für unsere Führerschaft in der Welt sein. (…) Wir müssen geschickt und exakt beim Gebrauch unserer Militärmacht sein. Wo Al-Kaida und ihre Verbündeten festen Fuß zu fassen versuchen – sei es in Somalia oder im Jemen oder anderswo – müssen sie mit wachsendem Druck und starken Partnerschaften konfrontiert werden.“
Blankovollmacht für Obama
Drei Tage später, am 4. Dezember, verabschiedete der Senat in Washington einstimmig eine Resolution zum Jemen. Darin wurde ohne Nennung konkreter Einzelheiten behauptet, dass sich dort eine hohe Zahl von Al-Kaida-Kämpfern aufhalte und dass Teile des Landes zu „sicheren Rückzugsgebieten von Al-Kaida und anderen militanten Kräften“ geworden seien. Die Lage im Jemen stelle eine „ernste Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA“ dar, „die in der Globalstrategie der Vereinigten Staaten zur Bekämpfung des Terrorismus ausreichend berücksichtigt werden muss“. Zugleich wurde die US-Regierung aufgefordert, „alle angemessenen Mittel einzusetzen, um das Volk des Jemen dabei zu unterstützen, dass Jemen kein gescheiterterter Staat wird“. Die Formel „to use all appropriate measures“ ist eine mittlerweile schon routinemäßige Blanko-Vollmacht des Kongresses für den Präsidenten. Die Resolution, deren Entwurf einen Monat vorher, am 5. November, in den Senat eingebracht worden war, ist allerdings „non binding“: Sie verpflichtet Obama zu nichts, sondern stellt eine Karte dar, die er ausspielen kann, wenn und wann er will.
Am 13. Dezember meldete die britische Tageszeitung „Daily Telegraph“ unter Berufung auf anonyme Insider und ohne Angabe des Zeitpunkts, dass die US-Regierung mehrere Offiziere von Spezialeinheiten in den Jemen geschickt habe, um sie dort als Ausbilder einzusetzen. Der selbe Sachverhalt wurde nach dem 25. Dezember als Sofortreaktion auf den angeblichen Anschlagsversuch dargestellt. An der Ausbildung beteiligt sich inzwischen auch Großbritannien.
Am 17. Dezember wurden im Jemen mehrere angebliche Al-Kaida-Stützpunkte angegriffen. Nach Aussagen von Augenzeugen waren die meisten der über 50 Todesopfer allerdings unbeteiligte Dorfbewohner, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Der US-Sender ABC News behauptete am folgenden Tag, dass die Militärschläge von Obama persönlich angeordnet worden seien und dass die amerikanischen Streitkräfte dabei mehrere Cruise Missiles eingesetzt hätten. Etwas zurückhaltender schrieb am 19. Dezember die New York Times, dass die USA für die Angriffe „Feuerkraft, Erkenntnisse (intelligence) und andere Unterstützung“ zur Verfügung gestellt hätten. Beide Zeitungen stützten sich ausschließlich auf anonyme Quellen.
Unterdessen hatte der angebliche Attentäter Umar Farouk Abdulmutallab bereits am 7. Dezember den Jemen verlassen, wo er sich Anfang August am Institut für die Arabische Sprache in der Hauptstadt Sanaa eingeschrieben hatte . Über Addis Abeba (Äthiopien) flog der Nigerianer nach Accra (Ghana), wo er am 9. Dezember ankam. Am 16. Dezember kaufte er dort sein Flugticket nach Detroit. Aufgrund dieses zeitlichen Verlaufs fällt die Theorie, dass der Abdulmutallab zugeschriebene Anschlagversuch ein Racheakt von Al-Kaida für die Rolle der USA bei den Angriffen vom 17. Dezember gewesen sein könnte, völlig in sich zusammen.
Das Thema Jemen, das sich plötzlich so wunderbar mit dem Zwischenfall vom 25. Dezember verbinden und emotional aufheizen lässt, hatte die Regierung und den Kongress der USA in Wirklichkeit schon seit Monaten beschäftigt. Schon im Februar 2009 wurde in der „Jährlichen Bedrohungseinschätzung“ der US-Geheimdienste behauptet: „Jemen taucht wieder auf als Schlachtfeld des Dschihad und potentielle regionale Operationsbasis für Al-Kaida, um Angriffe im Inneren und nach Außen zu planen, Terroristen auszubilden und Bewegungen ihrer Kader zu erleichtern.“ - Kurz zuvor hatten sich im Januar 2009 der saudi-arabische und der jemenitische Zweig der Organisation unter dem Namen „Al-Kaida auf der arabischen Halbinsel“ zusammengeschlossen.
