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Die "Kornblumen-Revolution"
Die Regierungen der USA und der EU wollen Umsturz in Weißrussland
Die Serie "demokratischer Revolutionen", die im Jahr 2000 in Belgrad begann, soll im nächsten Jahr in Belarus (Weißrussland) mit dem Sturz von Präsident Alexander Lukaschenko fortgesetzt werden. Da sich herausgestellt hat, wie wichtig Namen, Farben und Symbole für solche inszenierten "Revolutionen" sind, wird schon jetzt der Name "Kornblumen-Revolution" gehandelt. Blau soll diesmal die Farbe sein, unter der die Opposition antritt.
Das Drehbuch folgt dem Schema, das 2000 in Jugoslawien, 2003 in Georgien und 2004 in der Ukraine angewendet wurde: Im Anschluss an die Präsidentenwahl bezeichnet man mit mehr oder weniger sachlicher Berechtigung das Wahlergebnis als gefälscht, mobilisiert medienwirksame Protestdemonstrationen und "ergreift" schließlich "die Macht" - gestützt auf wesentliche Teile des Staatsapparats und der herrschenden Elite, die in der Verteidigung der bestehenden Verhältnisse keinen Sinn mehr sehen.
Zeitpunkt der "Kornblumen-Revolution" in Belarus soll die Präsidentenwahl im September 2006 sein. Das potentielle Opfer der "Revolution", Präsident Lukaschenko, gibt sich gelassen: Man versuche schon seit zehn Jahren, ihn zu stürzen, aber werde damit auch künftig keinen Erfolg haben. In Belarus werde es keine Revolution geben - weder eine Orangen-Revolution (in Anspielung auf die Vorgänge in der Ukraine) noch eine Bananen-Revolution.
Wahl war frei und fair
Alexander Lukaschenko wurde am 10. Juli 1994 erstmals in das kurz zuvor neu geschaffene Präsidentenamt gewählt. Bei einer Wahlbeteiligung von knapp 70 Prozent stimmten über 80 Prozent der Wähler für ihn. Auch die Kreise, die Lukaschenko heute als "letzten Diktator Europas" bezeichnen, geben zu, dass die 1994er Wahl frei, fair und demokratisch war. Sein Gegner, der damalige Ministerpräsident Vyacheslav F. Kebich, wurde massiv von der russischen Regierung unterstützt.
Im November 1996 ließ Lukaschenko sich durch ein Referendum weitgehende Verfassungsänderungen bestätigen. Diese erweiterten die Befugnisse des Präsidenten und schränkten auf der anderen Seite die Rechte des Parlaments ein. Gleichzeitig wurde außerdem eine Verlängerung der Amtszeit Lukaschenkos, die regulär 1999 geendet hätte, bis zum Jahr 2001 gebilligt. Die Zustimmung zum Referendum wurde offiziell mit 70 Prozent angegeben.
Am 9. September 2001 wurde Lukaschenko mit 75,6 Prozent der Stimmen für eine zweite Amtszeit als Präsident gewählt. Sein wichtigster Gegenkandidat, der Gewerkschaftsführer Wladimir Gontscharik, erreichte nach offiziellen Angaben 15,4 Prozent. Außerdem entfielen 2,5 Prozent auf den dritten Kandidaten, Sergei Gaidukevich von der belarusischen Filiale der rechtsextremen Liberaldemokraten Russlands.
Die Opposition sprach von massivem Wahlbetrug. Gontscharik berief sich auf eine (von US-Organisationen bestellte und bezahlte) "unabhängige Umfrage", wonach er selbst in Wirklichkeit 40 Prozent bekommen hätte und Lukaschenko 46 Prozent. Selbst wenn diese Umfrage annähernd zutreffend gewesen wäre, wäre es eine grobe Verdrehung des Sachverhalts, von einem "gestohlenen Sieg der Opposition" zu sprechen. Das empfanden offenbar auch die etwa 2.000 Demonstranten, die sich im Zentrum von Minsk versammelt hatten, um entweder den Sieg von Gontscharik zu feiern oder gegen die "Wahlfälschung" zu protestieren: Die "Menge" löste sich kurz nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses in gedrückter Stimmung auf und ging nach Hause. Die "demokratische Revolution", in die die US-Regierung sowie zahlreiche "private" Organisationen und Stiftungen der USA und der EU im Jahr 2001 etwa 40 Millionen Dollar investiert hatten, musste vertagt werden.
