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Der nächste Kriegspräsident der USA

Der teuerste Wahlkampf aller Zeiten ist entschieden. Barack Obama wird 44. Präsident der USA und behauptet, mit ihm komme der Wechsel. Was immer nun jede einzelne seiner Wählerinnen, jeder einzelne seiner Wähler sich im persönlichen Bereich und in der größeren Politik darunter vorstellen mag. Je mehr ein Politiker sich im Wahlkampf darauf einlässt, das Zauberwort „Change“ zu konkretisieren, um so schlechter für seine Chancen. Denn sobald es konkret wird, stimmen die Interessen und Zukunftserwartungen von über 60 Millionen Menschen – in diesem Bereich liegt die Zahl von Obamas Wählern – nur noch sehr wenig überein. Es stimmen vor allem die Erwartungen der Mehrheit der Wähler an ihren neuen Präsidenten fast überhaupt nicht überein mit den Interessen derjenigen, die ihn aufgebaut haben, die ihn im Laufe des Wahlkampfs immer eindeutiger förderten und die auch künftig die Innen-, Außen-, Wirtschafts- und Finanzpolitik der USA bestimmen werden, so wie sie es gegenwärtig tun und in der Vergangenheit getan haben.

Obama wusste seine Chancen maximal zu wahren und zu mehren, indem er auf den meisten Gebieten exakte Festlegungen vermied. Er bediente stattdessen mit gefälligen Phrasen die Mehrheitsstimmung, die von der achtjährigen Amtszeit des George W. Bush die Schnauze voll hat. Diese Mehrheit ist groß, wie die Umfragen zeigen, denen zufolge die Zustimmung zur Politik des Präsidenten nur noch bei 24 Prozent liegt – fast ein Negativrekord in der Geschichte der USA. Nur Harry S. Truman war 1952 noch ein bis zwei Prozentpunkte weiter unten.

John McCain hat außer dem Satz „Ich bin nicht Präsident Bush“ in einem Fernsehduell mit Obama kaum etwas getan, um der weit verbreiteten Unzufriedenheit mit der Hinterlassenschaft der vergangenen acht Jahre Rechnung zu tragen und Überlegungen zu einem Neuanfang anzudeuten. Sein aggressiver, schmutziger Wahlkampf gegen Obama wurde vor allem in der Schlussphase selbst von einem Teil seiner Anhänger als rein negativ, kontraproduktiv, abstoßend und eindeutig unter McCains eigenen Niveau empfunden. Die von ihm ausgewählte Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten, Sarah Palin, polarisierte mit ihrem Provinzkonservativismus und machte deutlich, welch gewaltiger kultureller Riss durch die USA geht. Seit der Nominierung Palins unterstützten nahezu alle großen Medien des Landes ganz offen den Wahlkampf Obamas. Es kam hinzu, dass dessen Spendeneinnahmen Rekordhöhen erreichten – 150 Millionen Dollar allein im September -, während die Kasse seines Konkurrenten wegschmolz wie Butter an der Sonne. In der Schlussphase des Wahlkampfs hatte Obama vier Mal so viel Geld zur Verfügung wie McCain und warf es massiv in die Fernsehwerbung.

Nimmt man all diese Faktoren zusammen, ist erstaunlich und bemerkenswert, dass Obama nicht sehr viel deutlicher gewonnen hat. „Amerika“, das sind ganz sicher nicht allein die jubelnden Menschenmassen vor allem in den Hochburgen der Demokraten, sondern auch die über 40 Prozent, die für McCain und Palin gestimmt haben.

Aber dennoch: Wohl noch nie in der Geschichte der Vereinigten Staaten wurde ein Präsidentschaftskandidat mit einem so riesigen, enthusiastischen Vertrauensvorschuss ins Amt gehoben. Und sicher keiner, der dieses Vertrauen so wenig durch seine bisherigen Taten und durch seine Äußerungen im Wahlkampf begründet hätte.

