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Außer toten Zivilisten nichts gebracht

Afghanistans Präsident Karsai fordert Überprüfung der militärischen Aufstandsbekämpfung

Außer der Tötung von Zivilisten hat die NATO-Intervention in Afghanistan bisher nichts gebracht. Diese Einschätzung bekräftigte Staatsoberhaupt Hamid Karsai am Sonntag in einem Gespräch mit Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Einer Pressemitteilung seines Büros zufolge sagte Karsai: „Es muss eine Überprüfung der Strategie im Kampf gegen den Terrorismus geben. Denn die Erfahrung der letzten acht Jahre zeigt, dass der Kampf in den Dörfern Afghanistans außer der Produktion von Verlusten in der Zivilbevölkerung wirkungslos war.“

Diese äußerst negative Beurteilung der NATO-Aufstandsbekämpfung durch den afghanischen Präsidenten ist indessen nicht neu. Karsai hat sie, soweit bekannt wurde, vor einiger Zeit auch schon in einem bisher unveröffentlichten Brief an Barack Obama vorgebracht. Auch darin soll er bereits eine gründliche Überprüfung der bisherigen militärischen Strategie gefordert haben. Bei einem Treffen mit dem Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses des US-Senats, John F. Kerry, vor einer Woche wiederholte Karsai seine Forderung, die Ziele, den Schwerpunkt und die Strategie der Kriegführung einer ernsthaften Überprüfung zu unterziehen. Laut Pressemitteilung seines Büros erklärte Karsai in diesem Gespräch außerdem: Terrorismus-Bekämpfung ohne klare Definition, wer Feind und wer Freund ist, die in den Häusern und Dörfern Afghanistans stattfindet, statt die Wurzeln des Terrorismus und seine Unterstützer anzugreifen, könne nicht gelingen.

Am Donnerstag räumte Karsai beim Empfang von vier Mitgliedern des US-Kongress zwar beträchtliche Erfolge an allen anderen Fronten, einschließlich des Wiederaufbaus ein, nahm davon aber ausdrücklich den „Kampf gegen den Terrorismus“ aus, in dem es keine Fortschritte gebe. Zwei Hauptelemente seien für den Misserfolg verantwortlich: fehlende Konzentration auf die „sicheren Schlupfwinkel“ der Taliban, die Karsai in Pakistan vermutet, und die anhaltenden Verluste unter der Zivilbevölkerung. Bei diesem Treffen behauptete der Präsident außerdem, die Ankündigung Obamas, im Juli 2011 eine bisher nicht präzisierte Zahl von US-Soldaten aus Afghanistan abziehen zu wollen, stelle „eine moralische Ermutigung für die Feinde unseres Landes“ dar.

Karsai, der seitens der US-Regierung unter ständigem starkem Druck steht, will sich im Gegenzug an namhafte amerikanische Militärs anhängen, die unverhohlen Kritik an ihrem Präsidenten üben. Das geht bis zur wörtlichen Übernahme von Formulierungen: Von einer „moralischen Ermutigung“ der Taliban durch die Abzugsankündigung hatte vor einer Woche zuerst General James Conway gesprochen, der voraussichtlich im Oktober seinen Posten als Befehlshaber der Marines aufgeben wird. Am Freitag sagte der im Ruhestand befindliche US-General Jack Keane, Karsai habe Recht und seine Meinung werde von vielen in der Region geteilt. Obamas Politik habe „Schaden in der Region angerichtet, weil sie ganz eindeutig unsere Gegner ermutigt und Skeptizismus in den Köpfen unserer Freunde gesät hat“.

Indessen gehen die Enthüllungen US-amerikanischer Medien über das Ausmaß der Korruption in afghanischen Regierungskreisen weiter. Die New York Times berichtete am Sonnabend in einem langen Artikel über die Vorwürfe, die jetzt vom stellvertretenden Generalstaatsanwalt Afghanistans, Fasel Ahmed Faqirjar, erhoben werden, nachdem er am Donnerstag von Karsai entlassen wurde. Nach Faqirjars Angaben hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren gegen mindestens 25 amtierende oder ehemalige Funktionsträger eingeleitet. Darunter befänden sich 17 Regierungsmitglieder, fünf Provinzgouverneure und mindestens drei Diplomaten. Die Ermittlungen seien jedoch von Karsai und von Generalstaatsanwalt Mohammed Ishaq Aloko behindert und zum Teil auf Eis gelegt worden. Nur gegen drei der 25 Verdächtigten sei Anklage erhoben worden, und kein einziger Fall sei vors Gericht gegangen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 31. August 2010