Inzwischen rechnen die von Lukaschenkos Gegnern bezahlten "unabhängigen Umfragen" seine Zustimmung in der Bevölkerung auf knapp 30 Prozent herunter. Gleichzeitig geben sie aber auch zu, dass dies immer noch weitaus mehr wäre, als irgendein Gegenkandidat der Opposition erreichen könnte. Die erhebliche Popularität des Präsidenten wird selbst von seinen schärfsten Gegnern nicht bestritten und bereitet denen, die seit zehn Jahren an seinem Sturz arbeiten, immer noch großes Kopfzerbrechen.
Keine "Schocktherapie"
Lukaschenko hat konsequent die vom Imperialismus diktierten "Schocktherapien" und raubkapitalistischen Wirtschaftsexperimente verweigert. Viele Beschädigungen, unter denen Russland und die meisten post-sowjetischen Gesellschaften heute noch leiden, hat Belarus dank dieser Politik vermieden. In Belarus sind keine Milliarden-Vermögen in der Hand von wenigen Spekulanten entstanden wie in Russland. Das Rentenniveau liegt höher als in Russland, der Ukraine oder dem von der US-Regierung gehätschelten Musterländle Georgien. Und vor allem: Die Renten, ebenso wie die Löhne, werden im Gegensatz zu diesen Staaten zuverlässig und pünktlich gezahlt. Die Rentner zählen daher auch zu Lukaschenkos treuesten Anhängern, was bei manchen Umsturz-Strategen Hoffnungen auf das Schüren eines Generationenkonflikts aufkommen lässt. Großen Wert legt der Präsident auch darauf, die Landwirtschaft und die Landbevölkerung durch gelenkte Investitionen und Subventionen vor den Katastrophen zu schützen, die sich in den meisten post-sowjetischen Gesellschaften ereignet haben.
Die Opposition hat jahrelang in erster Linie darauf gesetzt, Lukaschenko als "Russenknecht" zu denunzieren, der Belarus die "nationale Identität" rauben und das Land "an Russland verkaufen" wolle. Diese demagogische Russophobie hat in einem Staat, in dem sich ein großer Teil der Bevölkerung selbst als russisch definiert, wenig Anklang gefunden. Darüber hinaus verkannte diese Taktik der Opposition, dass Lukaschenko schon aus Gründen des eigenen Machterhalts überhaupt nicht daran denkt, sich Russland unterzuordnen, sondern tatsächlich der effektivste Verteidiger der Unabhängigkeit von Belarus auch gegen Moskauer Ambitionen ist.
Die Herrschaftsmethoden Lukaschenkos sind tatsächlich autoritär, aber längst nicht in dem Ausmaß, das von seinen Gegnern behauptet wird. Es gibt mehr als ein Dutzend Oppositionsparteien und mehrere hundert oppositionelle "NGOs" ("Nicht-Regierungs-Organisationen"), die überwiegend von Subventionen aus dem Staatshaushalt der USA leben. Lukaschenko hält die Opposition durch gezielte Schikanen unter ständigem Druck. Aber in erster Linie legt die Opposition sich durch heillose Zerstrittenheit und politische Fehler selbst lahm. Im Parlament, das im vorigen Jahr neu gewählt wurde, ist kein Oppositionspolitiker mehr vertreten. Außer dem Ableger der russischen Liberaldemokraten - der nicht zur Opposition gerechnet wird - schaffte keine Oppositionspartei den Sprung über die 5-Prozent-Hürde. In allen Wahlbezirken traten mindestens drei bis vier Oppositionskandidaten an und schwächten sich gegenseitig. Insofern ist die Niederlage der Opposition - ohne die Auswirkungen der Repression sowie möglicherweise auch Wahlfälschungen bestreiten zu wollen - in erster Linie selbstgemacht.
Wer kandidiert gegen Lukaschenko?
Der Auswahl des Gegenkandidaten gegen Alexander Lukaschenko kommt bei der Umsturzplanung zentrale Bedeutung zu. Die US-Regierung und aus dem Staatshaushalt finanzierte amerikanische Organisationen wie das National Endowment for Democracy haben bei der Vorbereitung der bisherigen Umstürze in Jugoslawien, Georgien und der Ukraine großes Gewicht darauf gelegt, die Opposition zu einem möglichst breiten Bündnis um einen einzigen Kandidaten zu drängen. Mit der Drohung, nur dieses Bündnis und nur diesen Kandidaten zu finanzieren, haben die US-amerikanischen Kreise ein starkes Druckmittel in der Hand.
Gekürt werden soll nicht unbedingt, wer den Sponsoren am geschicktesten nach dem Mund zu reden versteht, sondern - zumindest in der Theorie - der aussichtsreichste Gegenkandidat, also der, dem am ehesten ein Wahlsieg über Lukaschenko zuzutrauen ist.