Das gilt vor allem für Obamas außenpolitischen Vorstellungen. Er erbt von seinem Vorgänger zwei Kriegsschauplätze, Irak und Afghanistan. Am Ende seiner Amtszeit werden es voraussichtlich mehr statt weniger sein. Von einem festen Zeitplan für den Rückzug aus dem Irak sprach Obama nur ganz zu Beginn seiner Wahlkampagne, als er noch mit Hillary Clinton um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Demokraten rivalisierte. Inzwischen hat er die Zeitvorgaben fallen gelassen und stellt in alles offen lassenden Formeln einen „geordneten“, „verantwortungsvollen“ Truppenabzug in Aussicht. Genau besehen hat Obama auch früher schon Tausende von US-Soldaten für verschiedene Zwecke im Irak belassen wollen. Letztlich könnte es eher die irakische Regierung als der frisch gekürte 44. Präsident sein, die darauf besteht, dass in drei Jahren Schluss mit der amerikanischen Truppenpräsenz im Irak sein muss.

In Obamas Programm war ein Truppenabzug aus dem Irak von Anfang an Teil einer geplanten Schwerpunktverschiebung des „Kriegs gegen den Terror“ nach Osten. Afghanistan und in diesem Zusammenhang auch Pakistan müssten das neue Kriegszentrum werden. Nicht nur Obama, sondern auch McCain forderten deshalb während des Wahlkampfs, im nächsten Frühjahr mindestens 20.000 US-Soldaten aus dem Irak nach Afghanistan zu verlegen. Bush, wenn seine Amtszeit jetzt nicht ablaufen würde, hätte höchstwahrscheinlich das Gleiche getan. Obama hat darüber hinaus die rechtswidrigen amerikanischen Militärschläge mit ferngesteuerten Flugkörpern gegen pakistanisches Gebiet unterstützt, von denen es im vergangenen Vierteljahr im Schnitt mehr als einen pro Woche gab.

Entscheidend wird sein, wie unter dem Präsidenten Barack Obama der Konflikt mit dem Iran weitergeführt wird. Bush hat in den letzten Monaten seiner Amtszeit dieses Thema weitgehend ruhen lassen und damit seinem Nachfolger vorbehalten. Obama und McCain haben, in gleichlautenden Formulierungen, im Wahlkampf mehrfach erklärt, dass sie im Fall ihrer Wahl „mit allen Mitteln“ verhindern würden, dass Iran Atomwaffen entwickelt. Da es bisher, den Untersuchungen der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA zufolge, keine Erkenntnisse über die Existenz eines iranischen Atomwaffenprogramms gibt, handelt es sich um eine rein hypothetische Frage. In Wirklichkeit geht es darum, Iran „mit allen Mitteln“, einschließlich militärischer Gewalt, zur Einstellung seiner Arbeiten an der Uran-Anreicherung und zur Hinnahme eines landesweiten Kontrollsystems zu zwingen.

Obama wird vielleicht als eine seiner ersten Amtshandlungen im kommenden Januar ein „Verhandlungsangebot“ nach Teheran schicken. Aber ein solches Angebot bliebe nur eine taktische Finte, wenn damit nicht auch ein grundsätzliches neues Herangehen sowohl an den Streit mit Iran als auch an die miteinander verflochtenen Konflikte zwischen östlichem Mittelmeer, Zentralasien und der chinesischen Grenze verbunden wäre. Davon aber ist beim Wahlsieger bisher nichts zu bemerken. Und die Alternative zu einer Verhandlungslösung und einem „großen Ausgleich“ ist ein Krieg, dessen Folgen schwer einzuschätzen sind, aber jedenfalls die Auswirkungen der Kriege im Irak und in Afghanistan noch bei weitem übertreffen werden.

Obamas Wahl, als erster afroamerikanischer Präsident der USA und als Kontrast zu dem abschreckenden Gespann Palin-McCain, mag manchen wie eine „Kulturrevolution“ erscheinen – und in gewisser Weise auch wirklich sein. Aber im Bereich der internationalen Politik, auch in den Beziehungen zu Russland und China, wird man sich künftig vielleicht noch nach dem vergleichsweise friedfertigen Stil von George W. Bush zurücksehnen.

Knut Mellenthin

Hintergrund, 5. November 2008