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Dialog mit Hindernissen
Südkorea sagt Gespräche mit dem Norden ab. Es wären die ersten direkten Kontakte auf Regierungsebene seit sechs Jahren gewesen.
Die gerade erst zaghaft begonnenen Verhandlungen zwischen Nord- und Südkorea über eine Normalisierung ihrer Beziehungen sind offenbar schon wieder ins Stocken geraten. Am heutigen Mittwoch hätten hochrangige Vertreter beider koreanischen Staaten in der Hauptstadt des Südens, Seoul, zu zweitägigen Verhandlungen zusammentreffen sollen. Am Dienstag teilte jedoch eine Sprecherin des südkoreanischen Wiedervereinigungsministeriums mit, dass es am Mittwoch keine Gespräche geben werde. Sie gab dafür keine Gründe an und erklärte auch nicht, ob es sich lediglich um eine kurzzeitige Verschiebung des Treffens oder um eine zumindest vorläufige Absage handelt.
Einige Medien zitierten namentlich nicht genannte südkoreanische Regierungsbeamte mit der Aussage, die beiden Staaten hätten sich nicht über die Zusammensetzung der Delegationen einigen können. Später hieß es unter angeblicher Berufung auf das südkoreanische Verteidigungsministerium, der Norden habe gedroht, nicht zum Treffen zu erscheinen, falls die Delegation des Südens keinen Vertreter mit Ministerrang schicken würde. Eine Stellungnahme der Demokratischen Volksrepublik (DVRK) lag zunächst nicht vor.
Auf Regierungsebene hatten die beiden koreanischen Staaten zuletzt im Jahre 2007 miteinander gesprochen. Das abgesagte Treffen wäre der erste direkte Kontakt seit über zwei Jahren gewesen. Der Vorschlag, die Verhandlungen wieder aufzunehmen, war im Mai von der Führung der DVRK gekommen, die gleichzeitig einen hochrangigen Sondergesandten zu Gesprächen in die chinesische Hauptstadt Peking geschickt hatte, um dort ihre Politik zu erläutern. Südkorea reagierte auf das Angebot umgehend positiv und schlug Seoul als Ort für Verhandlungen „auf Ministerebene“ vor. Die DVRK argumentierte, dass man vor dem Hintergrund der noch nicht lange zurückliegenden harten Auseinandersetzungen zunächst „auf Arbeitsebene“ miteinander sprechen solle. Als Ort schlug die nordkoreanische Führung die gemeinsam mit südkoreanischen Unternehmen betriebene Industriezone von Kaesong, wenige Kilometer nördlich der Demarkationslinie, vor.
Als Kompromiss einigte man sich schließlich auf ein „Arbeitstreffen“ im Ort Panmunjon, der in der sogenannten Gemeinsamen Sicherheitszone liegt. Dort war im Juli 1953 der Waffenstillstand nach dem Koreakrieg unterzeichnet worden. Das „Arbeitstreffen“ fand am Sonntag statt und endete mit der Vereinbarung einer Tagesordnung für die Verhandlungen in Seoul. Weitere technische Details sollten über die Hotline zwischen beiden Hauptstädten besprochen werden. Nordkorea hatte diese Direktverbindung im Frühjahr unterbrochen, aber in der vorigen Woche wieder aufgenommen.
Im Zentrum der jetzt abgesagten oder verschobenen Gespräche in der südkoreanischen Hauptstadt hätte die Wiederaufnahme der Arbeit in Kaesong stehen sollen. Normalerweise produzieren dort 53.000 Nordkoreanerinnen und Nordkoreaner für 123 Firmen aus dem Süden. Die DVRK hatte die vor neun Jahren eröffnete Industriezone jedoch im April vorübergehend geschlossen, um gegen wochenlange amerikanisch-südkoreanische Kriegsspiele zu protestieren, bei denen die USA auch atomwaffenfähige Flugzeuge einsetzten. Schon Ende Mai hatte die Regierung in Pjöngjang jedoch südkoreanische Geschäftsleute eingeladen, zu Gesprächen über die „Normalisierung des Betriebs“ nach Kaesong zu kommen. Südkorea hatte diese Kontakte jedoch unterbunden und darauf bestanden, das Thema zunächst ausschließlich auf zwischenstaatlicher Ebene zu diskutieren.
Weitere Themen der Gespräche am Mittwoch und Donnerstag sollten die Wiederöffnung des Gebiets um den 1.600 Meter hohen nordkoreanischen Berg Kumgang für Touristen aus dem Süden, Besuchsmöglichkeiten für Familien, die durch die Spaltung Koreas getrennt sind, und andere „humanitäre Angelegenheiten“ sein.
Die DVRK wünscht außerdem, dass die Feierlichkeiten an den Jahrestagen der Gemeinsamen Erklärung beider Staaten vom 15. Juni 2000 wieder aufgenommen werden. Diese Grundsatzvereinbarung leitete eine Phase der Annäherung zwischen Nord und Süd ein, die in Südkorea als „Sonnenscheinpolitik“ bezeichnet wurde. Im Anschluss daran fanden am 15. Juni alljährlich gemeinsame Veranstaltungen statt, bis der 2008 zum südkoreanischen Präsidenten gewählte konservative Politiker Lee Myung-bak diese Tradition beendete. Er ist seit Februar dieses Jahres nicht mehr im Amt.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 12. Juni 2013