Viele Monate vor der jugoslawischen Präsidentenwahl im Jahr 2000, in deren Folge Slobodan Milosevic gestürzt wurde, führten US-amerikanische Meinungsforschungsinstitute regelmäßig Umfragen über die Sympathiewerte aller potentiellen Oppositionskandidaten durch. Dabei kristallisierte sich heraus, dass von allen möglichen Bewerbern Vojislav Kostunica am ehesten Aussichten hatte, Milosevic zu schlagen. Also ein nationalistischer Politiker, der seine Glaubwürdigkeit unter anderem daraus bezog, dass er ein Kritiker der US-amerikanischen Jugoslawien- und Balkan-Politik war. Kostunica wurde mit Unterstützung eines breiten Oppositionsbündnisses aufgestellt und gewann mit Hilfe US-amerikanischer Werbefirmen die Wahl. Es zeigt sich an diesem Beispiel, dass den herrschenden Kreisen der USA das Ziel des Sturzes eines angefeindeten Politikers sehr viel wichtiger ist als die Frage, wer ihm nachfolgt.
In Belarus haben bisher mindestens zwölf Oppositionspolitiker ihr Interesse angemeldet, bei der Präsidentenwahl im September 2006 gegen Lukaschenko anzutreten. Die Zahl der Bewerber könnte in nächster Zeit sogar auf 15 oder 20 ansteigen. Aber keiner von ihnen hat einen signifikanten Popularitätsgrad, der ihn aus der Masse der Mitbewerber herausheben würde.
Die Entscheidung soll voraussichtlich im Herbst dieses Jahres fallen. Das Stichwort, mit dem die Opposition die US-amerikanischen Sponsoren gut gelaunt zu stimmen versucht, lautet "Primaries", Vorwahlen. Das kennen die Sponsoren von zu Hause: Vor dem eigentlichen Duell zwischen den Präsidentschaftskandidaten stimmen die Parteitage von Republikanern und Demokraten in den Bundesstaaten ab, wen sie ins große Rennen schicken wollen.
Wie das aber in Belarus konkret laufen soll, wo sich überhaupt nicht zuverlässig sagen lässt, wie viel Anhänger die einzelnen Parteien haben, ist vorläufig unklar. Allenfalls lässt sich feststellen, dass die Opposition es mit starker US-amerikanischer Hilfestellung auch im Jahr 2001 geschafft hat, sich auf einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten zu einigen.
Die Festlegung des Oppositionskandidaten soll auf einem Kongress erfolgen, der wahrscheinlich im benachbarten Ausland stattfinden wird, um Repressionen zu entgehen, vor allem aber, um maximale Anteilnahme der US-amerikanischen und europäischen Medien zu erreichen. Unter diesem Aspekt wird die Wahl vermutlich auf die Ukraine fallen, wo im Vorjahr die letzte "demokratische Revolution" stattgefunden hat.
Da man der "internationalen Öffentlichkeit" nicht das wenig attraktive, wenn auch realistische Bild heillos zerstrittener Sekten und Klüngel bieten will, wird über eine Teilung des Kongresses nachgedacht: Die Entscheidung über den gemeinsamen Kandidaten könnte zunächst in Belarus ausgekämpft werden, und nur zur Zelebrierung des feierlichen, für die internationalen Medien bestimmten Schlussteils würde man sich dann ins Ausland begeben.
Zwei rivalisierende Wahlbündnisse
Die belarusische Opposition hat sich in zwei Bündnissen formiert: "Fünf Plus" und "Europäische Koalition Freies Belarus".
"Fünf Plus" besteht, daher der Name, aus fünf Parteien, denen sich einige kleinere Organisationen angeschlossen haben. Im Wesentlichen handelt es sich um folgende Träger:
- Die Belarusische Volksfront (BPF), eine nationalistische, militant anti-russisch orientierte Partei, die in früheren Jahren das Bild der Opposition wesentlich geprägt hat.
- Die Vereinigte Bürgerpartei (UCP). Sie arbeitet eng mit der russischen Union der Rechten Kräfte zusammen, die sich für einen "liberalen", entfesselten Kapitalismus einsetzt. Die UCP wird auch von russischen Unternehmern gefördert, die sich davon bessere Einwirkungsmöglichkeiten auf die belarusische Wirtschaft versprechen. UCP-Chef Anatoli Lebedko kann sich derzeit wohl die besten Chancen ausrechnen, Präsidentschaftskandidat der Opposition zu werden.
- Die Belarusische Sozialdemokratische Gramada (BSDG), eine von mittlerweile drei miteinander verfeindeten Fraktionen der Sozialdemokratischen Partei.
- Die Belarusische Arbeitspartei (BLP).
