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Afghanistan: USA kündigen miilitärische Eskalation und höhere Verluste an

Der Generalstabschef der US-Streitkräfte, Mike Mullen, versucht, die Soldaten auf noch höhere Verluste in Afghanistan einzustimmen. In einer Rede auf dem Marines-Stützpunkt Camp Lejeune (North Carolina) sprach der Admiral am Montag von der gefährlichsten Zeit, die er in seinen vierzig Jahren beim Militär erlebt habe. Die USA seien dabei, den Krieg in Afghanistan zu verlieren. Deshalb sei die von Präsident Barack Obama in der vorigen Woche angekündigte „blitzartige“ Verstärkung der Besatzungstruppen um 30.000 Mann unbedingt erforderlich.

Seit dem Überfall auf Afghanistan im Oktober 2001 kamen dort 927 US-amerikanische Soldaten ums Leben, und die Zahlen steigen schon seit vier Jahre permanent an. Zugleich werden immer mehr US-Amerikaner verletzt. Allein im Zeitraum August bis Oktober 2009 waren es über 1000. Das ist ein Viertel aller US-Soldaten, die seit Kriegsbeginn verwundet wurden.

Washington plant nicht nur eine massive Aufstockung der Truppen – im nächsten Sommer sollen sich drei Mal so viele US-Soldaten in Afghanistan befinden wie zu Beginn von Obamas Amtszeit -, sondern zugleich eine militärische Eskalation durch große Angriffsoperationen. Mullen sprach davon, die Aufstandsbewegung in den nächsten 12 bis 24 Monaten entscheidend zu schlagen. Das bedeutet nicht nur steigende Verluste für die US-Streitkräfte und ihre Verbündeten, sondern vor allem einen dramatischen Anstieg der Toten, Verwundeten und Vertriebenen auf afghanischer Seite.

Bei einem zuvor nicht öffentlich angekündigten Besuch in Kabul am Dienstag war US-Verteidigungsminister Robert Gates erneut bemüht, das von Obama bewusst produzierte „Missverständnis“, seine Regierung plane einen baldigen Abzug aus Afghanistan, auszuräumen. Die USA hätten vor, noch sehr viele Jahre im Lande zu bleiben, „versprach“ der Pentagon-Chef. Schon am Sonntag hatte er erklärt, dass mit dem Abzugsbeginn, den der Präsident scheinbar für Juli 2011 in Aussicht gestellt hatte, nur „eine Handvoll, eine kleine Zahl“ von Soldaten gemeint sei.

Der afghanische Präsident Hamid Karsai stellte anlässlich des Besuchs von Gates in Aussicht, dass die einheimischen Sicherheitskräfte in etwa zwei Jahren in der Lage sein könnten, einzelne Gebiete selbstständig zu behaupten. In fünf Jahren könnten sie so weit sein, das gesamte Land ohne direkte militärische Unterstützung von außen zu kontrollieren. Das sind indessen rein illusorische Gefälligkeitszahlen an die Adresse der NATO-Regierungen, die dringend etwas in die Hand bekommen wollen, um der Bevölkerung ihrer Länder erzählen zu können, dieser Krieg sei kein „open-end Commitment“, sondern habe irgendeine berechenbare Perspektive.

Gleichzeitig sagte Karsai, dass es noch 15 oder 20 Jahre dauern werde, bis das Land seine Sicherheitskräfte, deren Umfang auf Geheiß der NATO in den nächsten vier Jahren mehr als verdoppelt werden soll, selbst finanzieren kann. Auch dieses Versprechen ist illusorisch. Die künftigen Kosten für Militär und Polizei übersteigen die gesamten Staatseinnahmen Afghanistans um ein Mehrfaches, und das kann sich in absehbarer Zeit auch nicht ändern.

Ebenfalls am Dienstag wurde bekannt, dass beim Angriff von NATO-Truppen auf ein Dorf in der nordöstlichen Provinz Laghman mehrere Zivilisten getötet wurden. Die Regierung in Kabul spricht von sechs Toten, Augenzeugen hingegen von zwölf. In Laghman sind ausschließlich US-Amerikaner im Einsatz. In der Provinzhauptstadt gab es eine Demonstration gegen die NATO-Intervention.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 9. Dezember 2009