Mitte August 2009 besuchte eine Gruppe von Senatoren aus Washington den Jemen und traf sich mit Präsident Ali Abdullah Saleh. Zentraler Gesprächsgegenstand war ganz offiziell „die Zusammenarbeit gegen den Terrorismus“. Der vom Republikaner John McCain geleiteten Delegation gehörte mit dem früheren Demokraten und jetzigen Unabhängigen Joseph Lieberman ein weiterer Scharfmacher an. Nach dem 25. Dezember erklärte dieser öffentlich, Irak sei der Krieg von gestern, Afghanistan der Krieg von heute, und Jemen werde der Krieg von morgen sein, falls die USA jetzt nicht schnellstens „präventiv“ militärisch eingreifen würden. Konkrete Vorschläge dazu machte er allerdings nicht.
Wer ist der nächste?
Jemen befindet sich in Wirklichkeit schon seit Jahren im Visier der US-Strategie. Nach dem 11. September 2001 und dem amerikanischen Einfall in Afghanistan gehörte das Land zum engsten Kreis der Kandidaten für den nächsten Aggressionskrieg der USA. Präsident George W. Bush hatte wenige Tage nach den Angriffen auf die Twin Towers und das Pentagon gedroht, Amerika werde nicht nur die „Terroristen“ vernichten, sondern auch die „Schurkenstaaten“, die jene unterstützten oder ihre Anwesenheit duldeten.
Am 21. November 2001 kündigte Bush vor Soldaten und ihren Angehörigen in Fort Campbell an: „Wir bekämpfen die Terroristen und wir bekämpfen all jene, die ihnen helfen. Amerika hat eine Botschaft für die Nationen der Welt: Wenn ihr Terroristen beherbergt, seid ihr Terroristen. Wenn ihr einen Terroristen ausbildet oder bewaffnet, seid ihr Terroristen. Wenn ihr einen Terroristen ernährt oder finanziert, seid ihr Terroristen und werdet von den USA und ihren Freunden zur Rechenschaft gezogen werden. (…) Afghanistan ist nur der Anfang des Krieges gegen den Terror. Es gibt andere Terroristen, die Amerika und seine Freunde bedrohen, und es gibt andere Staaten, die bereit sind, diese Terroristen zu unterstützen. Wir werden als Nation nicht sicher sein, bevor alle diese Bedrohungen besiegt sind. Auf der gesamten Welt und im Laufe von Jahre werden wir diese üblen Kräfte bekämpfen, und wir werden gewinnen.“
Bei verschiedenen Gelegenheiten behauptete Bush damals, Al-Kaida sei in 50 bis 60 Ländern der Welt aktiv. In den internationalen Medien wurde seit Dezember 2001 gerätselt, welches Land das nächste Kriegsziel sein werde. Hauptsächlich genannt wurden neben dem Irak auch der Jemen, Somalia, Syrien, Libyen, Sudan, gelegentlich Nordkorea, und nicht zuletzt der Iran. Eine Umfrage in den USA ergab im Dezember 2001, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung nach einer Ausweitung des „Kriegs gegen den Terror“ verlangte. Dabei lagen Jemen, Somalia und Sudan mit 75 Prozent Zustimmung sogar noch vor dem Irak, den immerhin 72 Prozent der Befragten angreifen lassen wollten.
Die damaligen Spekulationen über den nächsten Kriegsschauplatz hatten ein ähnliches Grundziel wie heute das Gerede von der Eröffnung einer „dritten Front“: Nicht nur die Bevölkerung der USA und ihrer Verbündeten, sondern die Welt insgesamt, einschließlich Chinas und Russlands, soll sich daran gewöhnen, dass die Regierung in Washington das Recht zur militärischen Intervention weltweit beansprucht. Ob dieses dann auch wirklich realisiert wird, ist dann letztlich nur noch eine Frage der Nützlichkeit und der Machbarkeit.
Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang daran, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die unter Führung der USA stehenden Kriege im Irak und in Afghanistan nachträglich mit einem Mandat legitimierte und dieses trotz aller bekannt gewordenen Verbrechen Jahr für Jahr erneuerte. Das wäre ohne das nahezu problemlose Mitspielen der Veto-Mächte China und Russland, die für ihre Zustimmung nicht einmal Bedingungen stellten, unmöglich gewesen.
Im potentiellen Bereich der „dritten Front“ unterstützt der Sicherheitsrat jetzt schon seit Jahren einseitig und kontraproduktiv die demokratisch nicht legitimierte, kaum über reale Macht verfügende sogenannte Übergangsregierung Somalias im Bürgerkrieg gegen die islamischen Fundamentalisten. Dass es dort noch nicht zu einer US-geführten Militärintervention mit UN-Mandat gekommen ist, wie sie Generalsekretär Ban Ki-Mun seit Beginn seiner Amtszeit vor drei Jahren fordert, liegt hauptsächlich daran, dass Washington und seine NATO-Verbündeten dafür bisher keine Truppen zur Verfügung stellen wollen.