- Die Partei der Kommunisten von Belarus (PCB), ein Zerfallsprodukt der belarusischen Gliederung der KPdSU.
Zum Bündnis "Fünf Plus" gehören außerdem unter anderem die Grüne Partei und die Gruppe Respublika, die einzige Oppositionsfraktion in dem bis zum vorigen Jahr amtierenden belarusischen Parlament.
Das Bündnis hat eine programmatische Erklärung "Fünf Schritte zu einem besseren Leben" veröffentlicht, die aber selbst nach Einschätzung sehr wohlwollender Kommentatoren über allgemeinste Floskeln (Wohlstand für alle, mehr ausländische Investitionen, Anschluss an die EU) nicht hinauskommt.
Dass das Bündnis "Fünf Plus" voll Sprengstoff steckt, ist offensichtlich. So liegen Welten zwischen der BPF, die sich vorwiegend durch das Verbrennen russischer Fahnen vor ausländischen Fernsehkameras in Szene setzt, und der pro-russischen UCP, die für die "romantischen Nationalradikalen" eigentlich nur Verachtung empfindet. Und viele Mitglieder der PCB trauen weder der BPF noch der UCP über den Weg und können die Bündnispolitik ihrer Parteiführung nicht nachvollziehen.
Blau wie EU und NATO
Der zweite Parteienblock der Opposition ist die "Europäische Koalition Freies Belarus" (ECFB). Hauptträgerin ist die BSDP-NG), eine der drei Fraktionen der Sozialdemokratischen Partei. Hinzu kommen die Charta 97 und das Bündnis "Junges Belarus", das hauptsächlich aus der Organisation Junge Front besteht. Es gibt Spekulationen, dass die Gruppe Respublika von "Fünf Plus" zur ECFB wechseln könnte.
Aus Sicht der Regierungen der USA und der EU dürfte "Freies Belarus" der attraktivere, modernere und auf Grund seiner relativen Homogenität auch zuverlässigere der beiden Oppositionsblöcke sein. Auf der anderen Seite enthält "Fünf Plus" vor allem mit der BPF und der UCP Kräfte, die in ein Bündnis unbedingt mit einbezogen werden müssen.
Die ECFB will ihren Wahlkampf im Zeichen der blauen Kornblume - als traditionelles Symbol der belarusischen Heimat - und mit der EU-Fahne führen. Die ist blaugrundig, ebenso wie die Fahne der NATO. So könnte dann im Wahlkampf die Farbe Blau auch für die Illusion stehen, im Turbo-Tempo Anschluss an die EU und die NATO zu gewinnen.
Auf der anderer Seite wird es vermutlich schwierig sein, die Kornblume und die Farbe Blau
noch zum gemeinsamen Symbol der Opposition und einer angestrebten "demokratischen Revolution" zu machen, nachdem sie bereits von einem der rivalisierenden Blöcke vereinnahmt wurden.
Bis vor wenigen Monaten schien "Freies Belarus" mit Nikolaj Statkewitsch einen aussichtsreichen Bewerber um den Posten des Oppositionskandidaten für die Präsidentschaftswahl zu haben. Aber erstens hat ihn seine eigene Partei, die BSDP-NG, inzwischen vom Vorsitz abgesetzt und sogar ausgeschlossen. Und zweitens wurde Statkewitsch im Mai wegen Organisierung einer nicht genehmigten Demonstration zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.
Die Aussichten, dass der Umsturzplan im September 2006 erfolgreich verlaufen könnte, werden selbst von "Think Tanks", die der belarusischen Opposition nahe stehen, pessimistisch beurteilt. Daher gewinnt eine alternative Option an Bedeutung, die unter anderem von einflussreichen Mitgliedern des US-amerikanischen Kongresses befürwortet wird: Russlands Präsident Putin soll durch eine Mischung aus Lockungen und Drohungen genötigt werden, Lukaschenko fallen zu lassen.
Unmittelbare Folge könnte sein, dass die faktische Subventionierung der belarusischen Wirtschaft durch billige Preise für russische Energieträger entfällt, was Belarus in erhebliche Schwierigkeiten stürzen würde. Denkbar wäre aber auch, so westliche Überlegungen, eine von Russland gelenkte, von USA und EU tolerierte "Palastrevolution" in Minsk. Dass ein solcher Umsturz zunächst Kräfte ans Ruder bringen würde, die sich Russlands Einfluss stärker unterordnen als Lukaschenko es tut, würde bei dieser Taktik als unvermeidliche Nebenfolge in Kauf genommen - und könnte später durch eine nachfolgende zweite "Revolution" korrigiert werden.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 20. Juni 2005