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Kampfhund-Hysterie
Deutschland spielt verrückt
Seit zwei Wochen spielt das öffentliche Deutschland verrückt. Im Eilverfahren verabschieden die Bundesländer Hundeverordnungen und Gesetze, die allen Erkenntnissen und Ratschlägen der Fachleute, Wissenschaftler, Tierärzte und Tierschutzorganisationen, völlig widersprechen. Ein schmutziger Wettkampf wird ausgetragen, welches Bundesland die schärfsten Maßnahmen praktiziert. Das Bundesland Bayern, gerade eben noch der Vorreiter einer restriktiven Gesetzgebung, erscheint heute verglichen mit den rot-grün regierten Bundesländern oder auch mit dem von der CDU beherrschten Hessen geradezu als eine glückliche Insel der Rechtsstaatlichkeit und der Berechenbarkeit.
Im Zentrum aller Maßnahmen steht das Ziel, "möglichst viele Kampfhunde zu töten", wie Hamburgs Erster Bürgermeister Ortwin Runde verkündete, und eine Reihe von Hunderassen auszurotten. Nicht mehr das Aussterbenlassen durch Zwangskastration und Zuchtverbot wird heute angestrebt, sondern die Erfassung, "Sicherstellung" und schließlich Tötung vieler tausend Hunde. Das widerspricht eindeutig dem Grundsatz des Tierschutzgesetzes, dass kein Tier ohne "vernünftigen Grund" getötet werden darf. Als solche Gründe gelten in Bezug auf Haustiere nur schwere Krankheit oder irreparable Gefährlichkeit, die aber im Einzelfall nachgewiesen werden muss. Kein Problem, sagen die Politiker, dann ändern wir eben mal schnell das Tierschutzgesetz.
Die geplanten Massentötungen laufen nach dem bekannten bürokratischen Muster ab:
- 1. Stufe: ERFASSUNG. Da die Hunde in den meisten Bundesländern bisher nicht nach Rassenzugehörigkeit registriert sind, stellt die möglichst komplette und detaillierte amtliche Erfassung der "Kampfhunde" die wesentliche Voraussetzung aller weiteren Maßnahmen dar. Diese Erfassung erfolgt jetzt im wesentlichen dadurch, daß die Hundehalter dazu genötigt werden sollen, ihre Tiere selbst bei den Behörden anzuzeigen und in die Kartei der Todeskandidaten eintragen zu lassen. Die Politiker erreichen diesen Effekt, indem sie den betroffenen Menschen noch eine winzige Chance vorgaukeln, ihr Tier vielleicht ausnahmsweise doch behalten zu dürfen, und indem sie andererseits massiv mit Such-, Fang- und Killerkommandos der Polizei drohen, die alle nicht registrierten Hunde gnadenlos und perfektionistisch aufspüren werden. Darüber hinaus wird das in Deutschland massiv verankerte Denunziantentum mobilisiert, um eine wirklich restlose Erfassung aller zur Tötung vorgesehenen Hunderassen zu gewährleisten.
- 2. Stufe: STIGMATISIERUNG UND AUSGRENZUNG. Maulkorb- und Leinenzwang, demnächst vielleicht noch ergänzt durch weitere deutlich sichtbare Zwangskennzeichen (beispielsweise Steuermarken in Neonfarben, verschiedenfarbige Halsbänder) dienen dazu, die auszurottenden Hunde als solche zu markieren. Das ist die Voraussetzung der Ausgrenzung von Hund und Mensch aus immer mehr Bereichen der Gesellschaft. Vielfach ist bereits das Fahren mit "Kampfhunden" in den öffentlichen Verkehrsmitteln verboten worden, was für viele zur Folge hat, dass sie nicht zu Hundefreilaufflächen und noch nicht einmal mehr zum Tierarzt fahren können. Einkaufzentren und ganze Wohnanlagen werden in gleicher Weise "kampfhundfrei" gemacht.
Ein besonders infames Mittel der Stigmatisierung und Ausgrenzung ist der Zwang, auch an der Wohnungstür ein Kennzeichen anzubringen. Dieses besteht zum Beispiel in Hessen in einem "leuchtend roten Warnschild im Mindestformat 15 mal 21 Zentimeter mit der deutlich lesbaren Aufschrift 'Vorsicht, gefährlicher Hund!'". Hamburg fordert dasselbe Warnschild, allerdings bisher ohne präzise Vorschrift hinsichtlich der Größe und Farbe.