Gegen Eritrea, ein weiteres Land der „dritten Front“, hat der UN-Sicherheitsrat im Dezember 2009 Sanktionen verhängt, die gleichfalls auf die grundsätzliche Bereitschaft der Weltorganisation hindeuten, sich in den Konflikten der Region einseitig und widerrechtlich zu engagieren. Dem Land am Roten Meer, das dem Jemen gegenüberliegt, wird vorgeworfen, die somalischen Islamisten zu unterstützen. Auf der anderen Seite hatte der Sicherheitsrat aber die massive, politisch extrem schädliche Intervention der äthiopischen Streitkräfte in Somalia in den Jahren 2006 bis 2008 wohlwollend ignoriert. Das Eingreifen des Militärs aus dem traditionell verfeindeten, christlich regierten Nachbarland hat – durchaus voraussehbar – die islamischen Fundamentalisten in Somalia gestärkt und radikalisiert.
Militärhilfe verdoppelt
Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh zog es nach dem 11. September 2001 vor, eine enge Kooperation mit den USA einzugehen. Er beendete damit ein Jahrzehnt gestörter Beziehungen. Ursache dafür war gewesen, dass Jemen 1990 im UN-Sicherheitsrat als einziger Staat neben Kuba gegen die Resolution gestimmt hatte, mit der faktisch die US-Regierung zum ersten Krieg gegen den Irak ermächtigt wurde. Das führte damals dazu, dass die USA ihre Militärhilfe für den Jemen, die rund 70 Millionen Dollar im Jahr betragen hatte, einstellten. Die Zahlungen wurden nach dem 11. September wieder aufgenommen, erreichten aber erst 2009 ungefähr ihre alte Höhe. Im laufenden Jahr sollen sie verdoppelt werden. Mit dann vielleicht 150 Millionen Dollar würde die militärische Unterstützung der USA für den Jemen aber immer noch relativ niedrig liegen, verglichen mit anderen Ländern der Region. Ähnliches gilt für die wirtschaftliche Entwicklungshilfe der USA, die nach Angaben des State Department im Kalenderjahr 2009-2010 bei 50 Millionen Dollar liegt. Dieser Betrag ist minimal gegenüber den rund zwei Milliarden Dollar jährlich, mit denen Saudi-Arabien den jemenitischen Haushalt stützt.
Jemen ist mit Abstand das ärmste Land der arabischen Halbinsel und überhaupt eines der wirtschaftlich schwächsten Länder der arabischen Welt. Die ohnehin nicht bedeutenden Erdölvorkommen, Haupteinnahmequelle des Landes, gehen zur Neige. Die Arbeitslosigkeit liegt über 40 Prozent, das durchschnittliche Jahreseinkommen bei 600 Dollar. Zugleich gehört die Wachstumsrate der jemenitischen Bevölkerung zu den höchsten der Welt.
Al-Kaida, deren Bedeutung von den Regierungen der USA und Jemens gleichermaßen hochgespielt wird, ist in Wirklichkeit eines der geringeren Probleme des Landes. Ihr Personalbestand wird, in einem Land mit über 23 Millionen Einwohnern, auf 200 bis 300 geschätzt. Eine darüber hinausgehende Bedeutung hat sie jedoch durch ihr Bündnis mit einer Reihe von traditionalistisch strukturierten, fundamentalistisch geführten Stämmen. In den Medien wird seit dem 25. Dezember regelmäßig behauptet, Jemen sei die Heimat der Vorfahren von Al-Kaida-Gründer Bin Laden. Tatsächlich wurde sein Vater 1908 in einem Dorf geboren, das im Hadramaut, auf dem Gebiet des heutigen Jemen, liegt. Allerdings gab es damals noch keinen solchen Staat. Der Hadramaut bestand aus zahlreichen kleinen Sultanaten, die jeweils Protektoratsverträge mit Großbritannien abgeschlossen hatten. Faktisch war der Hadramaut damals eine britische Kolonie, die als Teil Indiens verwaltet wurde.