Die Stigmatisierung von Hund und Mensch radikalisiert selbstverständlich die Ausgrenzung und beschleunigt sie. Schon der Maulkorb wird von vielen ignoranten Menschen als Beweis interpretiert, dass der damit geführte Hund tatsächlich gefährlich ist. Das Warnschild an der Tür programmiert selbst dort, wo es bisher noch keine Probleme gab, den Streit mit Nachbarn und die Kündigung aus der Wohnung. Außerdem dient jede Form von Stigmatisierung, sei es nun der Maulkorb oder das leuchtend rote Warnschild an der Tür, dazu, ihre Träger als potentielle Opfer gewaltsamer Übergriffe kenntlich zu machen.
- 3. Stufe. SICHERSTELLUNG UND KONZENTRATION. Letzten Endes soll nur einer sehr kleinen Zahl von Menschen gestattet werden, durch eine kaum zu erlangende Ausnahmegenehmigung das Leben ihres "Kampfhundes" zu retten. Dass die Behörden dennoch vorläufig so tun, als seien die Dinge noch in der Schwebe und als sei zu "Panikreaktionen" (das heißt: zur Entwicklung von Abwehrstrategien) kein Grund, liegt lediglich daran, dass sie die benötigten Kapazitäten zur Errichtung von Hunde-Vernichtungslagern noch nicht sofort zur Verfügung haben. Der hessische Innenminister Bouffier spricht schon von der "schnellstmöglichen Verwirklichung" von "zentralen Auffangstationen" in Hessen, fügt aber zugleich hinzu: "Eine dauerhafte Verwahrung komme allerdings nicht in Betracht; man werde die Hunde wahrscheinlich einschläfern müssen". Die Hamburger Behörden lassen noch offen, ob sie die Tötungslager als Erweiterung des Tierheims Süderstraße oder an anderen Stellen einrichten wollen.
Schon jetzt ist festzustellen, dass die überwiegende Mehrheit aller Hundehalter mit verbalen, aber auch gewalttätigen Aggressionen aufgehetzter und ignoranter Bevölkerungsteile konfrontiert ist. Für Menschen, die mit Hunden der verbotenen oder ebenfalls vom Verbot gefährdeten Rassen zusammenleben, wird das Leben von Tag zu Tag unerträglicher. Wohnungskündigung droht oder wurde schon mitgeteilt, artgerechte Bewegung des Hundes ist nicht mehr möglich, nächtliche Schleichwege sind an Stelle normaler Spaziergänge mit dem Hund getreten, feindselige Anmachen sind an der Tagesordnung, die explodierenden Strafsteuern für "Kampfhunde" sind für viele Menschen nicht mehr finanzierbar. Hinzu kommt die absolute Ungewissheit und Angst, was die Zukunft bringen wird. Angesichts der Tatsache, dass die meisten Tierheime eine legale Aufnahme von "Kampfhunden" verweigern, steigt die Zahl der Aussetzungen. In Einzelfälle sind Hunde auch schon abgestochen, ertränkt oder aus dem Fenster geworfen worden. Die staatlichen Maßnahmen haben unter anderem auch den Zweck, möglichst viele Menschen dazu zu zwingen, ihren Hund "freiwillig" preiszugeben, um nicht selbst zu obdachlosen und vielleicht demnächst auch arbeitslosen Outlaws der Gesellschaft zu werden.
Angesichts dieser Entwicklung muss man vor der Illusion warnen, es werde "alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird", die Situation werde sich nach dem Abflauen der derzeitigen Hysteriewelle wieder einigermaßen normalisieren, und die Hundehalter könnten durch Anpassung und Stillhalten ihre Lage verbessern. Noch nie in der Geschichte hat sich eine diskriminierte und verfolgte Gruppe auf solche Weise retten können. Nachdem die Politiker sich "hundepolitisch" dem Diktat der Massenmedien unterworfen haben, steht ihnen kein Rückzugsweg mehr offen. Tierschutzvereinigungen und Hundefreunde haben es auch zwei Wochen nach dem Beginn der gesteuerten Massenhysterie noch nicht geschafft, gemeinsam ihren Protest zu formulieren, gemeinsame juristische Schritte einzuleiten und Aktionen zu organisieren. Das hängt neben dem bedauerlichen Vorherrschen von Sonderinteressen und Abgrenzungssucht auch damit zusammen, dass die drohende Gefahr bis zum plötzlichen Ausbruch der Krise nicht ausreichend erkannt und ernst genommen wurde.
Es gibt in Deutschland mehr als fünf Millionen Hunde. Mindestens 15 Millionen Menschen leben direkt oder indirekt (durch Freundschaft oder Verwandtschaft) mit Hunden zusammen. Selbst wenn man alle beiseite lässt, die heute für Protestaktionen nicht in Frage kommen, weil sie sich von den Maßnahmen nicht betroffen fühlen oder sie aus Unverstand sogar begrüßen, sind wir Hundefreunde eine gewaltige politische und gesellschaftliche Kraft - sofern wir bereit sind, diese einzusetzen.
Knut Mellenthin
6. Juli 2000