Das Regime von Präsident Saleh, dem wohl dienstältesten Staatsoberhaupt der Welt, gilt als hochgradig korrupt; seine Methoden sind despotisch und schließen das Verbot oppositioneller Zeitungen ebenso ein wie die Anwendung der Folter. Die herrschende Gruppe um Saleh befindet sich seit Jahren in einem Zwei-Fronten-Krieg gegen einen Teil der schiitischen Bevölkerung im Norden und gegen eine separatistische Bewegung im Süden des Landes, im Bereich der ehemaligen Demokratischen Volksrepublik Jemen. Diese hat sich erst 1990 mit dem Nordjemen, dessen Präsident Saleh schon seit 1977 war, zu einem Staat zusammengeschlossen. Die Vereinigung, die beide Seiten rein theoretisch schon 1972 zum Ziel erklärt hatten, erfolgte indessen ohne ausreichende Grundlagen und wurde von der Sozialistischen Partei, der früheren Staatspartei der Volksrepublik, schon vier Jahre später wieder aufgekündigt. Die am 21. Mai 1994 erklärte Sezession wurde jedoch von der Zentralregierung unter Saleh innerhalb weniger Wochen mit harter militärischer Gewalt niedergeschlagen, wobei sie sich der Hilfe islamischer Fundamentalisten, darunter zahlreicher Afghanistan-Heimkehrer, bediente. Tausende Kader und Mitglieder der Sozialistischen Partei flüchteten ins Ausland. Der Konflikt besteht indessen weiter. Ein großer Teil der Bevölkerung des Südens sieht sich politisch und wirtschaftlich durch die alte Führungsschicht des Nordens diskriminiert.
Worin angesichts dieser komplizierten innenpolitischen Situation des Jemen die Eröffnung einer „dritten Front im Krieg gegen den Terrorismus“ bestehen soll, wurde bisher noch von niemandem definiert. Tatsächlich wird dieser Begriff zwar inflationär von den Medien verwendet, nicht jedoch von der US-Regierung. Die hat erst einmal nur erklärt, was sie zumindest derzeit keinesfalls will: Er habe nicht die Absicht, amerikanische Bodentruppen in den Jemen zu schicken, versicherte Obama ebenso wie General David Petraeus, der Chef des Befehlsbereichs Mitte, in dessen Zuständigkeit der Jemen ebenso fällt wie Irak und Afghanistan. Das ginge allerdings auch nur gegen den eindeutig erklärten Willen der jemenitischen Regierung, die ohnehin darauf achten muss, ihre schmale Basis nicht durch allzu enge Kooperation mit den USA noch weiter zu schwächen.
Sicher scheint, dass die US-Regierung die schon seit längerem stattfindende Ausbildung jemenitischer „Anti-Terror“-Kräfte weiter ausbauen will. Sie muss indessen damit rechnen, dass diese hauptsächlich gegen die aufständischen Schiiten, vielleicht sogar gegen die ausschließlich politisch arbeitende Unabhängigkeitsbewegung im Süden eingesetzt werden. Gleiches gilt mehr oder weniger für die US-amerikanische Militärhilfe insgesamt. Dieser Effekt kann schwerlich erwünscht sein. Jedenfalls hat Washington es bisher vermieden, sich zu den Konflikten mit Schiiten und Sezessionisten explizit einseitig zu äußern.
Fraglich ist auch, ob die Vereinigten Staaten wirklich, wie vielfach spekuliert wird, in naher Zukunft eigene Militärschläge – etwa mit unbemannten Flugkörpern wie in Pakistan – gegen jemenitische Ziele durchführen wollen. Politisch könnte das nur kontraproduktiv wirken, was die US-Regierung allerdings auch in Pakistan offensichtlich überhaupt nicht abschreckt.
Bisher jedenfalls ist noch keine US-amerikanische Strategie für den Jemen und die sich südlich anschließende Region um das Horn von Afrika zu erkennen. Eine von der britischen Regierung organisierte Jemen-Konferenz, die am 28. Januar in London stattfinden soll, könnte ein erstes Bild von der Stimmung im westlichen Bündnis liefern. Dass dort große Interventionsfreudigkeit herrschen wird, ist vor dem Hintergrund der zähen Debatten um zusätzliche europäische Soldaten für Afghanistan jedoch eher unwahrscheinlich.
Großbritanniens Premierminister Gordon Brown behauptete darüber hinaus am 3. Januar, er habe sich mit Obama darauf verständigt, sich im UN-Sicherheitsrat für eine größere „Friedenstruppe“ in Somalia einzusetzen. Ob er damit nur eine Verstärkung der in Mogadischu stationierten AMISOM meinte, die derzeit aus insgesamt 5300 ugandischen und burundischen Soldaten besteht, oder ob er einen Anlauf zum Einsatz einer UN-Truppe unternehmen will, ließ Brown offen. Ein amerikanischer Regierungssprecher kommentierte lediglich kühl, über eine solche Einigung zwischen Brown und Obama sei ihm nichts bekannt.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 14. Januar 2010